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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Kritik des Urhebers nicht selten befangen. Wie tief aber Beethoven das kritisch"
Messer einzuführen im Stande gewesen wäre, geht schon daraus hervor, daß er,
wie Schindler berichtet, ernstlich mit dem Gedanken umging, aus mehren
Sonaten Menuett oder Scherzo ganz zu entfernen, angeblich zu Erzielung
größerer Einheit!

Beethoven hatte noch einen anderen Vorsah rücksichtlich der Gesammtaus-
gabe. dessen Vereitelung man zu bedauern geneigt sein könnte. Er beabsichtigte
nämlich, wie Schindler ebenfalls berichtet, durch Ueberschriften und kurze An¬
deutungen die "poetische Idee" verschiedener Compositionen zu bezeichnen, um
dadurch richtiges Verständniß und Vertrag derselben zu erleichtern. Er klagte
wohl, wenn er um Sinn und Bedeutung ausdrucksvoller Compositionen be¬
fragt wurde, die Zeit, in welcher er die meisten Sonaten geschrieben, sei
poetischer gewesen als die spätere, vermuthlich weil man sich der Musik einfach
hingab, von dem musikalischen Eindruck befriedigt, die dadurch angeregten
Empfindungen im Gemüth verklingen ließ und kein Bedürfniß fand, nach Ge¬
danken und Ideen zu fragen, welche von einer ganz anderen Seite her als der
musikalischen den Gegenstand des Interesses Präcisiren sollten. "Jedermann,"
beschwerte er sich "fühlte aus dem Largo der Sonaten in ä dur (0x. 10).
den darin geschilderten Seelenzustand eines Melancholischen heraus mit allen
den verschiedenen Nuancen von Licht und Schatten im Bilde der Melancholie."
Das wird gewiß auch später, wie jetzt und künftig, jeder Musikalische von
Gefühl heraushören, aber damit begnügten sich eben die Fragenden nicht, ihr
Vorwitz wollte auch erfahren, welches die individuelle, persönliche Veranlassung
zu solcher Stimmung gewesen sei, wo möglich im Componisten selbst, den man
gar zu gern mit dem Kunstwerk identificirt. Und wenn er auf solche Frage
Rede steht, wird sie uns wirklich fördern? Als Beethoven einmal in guter
Stimmung war. bat ihn Schindler um den Schlüssel zu den Sonaten in ä moll
(0p. 31.2) und twoll (0p. 57). und er erwiderte: "Lesen Sie nur Shake¬
speares Sturm." Offenbar war Schindler einigermaßen desappointirt, denn
er fährt fort: "Dort also soll er zu finden sein; aber an welcher Stelle?
Frager, lese, rathe und errathe!" Vermuthlich wird der Frager von seiner Lecture
die sichere Ueberzeugung mitbringen, daß Shakespeares Sturm auf ihn anders
wirke als auf Beethoven und keine ä-moll- und t'-moIl-Sonaten in ihm
erzeuge. Daß gerade dieses Drama Beethoven.M solchen Schöpfungen anregen
konnte, ist freilich nicht ohne Interesse zu erfahren, aus dem Shakespeare das
Verständniß derselben herholen wollen hieße nur die Unfähigkeit der musikalischen
Ausfassung bezeugen. Auch wenn Beethoven einmal genauer citirt, wird das
Verständniß dadurch nicht gefördert. Sein vertrauter Freund Amerda erzählte,
daß Beethoven ihm gesagt habe, bei dem Adagio im k-aur-Quartett (0p. 18. 1)
habe ihm die Grabesscene aus Romeo und Julie vorgeschwebt; wer nun


Kritik des Urhebers nicht selten befangen. Wie tief aber Beethoven das kritisch«
Messer einzuführen im Stande gewesen wäre, geht schon daraus hervor, daß er,
wie Schindler berichtet, ernstlich mit dem Gedanken umging, aus mehren
Sonaten Menuett oder Scherzo ganz zu entfernen, angeblich zu Erzielung
größerer Einheit!

