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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ßer geboten, daß wiederum ein preußischer General, v. Prittwitz, zum Befehls¬
haber der Reichsarmee ernannt worden war. Daß nun dieser sich bei weitem
mehr durch berliner Winke als durch frankfurter Jnstructionen leiten ließ, lag
sofort am offenen Tage, In Berlin aber hoffte man immer noch oder bald
wieder auf Waffenstillstand. Die außerdeutschen Mächte mahnten von ernstlichen
Feindseligkeiten ab; der russische Gesandte eiferte, da Frankreich und Nußland
nie eine Trennung Schleswigs von Dänemark zugeben würden, sei es Thor¬
heit und könne nur unnützes Blutvergießen geben, wenn man in Jütland ein¬
falle. Diese Dinge wirkten durch das berliner Cabinet auf die Führung der
Reichsarmee. Den Einfall in Jütland hatte der rüstige Bonin ganz auf eigene
Faust gewagt, nachdem er eine Reihe von Tagen vergeblich auf einen Befehl
dazu gewartet hatte. Selbst als Prittwitz von Frankfurt aus die positive Wei¬
sung zum Einrücken in Jütland erhalten hatte, befahl er seinerseits dem Gene¬
ral Bonin, sich auf jütländischen Boden keinem ernstlichen Angriff der Dänen
auszusetzen -- ein Befehl, mit welchem sich wieder Bonin dadurch, daß er aM
23. April die Schlacht bei Kolding annahm, in Widerspruch brachte. Ein Ver¬
bot hemmte sofort Benins weiteres Vordringen. Das Reichsheer unter Pritt¬
witz eigener Führung aber, auch diesmal Alsen gegenüber nur eine Abtheilung
zurücklassend, mußte sich in äußerst langsamem Marsch gegen den Norden von
Schleswig hinschleppen. Vierundvierzig Tage nachdem man von Rendsburg
ausmarschirt, befand man sich zwanzig Meilen davon entfernt, an der Grenze
von Jütland. Die Statthalter begaben sich selber ins Hauptquartier, hör¬
ten vom General Prittwitz Aeußerungen der peinlichsten Verlegenheit, rede¬
ten ihm ins Gewissen. Darauf ging es im Schneckengang wirtlich nach Jüt¬
land hinein. Bonin mit den Schleswig-Holstcinern erhielt jetzt die Weisung,
sich rechts gegen den, der Insel Fünen gegenübergelegenen Landungsplatz In¬
derinn zu wenden, wobei er denjenigen Theil der dänischen Armee, der nach
dieser Festung hin retirirt war und ihm den Weg streitig machen wollte,
durch ein glückliches Gefecht bei Gudsöe zum Weichen brachte. Die Reichs¬
armee aber durste sich wieder nur in langsamsten Marsch der anderen däni¬
schen Abtheilung unter General Rye nachziehen; in siebzehn Tagen vierzehn
Meilen zurücklegend, gelangte sie bis Aarhus, während Bonin in der Be¬
lagerung Fridericias, wo sich General Bülow eingeschlossen hatte, ein die
Kräfte seiner kleinen Armee übersteigendes Wert unternommen hatte.

Aber was hatte auch ein Vortheil mehr oder weniger, der im Felde er¬
kämpft werden mochte, zu bedeuten? Indeß Dänemark durch den tiefen Schmerz
über die Niederlage von Eckernförde, statt sich zu billigeren Friedensvorschlägen
bestimmen zu lassen, vielmehr zu den äußersten Anstrengungen aufgestachelt
wurde, erlahmte in Deutschland an der einen Stelle die Kraft, an der anderen
der Wille gänzlich. Nachdem die deutsche Nationalversammlung sich nicht auf


Grenzboten I. 1864. 29

ßer geboten, daß wiederum ein preußischer General, v. Prittwitz, zum Befehls¬
haber der Reichsarmee ernannt worden war. Daß nun dieser sich bei weitem
mehr durch berliner Winke als durch frankfurter Jnstructionen leiten ließ, lag
sofort am offenen Tage, In Berlin aber hoffte man immer noch oder bald
wieder auf Waffenstillstand. Die außerdeutschen Mächte mahnten von ernstlichen
Feindseligkeiten ab; der russische Gesandte eiferte, da Frankreich und Nußland
nie eine Trennung Schleswigs von Dänemark zugeben würden, sei es Thor¬
heit und könne nur unnützes Blutvergießen geben, wenn man in Jütland ein¬
falle. Diese Dinge wirkten durch das berliner Cabinet auf die Führung der
Reichsarmee. Den Einfall in Jütland hatte der rüstige Bonin ganz auf eigene
Faust gewagt, nachdem er eine Reihe von Tagen vergeblich auf einen Befehl
dazu gewartet hatte. Selbst als Prittwitz von Frankfurt aus die positive Wei¬
sung zum Einrücken in Jütland erhalten hatte, befahl er seinerseits dem Gene¬
ral Bonin, sich auf jütländischen Boden keinem ernstlichen Angriff der Dänen
auszusetzen — ein Befehl, mit welchem sich wieder Bonin dadurch, daß er aM
23. April die Schlacht bei Kolding annahm, in Widerspruch brachte. Ein Ver¬
bot hemmte sofort Benins weiteres Vordringen. Das Reichsheer unter Pritt¬
witz eigener Führung aber, auch diesmal Alsen gegenüber nur eine Abtheilung
zurücklassend, mußte sich in äußerst langsamem Marsch gegen den Norden von
Schleswig hinschleppen. Vierundvierzig Tage nachdem man von Rendsburg
ausmarschirt, befand man sich zwanzig Meilen davon entfernt, an der Grenze
von Jütland. Die Statthalter begaben sich selber ins Hauptquartier, hör¬
ten vom General Prittwitz Aeußerungen der peinlichsten Verlegenheit, rede¬
ten ihm ins Gewissen. Darauf ging es im Schneckengang wirtlich nach Jüt¬
land hinein. Bonin mit den Schleswig-Holstcinern erhielt jetzt die Weisung,
sich rechts gegen den, der Insel Fünen gegenübergelegenen Landungsplatz In¬
derinn zu wenden, wobei er denjenigen Theil der dänischen Armee, der nach
dieser Festung hin retirirt war und ihm den Weg streitig machen wollte,
durch ein glückliches Gefecht bei Gudsöe zum Weichen brachte. Die Reichs¬
armee aber durste sich wieder nur in langsamsten Marsch der anderen däni¬
schen Abtheilung unter General Rye nachziehen; in siebzehn Tagen vierzehn
Meilen zurücklegend, gelangte sie bis Aarhus, während Bonin in der Be¬
lagerung Fridericias, wo sich General Bülow eingeschlossen hatte, ein die
Kräfte seiner kleinen Armee übersteigendes Wert unternommen hatte.

