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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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eine namhafte Anzahl seiner Werke ist, die bisher gar nicht oder verstümmelt
und entstellt bekannt geworden sind, wie groß und berechtigt das Interesse ist,
welches die meisten in Anspruch nehmen, insofern sie den Entwickelungsgang
Mozarts und zugleich den Stand der musikalischen Leistungen jener Zeit be¬
zeichnen: immer ist es vorwiegend das historische Interesse, welches die zahl¬
reichen Opern-, Kirchen-, Jnstrumentalcompositionen von der wiener Periode be¬
friedigen und dieses ist nicht das Interesse des großen musikalischen Publicums.

Es ist daher von Gesammtausgaben berühmter Komponisten auch nicht viel
zu berichten. Eine Sammlung der Hass ehedem Opern sollte auf Kosten des
Kurfürsten von Sachsen herausgegeben werden, als beim Bombardement von
Dresden 1760 das gesammte druckfertige Manuscript verbrannte; auf Veran¬
lassung und mit Unterstützung des Herzogs Karl von Würtemberg wurde 1783
ein kleenen ach vrMa, eomxvses Mr Nicolas -somelli a, ig, cour an fere"
uissims cluo ac ^Virtemderg angefangen, allein es blieb beim ersten Bande,
der die OlimrMcke enthielt. Bessern Fortgang hatte die Gesammtausgabe von
Handels Werken, welche Arnold im Auftrage Georgs des Dritten im Jahre
1786 begann; es erschienen 36 Bände, aber vollendet wurde auch sie nicht.

Ohne Aussicht auf fürstliche Munificenz wären diese Unternehmungen
schwerlich begonnen worden. Als nach Mozarts Tode die Breitkopf und Här-
telsche Verlagshandlung eine Ausgabe seiner Werke ankündigte, war es auf
eine vollständige Sammlung gar nicht abgesehen; die "Oeuvres eomplettes" um¬
faßten wesentlich nur diejenigen Klavier- und Gesangcompositionen, welche für
das große musikalische Publicum Interesse boten, die Claviercvncerte bildeten
daneben eine eigene Suite, Kirchen- und Opernmusik erschien wiederum be¬
sonders ohne Anspruch aus Vollständigkeit und Gleichmäßigkeit der verschiedenen
Publicationen. Bald schloß sich eine in gleichem Sinn ausgeführte Sammlung
der Oeuvres von Ha yd n an; und diese grünen und rothen Hefte, welche eine
bis dahin unerhörte Verbreitung fanden, haben auf die musikalische Bildung
in Deutschland einen kaum zu berechnenden Einfluß gehabt. Denn sie machten
diesen Hauptstock deutscher Hausmusik zum Gemeingut, boten der in alle
Schichten des Volks mehr und mehr eindringenden Musikübung eine gesunde
Nahrung, sie wurden eine allgemein giltige Grundlage musikalischer Bildung
und trugen ganz vorzüglich bei, einen gewissen musikalischen Gemeinsinn heraus¬
zubilden. Durch diesen Charakter der Anthologien oder Chrestomathien, welchen
sie mit manchen ähnlichen später folgenden Oeuvres Dom. Scarlattis, Ele¬
mentes u. a. theilten, haben sie auf ihre Zeit sicherlich eindringlicher und nach¬
haltiger gewirkt, als mit historisch-philologischen Sinn bearbeitete wahrhafte
Gesammtausgaben es damals vermocht hätten.

Den Plan einer wirklich auf Vollständigkeit und Authenticität berechneten
Ausgabe von Händels Werken faßte eine Gesellschaft von Musikfreunden in


Grenzboten I. 1864. 36

eine namhafte Anzahl seiner Werke ist, die bisher gar nicht oder verstümmelt
und entstellt bekannt geworden sind, wie groß und berechtigt das Interesse ist,
welches die meisten in Anspruch nehmen, insofern sie den Entwickelungsgang
Mozarts und zugleich den Stand der musikalischen Leistungen jener Zeit be¬
zeichnen: immer ist es vorwiegend das historische Interesse, welches die zahl¬
reichen Opern-, Kirchen-, Jnstrumentalcompositionen von der wiener Periode be¬
friedigen und dieses ist nicht das Interesse des großen musikalischen Publicums.

Es ist daher von Gesammtausgaben berühmter Komponisten auch nicht viel
zu berichten. Eine Sammlung der Hass ehedem Opern sollte auf Kosten des
Kurfürsten von Sachsen herausgegeben werden, als beim Bombardement von
Dresden 1760 das gesammte druckfertige Manuscript verbrannte; auf Veran¬
lassung und mit Unterstützung des Herzogs Karl von Würtemberg wurde 1783
ein kleenen ach vrMa, eomxvses Mr Nicolas -somelli a, ig, cour an fere»
uissims cluo ac ^Virtemderg angefangen, allein es blieb beim ersten Bande,
der die OlimrMcke enthielt. Bessern Fortgang hatte die Gesammtausgabe von
Handels Werken, welche Arnold im Auftrage Georgs des Dritten im Jahre
1786 begann; es erschienen 36 Bände, aber vollendet wurde auch sie nicht.