Beethoven hatte noch einen anderen Vorsah rücksichtlich der Gesammtaus-
gabe. dessen Vereitelung man zu bedauern geneigt sein könnte. Er beabsichtigte
nämlich, wie Schindler ebenfalls berichtet, durch Ueberschriften und kurze An¬
deutungen die „poetische Idee" verschiedener Compositionen zu bezeichnen, um
dadurch richtiges Verständniß und Vertrag derselben zu erleichtern. Er klagte
wohl, wenn er um Sinn und Bedeutung ausdrucksvoller Compositionen be¬
fragt wurde, die Zeit, in welcher er die meisten Sonaten geschrieben, sei
poetischer gewesen als die spätere, vermuthlich weil man sich der Musik einfach
hingab, von dem musikalischen Eindruck befriedigt, die dadurch angeregten
Empfindungen im Gemüth verklingen ließ und kein Bedürfniß fand, nach Ge¬
danken und Ideen zu fragen, welche von einer ganz anderen Seite her als der
musikalischen den Gegenstand des Interesses Präcisiren sollten. „Jedermann,"
beschwerte er sich „fühlte aus dem Largo der Sonaten in ä dur (0x. 10).
den darin geschilderten Seelenzustand eines Melancholischen heraus mit allen
den verschiedenen Nuancen von Licht und Schatten im Bilde der Melancholie."
Das wird gewiß auch später, wie jetzt und künftig, jeder Musikalische von
Gefühl heraushören, aber damit begnügten sich eben die Fragenden nicht, ihr
Vorwitz wollte auch erfahren, welches die individuelle, persönliche Veranlassung
zu solcher Stimmung gewesen sei, wo möglich im Componisten selbst, den man
gar zu gern mit dem Kunstwerk identificirt. Und wenn er auf solche Frage
Rede steht, wird sie uns wirklich fördern? Als Beethoven einmal in guter
Stimmung war. bat ihn Schindler um den Schlüssel zu den Sonaten in ä moll
(0p. 31.2) und twoll (0p. 57). und er erwiderte: „Lesen Sie nur Shake¬
speares Sturm." Offenbar war Schindler einigermaßen desappointirt, denn
er fährt fort: „Dort also soll er zu finden sein; aber an welcher Stelle?
Frager, lese, rathe und errathe!" Vermuthlich wird der Frager von seiner Lecture
die sichere Ueberzeugung mitbringen, daß Shakespeares Sturm auf ihn anders
wirke als auf Beethoven und keine ä-moll- und t'-moIl-Sonaten in ihm
erzeuge. Daß gerade dieses Drama Beethoven.M solchen Schöpfungen anregen
konnte, ist freilich nicht ohne Interesse zu erfahren, aus dem Shakespeare das
Verständniß derselben herholen wollen hieße nur die Unfähigkeit der musikalischen
Ausfassung bezeugen. Auch wenn Beethoven einmal genauer citirt, wird das
Verständniß dadurch nicht gefördert. Sein vertrauter Freund Amerda erzählte,
daß Beethoven ihm gesagt habe, bei dem Adagio im k-aur-Quartett (0p. 18. 1)
habe ihm die Grabesscene aus Romeo und Julie vorgeschwebt; wer nun


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[0310] Kritik des Urhebers nicht selten befangen. Wie tief aber Beethoven das kritisch« Messer einzuführen im Stande gewesen wäre, geht schon daraus hervor, daß er, wie Schindler berichtet, ernstlich mit dem Gedanken umging, aus mehren Sonaten Menuett oder Scherzo ganz zu entfernen, angeblich zu Erzielung größerer Einheit! Beethoven hatte noch einen anderen Vorsah rücksichtlich der Gesammtaus- gabe. dessen Vereitelung man zu bedauern geneigt sein könnte. Er beabsichtigte nämlich, wie Schindler ebenfalls berichtet, durch Ueberschriften und kurze An¬ deutungen die „poetische Idee" verschiedener Compositionen zu bezeichnen, um dadurch richtiges Verständniß und Vertrag derselben zu erleichtern. Er klagte wohl, wenn er um Sinn und Bedeutung ausdrucksvoller Compositionen be¬ fragt wurde, die Zeit, in welcher er die meisten Sonaten geschrieben, sei poetischer gewesen als die spätere, vermuthlich weil man sich der Musik einfach hingab, von dem musikalischen Eindruck befriedigt, die dadurch angeregten Empfindungen im Gemüth verklingen ließ und kein Bedürfniß fand, nach Ge¬ danken und Ideen zu fragen, welche von einer ganz anderen Seite her als der musikalischen den Gegenstand des Interesses Präcisiren sollten. „Jedermann," beschwerte er sich „fühlte aus dem Largo der Sonaten in ä dur (0x. 10). den darin geschilderten Seelenzustand eines Melancholischen heraus mit allen den verschiedenen Nuancen von Licht und Schatten im Bilde der Melancholie." Das wird gewiß auch später, wie jetzt und künftig, jeder Musikalische von Gefühl heraushören, aber damit begnügten sich eben die Fragenden nicht, ihr Vorwitz wollte auch erfahren, welches die individuelle, persönliche Veranlassung zu solcher Stimmung gewesen sei, wo möglich im Componisten selbst, den man gar zu gern mit dem Kunstwerk identificirt. Und wenn er auf solche Frage Rede steht, wird sie uns wirklich fördern? Als Beethoven einmal in guter Stimmung war. bat ihn Schindler um den Schlüssel zu den Sonaten in ä moll (0p. 31.2) und twoll (0p. 57). und er erwiderte: „Lesen Sie nur Shake¬ speares Sturm." Offenbar war Schindler einigermaßen desappointirt, denn er fährt fort: „Dort also soll er zu finden sein; aber an welcher Stelle? Frager, lese, rathe und errathe!" Vermuthlich wird der Frager von seiner Lecture die sichere Ueberzeugung mitbringen, daß Shakespeares Sturm auf ihn anders wirke als auf Beethoven und keine ä-moll- und t'-moIl-Sonaten in ihm erzeuge. Daß gerade dieses Drama Beethoven.M solchen Schöpfungen anregen konnte, ist freilich nicht ohne Interesse zu erfahren, aus dem Shakespeare das Verständniß derselben herholen wollen hieße nur die Unfähigkeit der musikalischen Ausfassung bezeugen. Auch wenn Beethoven einmal genauer citirt, wird das Verständniß dadurch nicht gefördert. Sein vertrauter Freund Amerda erzählte, daß Beethoven ihm gesagt habe, bei dem Adagio im k-aur-Quartett (0p. 18. 1) habe ihm die Grabesscene aus Romeo und Julie vorgeschwebt; wer nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/310>, abgerufen am 24.07.2024.