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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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dieser wiedererwachenden Ansprüche aufzugeben zu Gunsten eines neuen "Ar¬
rangements" über die Erbfolge. Dieser Verzicht des russischen Kaisers auf
Prcitentionen, welche, wenn sie gültig waren, einzelne Stücke Schleswig-Hol¬
steins an Rußland zu bringen, also den übrigen Großmächten höchst unbequem
zu werden drohten, war nun allerdings sehr geeignet, die letzteren für das
"Arrangement" zu gewinnen, an das der Verzicht geknüpft war. Freilich mußten
sie dabei übersehen, welcher Gewinn für Nußland möglicherweise damit ver¬
bunden war, daß jenen Prcitentionen überhaupt irgendwelche Gültigkeit zu¬
geschrieben wurde; sie mußten ferner übersehen, daß, wenn etwa eine oder
mehre in Schleswig-Holstein erbberechtigte Linien des oldenburgischenHauses durch
das neue Arrangement aus der Erbfolge gebracht wurden, die in Rußland
regierende Linie um ebensoviel der Aussicht näher rückte, dereinst über die gan¬
zen Herzogthümer als berechtigte Erbin auftreten zu können. Was aber
die weiteren Anordnungen betraf, so war Prinz Friedrich von Hessen, jetzt in
Kurhessen der nächste Erbberechtigte, bereit auf den dänischen Thron zu verzichten.
Die Ansprüche des augustcnburger Herzogs auf Schleswig-Holstein dagegen be¬
handelte man als zweifelhaft und jedenfalls verwirkt durch die Theilnahme des
Herzogs an der Erhebung von 1848. Anfangs soll es nun die Absicht des
russischen Kaisers und des dänischen Königs gewesen sein, aus ihren Stammes--
Vettern den Erbgroßherzog (jetzigen Großherzog) von Oldenburg als denjenigen
zu bestimmen, welcher nach Friedrichs des Siebenten und des Prinzen Ferdinand*)
Tode den "Gesammtstaat" zu besitzen und zusammenzuhalten habe; der Vater
des Auserschenen aber habe, so wird erzählt, die Aufrechthaltung der Rechte
Schleswig-Holsteins als Bedingung seiner Zustimmung verlangt. Nun ward ein
Sproß derjenigen Linie des oldcnburger Mannstammes ins Auge gefaßt, die,
nach der augustenburgischen die nächstberechtigte für Schleswig-Holstein war,
-- der glücksburgischen --; es war dies Prinz Christian, der jüngste von drei
Brüdern. Nicht blos als der einzige von allen Prinzen der Nebenlinien Augusten¬
burg und Glücksburg, der 1848--50 auf dänischer Seite gestanden, sondern
auch wegen seines Zusammenhanges mit dem Weiberstammc 'schien er sich zu
empfehlen; die männlichen Nachkommen aus seiner Ehe mit der Schwester des
Prinzen Friedrich von Hessen, so nahm man an, würden gewissermaßen die
Rechte des Manns- und des Weiberstammes in sich vereinen. Dieser Christian
ist nun der Held des warschauer Protokolls vom 3. Juni 18S1. Angesichts
des preußischen Ministers v. Manteuffel und eines östreichischen Diplomaten
ward hier der Verzicht des russischen Kaisers auf seine Schleswig-holsteinischen
Prcitentionen zu Gunsten des Arrangements ausgesprochen, durch welches König
Friedrich der Siebente dem Prinzen Christian von Glücksburg, dessen Gemahlin
Louise von Hessen, und dem aus dieser Ehe entspringenden Mannstamm die Erb-



") Dieser ist kurz vor Friedrich dem Siebenten, am 29. Juni 1863, gestorben.
Grenzboten I. 1864. 38

dieser wiedererwachenden Ansprüche aufzugeben zu Gunsten eines neuen „Ar¬
rangements" über die Erbfolge. Dieser Verzicht des russischen Kaisers auf
Prcitentionen, welche, wenn sie gültig waren, einzelne Stücke Schleswig-Hol¬
steins an Rußland zu bringen, also den übrigen Großmächten höchst unbequem
zu werden drohten, war nun allerdings sehr geeignet, die letzteren für das
„Arrangement" zu gewinnen, an das der Verzicht geknüpft war. Freilich mußten
sie dabei übersehen, welcher Gewinn für Nußland möglicherweise damit ver¬
bunden war, daß jenen Prcitentionen überhaupt irgendwelche Gültigkeit zu¬
geschrieben wurde; sie mußten ferner übersehen, daß, wenn etwa eine oder
mehre in Schleswig-Holstein erbberechtigte Linien des oldenburgischenHauses durch
das neue Arrangement aus der Erbfolge gebracht wurden, die in Rußland
regierende Linie um ebensoviel der Aussicht näher rückte, dereinst über die gan¬
zen Herzogthümer als berechtigte Erbin auftreten zu können. Was aber
die weiteren Anordnungen betraf, so war Prinz Friedrich von Hessen, jetzt in
Kurhessen der nächste Erbberechtigte, bereit auf den dänischen Thron zu verzichten.
Die Ansprüche des augustcnburger Herzogs auf Schleswig-Holstein dagegen be¬
handelte man als zweifelhaft und jedenfalls verwirkt durch die Theilnahme des
Herzogs an der Erhebung von 1848. Anfangs soll es nun die Absicht des
russischen Kaisers und des dänischen Königs gewesen sein, aus ihren Stammes--
Vettern den Erbgroßherzog (jetzigen Großherzog) von Oldenburg als denjenigen
zu bestimmen, welcher nach Friedrichs des Siebenten und des Prinzen Ferdinand*)
Tode den „Gesammtstaat" zu besitzen und zusammenzuhalten habe; der Vater
des Auserschenen aber habe, so wird erzählt, die Aufrechthaltung der Rechte
Schleswig-Holsteins als Bedingung seiner Zustimmung verlangt. Nun ward ein
Sproß derjenigen Linie des oldcnburger Mannstammes ins Auge gefaßt, die,
nach der augustenburgischen die nächstberechtigte für Schleswig-Holstein war,
— der glücksburgischen —; es war dies Prinz Christian, der jüngste von drei
Brüdern. Nicht blos als der einzige von allen Prinzen der Nebenlinien Augusten¬
burg und Glücksburg, der 1848—50 auf dänischer Seite gestanden, sondern
auch wegen seines Zusammenhanges mit dem Weiberstammc 'schien er sich zu
empfehlen; die männlichen Nachkommen aus seiner Ehe mit der Schwester des
Prinzen Friedrich von Hessen, so nahm man an, würden gewissermaßen die
Rechte des Manns- und des Weiberstammes in sich vereinen. Dieser Christian
ist nun der Held des warschauer Protokolls vom 3. Juni 18S1. Angesichts
des preußischen Ministers v. Manteuffel und eines östreichischen Diplomaten
ward hier der Verzicht des russischen Kaisers auf seine Schleswig-holsteinischen
Prcitentionen zu Gunsten des Arrangements ausgesprochen, durch welches König
Friedrich der Siebente dem Prinzen Christian von Glücksburg, dessen Gemahlin
Louise von Hessen, und dem aus dieser Ehe entspringenden Mannstamm die Erb-