Ohne Aussicht auf fürstliche Munificenz wären diese Unternehmungen
schwerlich begonnen worden. Als nach Mozarts Tode die Breitkopf und Här-
telsche Verlagshandlung eine Ausgabe seiner Werke ankündigte, war es auf
eine vollständige Sammlung gar nicht abgesehen; die „Oeuvres eomplettes" um¬
faßten wesentlich nur diejenigen Klavier- und Gesangcompositionen, welche für
das große musikalische Publicum Interesse boten, die Claviercvncerte bildeten
daneben eine eigene Suite, Kirchen- und Opernmusik erschien wiederum be¬
sonders ohne Anspruch aus Vollständigkeit und Gleichmäßigkeit der verschiedenen
Publicationen. Bald schloß sich eine in gleichem Sinn ausgeführte Sammlung
der Oeuvres von Ha yd n an; und diese grünen und rothen Hefte, welche eine
bis dahin unerhörte Verbreitung fanden, haben auf die musikalische Bildung
in Deutschland einen kaum zu berechnenden Einfluß gehabt. Denn sie machten
diesen Hauptstock deutscher Hausmusik zum Gemeingut, boten der in alle
Schichten des Volks mehr und mehr eindringenden Musikübung eine gesunde
Nahrung, sie wurden eine allgemein giltige Grundlage musikalischer Bildung
und trugen ganz vorzüglich bei, einen gewissen musikalischen Gemeinsinn heraus¬
zubilden. Durch diesen Charakter der Anthologien oder Chrestomathien, welchen
sie mit manchen ähnlichen später folgenden Oeuvres Dom. Scarlattis, Ele¬
mentes u. a. theilten, haben sie auf ihre Zeit sicherlich eindringlicher und nach¬
haltiger gewirkt, als mit historisch-philologischen Sinn bearbeitete wahrhafte
Gesammtausgaben es damals vermocht hätten.

Den Plan einer wirklich auf Vollständigkeit und Authenticität berechneten
Ausgabe von Händels Werken faßte eine Gesellschaft von Musikfreunden in


Grenzboten I. 1864. 36
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[0287] eine namhafte Anzahl seiner Werke ist, die bisher gar nicht oder verstümmelt und entstellt bekannt geworden sind, wie groß und berechtigt das Interesse ist, welches die meisten in Anspruch nehmen, insofern sie den Entwickelungsgang Mozarts und zugleich den Stand der musikalischen Leistungen jener Zeit be¬ zeichnen: immer ist es vorwiegend das historische Interesse, welches die zahl¬ reichen Opern-, Kirchen-, Jnstrumentalcompositionen von der wiener Periode be¬ friedigen und dieses ist nicht das Interesse des großen musikalischen Publicums. Es ist daher von Gesammtausgaben berühmter Komponisten auch nicht viel zu berichten. Eine Sammlung der Hass ehedem Opern sollte auf Kosten des Kurfürsten von Sachsen herausgegeben werden, als beim Bombardement von Dresden 1760 das gesammte druckfertige Manuscript verbrannte; auf Veran¬ lassung und mit Unterstützung des Herzogs Karl von Würtemberg wurde 1783 ein kleenen ach vrMa, eomxvses Mr Nicolas -somelli a, ig, cour an fere» uissims cluo ac ^Virtemderg angefangen, allein es blieb beim ersten Bande, der die OlimrMcke enthielt. Bessern Fortgang hatte die Gesammtausgabe von Handels Werken, welche Arnold im Auftrage Georgs des Dritten im Jahre 1786 begann; es erschienen 36 Bände, aber vollendet wurde auch sie nicht. Ohne Aussicht auf fürstliche Munificenz wären diese Unternehmungen schwerlich begonnen worden. Als nach Mozarts Tode die Breitkopf und Här- telsche Verlagshandlung eine Ausgabe seiner Werke ankündigte, war es auf eine vollständige Sammlung gar nicht abgesehen; die „Oeuvres eomplettes" um¬ faßten wesentlich nur diejenigen Klavier- und Gesangcompositionen, welche für das große musikalische Publicum Interesse boten, die Claviercvncerte bildeten daneben eine eigene Suite, Kirchen- und Opernmusik erschien wiederum be¬ sonders ohne Anspruch aus Vollständigkeit und Gleichmäßigkeit der verschiedenen Publicationen. Bald schloß sich eine in gleichem Sinn ausgeführte Sammlung der Oeuvres von Ha yd n an; und diese grünen und rothen Hefte, welche eine bis dahin unerhörte Verbreitung fanden, haben auf die musikalische Bildung in Deutschland einen kaum zu berechnenden Einfluß gehabt. Denn sie machten diesen Hauptstock deutscher Hausmusik zum Gemeingut, boten der in alle Schichten des Volks mehr und mehr eindringenden Musikübung eine gesunde Nahrung, sie wurden eine allgemein giltige Grundlage musikalischer Bildung und trugen ganz vorzüglich bei, einen gewissen musikalischen Gemeinsinn heraus¬ zubilden. Durch diesen Charakter der Anthologien oder Chrestomathien, welchen sie mit manchen ähnlichen später folgenden Oeuvres Dom. Scarlattis, Ele¬ mentes u. a. theilten, haben sie auf ihre Zeit sicherlich eindringlicher und nach¬ haltiger gewirkt, als mit historisch-philologischen Sinn bearbeitete wahrhafte Gesammtausgaben es damals vermocht hätten. Den Plan einer wirklich auf Vollständigkeit und Authenticität berechneten Ausgabe von Händels Werken faßte eine Gesellschaft von Musikfreunden in Grenzboten I. 1864. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/287>, abgerufen am 24.07.2024.