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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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England, welche vom Jahre 1844 bis 1883 vierzehn mit englischer Splendi-
dität ausgestattete Bände erscheinen ließ; seitdem ist diese Unternehmung, wie
es scheint für immer, ins Stocken gerathen.

Den Grundgedanken dieser Association nahm in Deutschland zunächst die
Bachgesellschast auf, welche im Jahre 1860, hundert Jahre nach Bachs Tode
gestiftet, es als ihren Zweck aussprach, eine vollständige kritische Ausgabe aller
Werke Joh. Seb. Bachs herzustellen, dem großen Tonsetzer zum Denkmal, und
die Weise der Ausführung näher so bestimmte: "In diese Ausgabe sollen alle
Werke Bachs aufgenommen werden, welche durch sichere Ueberlieferung und
kritische Untersuchung als von ihm herrührend nachgewiesen sind. Für jedes
wird wo möglich die Urschrift oder der vom Componisten selbst veranstaltete
Druck, wo nicht, die besten vorhandenen Hilfsmittel zu Grunde gelegt, um die
durch die kritisch gesichtete Ueberlieferung beglaubigte echte Gestalt herzustellen.
Jede Willkür in Aenderungen, Weglassungen und Zusätzen ist ausgeschlossen."
Der Bachgesellschaft folgte nach acht Jahren die deutsche Händelgesellschaft,
welche nach einem ähnlichen Plan und von gleichen Grundsätzen geleitet die
sämmtlichen Werke Händels herauszugeben unternommen hat. Eine stattliche
Reihe von Bänden, welche beide Gesellschaften bisher in regelmäßiger Folge
geliefert haben, bewährt durch die treffliche äußere Ausstattung, welche ein Werk
der Breitkopf und Härtelschen Officin ist, und durch eine auf diesem Gebiete
früher nicht bekannte kritische Sorgfalt für die Herstellung eines zuverlässigen
und correcten Textes, den ernsten und würdigen Sinn dieser Unternehmungen
und läßt aus stetige Ausdauer der Beteiligten bis zur Vollendung hoffen.

Unläugbar haben Bach und Händel ganz vorzugsweise ein Anrecht darauf,
daß ihre Schöpfungen in ihrer Gesammtheit echt und rein, für alle Zeiten auf¬
bewahrt und allgemein zugänglich gemacht werden, denn diese sind durch den
Geist, in welchem sie empfangen, durch die Kunst, mit welcher sie ausgeführt
sind, wesentlich monumental. Sie sind nicht allein merkwürdige Zeugnisse für
das. was in einer bestimmten Zeit hervorragende Individuen Großes und
Schönes zu leisten vermochten, sie behaupten einen absoluten Werth, welcher un¬
abhängig von der Zeit, welche sie hervorgebracht, wie von der Zeit, welche sie
wiederzugeben und zu genießen bestrebt ist, den höchsten Erzeugnissen menschlicher
Kunst unveräußerlich bleibt. Wie verschieden auch beide Meister sind, wie stau¬
nenswerth auch der Reichthum ihrer Production auf vielen Gebieten ist, so
wird man doch kaum ein einzelnes Werk finden, das nicht durch Neuheit und
Eigenthümlichkeit ein selbständiges Interesse nach irgend einer Richtung hin in
Anspruch nimmt, den Meister von einer neuen Seite zeigt, oder das Wesen der
Kunst in genialer Weise erschließt, so daß Vollständigkeit hier durchaus geboten
ist. Der hohe und große Geist, welcher alle diese Werke durchweht, und den
Hörer mit Ernst und Kraft in die idealen Regionen echter Kunst sich zu erheben


England, welche vom Jahre 1844 bis 1883 vierzehn mit englischer Splendi-
dität ausgestattete Bände erscheinen ließ; seitdem ist diese Unternehmung, wie
es scheint für immer, ins Stocken gerathen.

Den Grundgedanken dieser Association nahm in Deutschland zunächst die
Bachgesellschast auf, welche im Jahre 1860, hundert Jahre nach Bachs Tode
gestiftet, es als ihren Zweck aussprach, eine vollständige kritische Ausgabe aller
Werke Joh. Seb. Bachs herzustellen, dem großen Tonsetzer zum Denkmal, und
die Weise der Ausführung näher so bestimmte: „In diese Ausgabe sollen alle
Werke Bachs aufgenommen werden, welche durch sichere Ueberlieferung und
kritische Untersuchung als von ihm herrührend nachgewiesen sind. Für jedes
wird wo möglich die Urschrift oder der vom Componisten selbst veranstaltete
Druck, wo nicht, die besten vorhandenen Hilfsmittel zu Grunde gelegt, um die
durch die kritisch gesichtete Ueberlieferung beglaubigte echte Gestalt herzustellen.
Jede Willkür in Aenderungen, Weglassungen und Zusätzen ist ausgeschlossen."
Der Bachgesellschaft folgte nach acht Jahren die deutsche Händelgesellschaft,
welche nach einem ähnlichen Plan und von gleichen Grundsätzen geleitet die
sämmtlichen Werke Händels herauszugeben unternommen hat. Eine stattliche
Reihe von Bänden, welche beide Gesellschaften bisher in regelmäßiger Folge
geliefert haben, bewährt durch die treffliche äußere Ausstattung, welche ein Werk
der Breitkopf und Härtelschen Officin ist, und durch eine auf diesem Gebiete
früher nicht bekannte kritische Sorgfalt für die Herstellung eines zuverlässigen
und correcten Textes, den ernsten und würdigen Sinn dieser Unternehmungen
und läßt aus stetige Ausdauer der Beteiligten bis zur Vollendung hoffen.

Unläugbar haben Bach und Händel ganz vorzugsweise ein Anrecht darauf,
daß ihre Schöpfungen in ihrer Gesammtheit echt und rein, für alle Zeiten auf¬
bewahrt und allgemein zugänglich gemacht werden, denn diese sind durch den
Geist, in welchem sie empfangen, durch die Kunst, mit welcher sie ausgeführt
sind, wesentlich monumental. Sie sind nicht allein merkwürdige Zeugnisse für
das. was in einer bestimmten Zeit hervorragende Individuen Großes und
Schönes zu leisten vermochten, sie behaupten einen absoluten Werth, welcher un¬
abhängig von der Zeit, welche sie hervorgebracht, wie von der Zeit, welche sie
wiederzugeben und zu genießen bestrebt ist, den höchsten Erzeugnissen menschlicher
Kunst unveräußerlich bleibt. Wie verschieden auch beide Meister sind, wie stau¬
nenswerth auch der Reichthum ihrer Production auf vielen Gebieten ist, so
wird man doch kaum ein einzelnes Werk finden, das nicht durch Neuheit und
Eigenthümlichkeit ein selbständiges Interesse nach irgend einer Richtung hin in
Anspruch nimmt, den Meister von einer neuen Seite zeigt, oder das Wesen der
Kunst in genialer Weise erschließt, so daß Vollständigkeit hier durchaus geboten
ist. Der hohe und große Geist, welcher alle diese Werke durchweht, und den
Hörer mit Ernst und Kraft in die idealen Regionen echter Kunst sich zu erheben


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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/288>, abgerufen am 24.07.2024.