") Dieser ist kurz vor Friedrich dem Siebenten, am 29. Juni 1863, gestorben.
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[0303] dieser wiedererwachenden Ansprüche aufzugeben zu Gunsten eines neuen „Ar¬ rangements" über die Erbfolge. Dieser Verzicht des russischen Kaisers auf Prcitentionen, welche, wenn sie gültig waren, einzelne Stücke Schleswig-Hol¬ steins an Rußland zu bringen, also den übrigen Großmächten höchst unbequem zu werden drohten, war nun allerdings sehr geeignet, die letzteren für das „Arrangement" zu gewinnen, an das der Verzicht geknüpft war. Freilich mußten sie dabei übersehen, welcher Gewinn für Nußland möglicherweise damit ver¬ bunden war, daß jenen Prcitentionen überhaupt irgendwelche Gültigkeit zu¬ geschrieben wurde; sie mußten ferner übersehen, daß, wenn etwa eine oder mehre in Schleswig-Holstein erbberechtigte Linien des oldenburgischenHauses durch das neue Arrangement aus der Erbfolge gebracht wurden, die in Rußland regierende Linie um ebensoviel der Aussicht näher rückte, dereinst über die gan¬ zen Herzogthümer als berechtigte Erbin auftreten zu können. Was aber die weiteren Anordnungen betraf, so war Prinz Friedrich von Hessen, jetzt in Kurhessen der nächste Erbberechtigte, bereit auf den dänischen Thron zu verzichten. Die Ansprüche des augustcnburger Herzogs auf Schleswig-Holstein dagegen be¬ handelte man als zweifelhaft und jedenfalls verwirkt durch die Theilnahme des Herzogs an der Erhebung von 1848. Anfangs soll es nun die Absicht des russischen Kaisers und des dänischen Königs gewesen sein, aus ihren Stammes-- Vettern den Erbgroßherzog (jetzigen Großherzog) von Oldenburg als denjenigen zu bestimmen, welcher nach Friedrichs des Siebenten und des Prinzen Ferdinand*) Tode den „Gesammtstaat" zu besitzen und zusammenzuhalten habe; der Vater des Auserschenen aber habe, so wird erzählt, die Aufrechthaltung der Rechte Schleswig-Holsteins als Bedingung seiner Zustimmung verlangt. Nun ward ein Sproß derjenigen Linie des oldcnburger Mannstammes ins Auge gefaßt, die, nach der augustenburgischen die nächstberechtigte für Schleswig-Holstein war, — der glücksburgischen —; es war dies Prinz Christian, der jüngste von drei Brüdern. Nicht blos als der einzige von allen Prinzen der Nebenlinien Augusten¬ burg und Glücksburg, der 1848—50 auf dänischer Seite gestanden, sondern auch wegen seines Zusammenhanges mit dem Weiberstammc 'schien er sich zu empfehlen; die männlichen Nachkommen aus seiner Ehe mit der Schwester des Prinzen Friedrich von Hessen, so nahm man an, würden gewissermaßen die Rechte des Manns- und des Weiberstammes in sich vereinen. Dieser Christian ist nun der Held des warschauer Protokolls vom 3. Juni 18S1. Angesichts des preußischen Ministers v. Manteuffel und eines östreichischen Diplomaten ward hier der Verzicht des russischen Kaisers auf seine Schleswig-holsteinischen Prcitentionen zu Gunsten des Arrangements ausgesprochen, durch welches König Friedrich der Siebente dem Prinzen Christian von Glücksburg, dessen Gemahlin Louise von Hessen, und dem aus dieser Ehe entspringenden Mannstamm die Erb- ") Dieser ist kurz vor Friedrich dem Siebenten, am 29. Juni 1863, gestorben. Grenzboten I. 1864. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/303>, abgerufen am 24.07.2024.