Aber was hatte auch ein Vortheil mehr oder weniger, der im Felde er¬
kämpft werden mochte, zu bedeuten? Indeß Dänemark durch den tiefen Schmerz
über die Niederlage von Eckernförde, statt sich zu billigeren Friedensvorschlägen
bestimmen zu lassen, vielmehr zu den äußersten Anstrengungen aufgestachelt
wurde, erlahmte in Deutschland an der einen Stelle die Kraft, an der anderen
der Wille gänzlich. Nachdem die deutsche Nationalversammlung sich nicht auf


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[0235] ßer geboten, daß wiederum ein preußischer General, v. Prittwitz, zum Befehls¬ haber der Reichsarmee ernannt worden war. Daß nun dieser sich bei weitem mehr durch berliner Winke als durch frankfurter Jnstructionen leiten ließ, lag sofort am offenen Tage, In Berlin aber hoffte man immer noch oder bald wieder auf Waffenstillstand. Die außerdeutschen Mächte mahnten von ernstlichen Feindseligkeiten ab; der russische Gesandte eiferte, da Frankreich und Nußland nie eine Trennung Schleswigs von Dänemark zugeben würden, sei es Thor¬ heit und könne nur unnützes Blutvergießen geben, wenn man in Jütland ein¬ falle. Diese Dinge wirkten durch das berliner Cabinet auf die Führung der Reichsarmee. Den Einfall in Jütland hatte der rüstige Bonin ganz auf eigene Faust gewagt, nachdem er eine Reihe von Tagen vergeblich auf einen Befehl dazu gewartet hatte. Selbst als Prittwitz von Frankfurt aus die positive Wei¬ sung zum Einrücken in Jütland erhalten hatte, befahl er seinerseits dem Gene¬ ral Bonin, sich auf jütländischen Boden keinem ernstlichen Angriff der Dänen auszusetzen — ein Befehl, mit welchem sich wieder Bonin dadurch, daß er aM 23. April die Schlacht bei Kolding annahm, in Widerspruch brachte. Ein Ver¬ bot hemmte sofort Benins weiteres Vordringen. Das Reichsheer unter Pritt¬ witz eigener Führung aber, auch diesmal Alsen gegenüber nur eine Abtheilung zurücklassend, mußte sich in äußerst langsamem Marsch gegen den Norden von Schleswig hinschleppen. Vierundvierzig Tage nachdem man von Rendsburg ausmarschirt, befand man sich zwanzig Meilen davon entfernt, an der Grenze von Jütland. Die Statthalter begaben sich selber ins Hauptquartier, hör¬ ten vom General Prittwitz Aeußerungen der peinlichsten Verlegenheit, rede¬ ten ihm ins Gewissen. Darauf ging es im Schneckengang wirtlich nach Jüt¬ land hinein. Bonin mit den Schleswig-Holstcinern erhielt jetzt die Weisung, sich rechts gegen den, der Insel Fünen gegenübergelegenen Landungsplatz In¬ derinn zu wenden, wobei er denjenigen Theil der dänischen Armee, der nach dieser Festung hin retirirt war und ihm den Weg streitig machen wollte, durch ein glückliches Gefecht bei Gudsöe zum Weichen brachte. Die Reichs¬ armee aber durste sich wieder nur in langsamsten Marsch der anderen däni¬ schen Abtheilung unter General Rye nachziehen; in siebzehn Tagen vierzehn Meilen zurücklegend, gelangte sie bis Aarhus, während Bonin in der Be¬ lagerung Fridericias, wo sich General Bülow eingeschlossen hatte, ein die Kräfte seiner kleinen Armee übersteigendes Wert unternommen hatte. Aber was hatte auch ein Vortheil mehr oder weniger, der im Felde er¬ kämpft werden mochte, zu bedeuten? Indeß Dänemark durch den tiefen Schmerz über die Niederlage von Eckernförde, statt sich zu billigeren Friedensvorschlägen bestimmen zu lassen, vielmehr zu den äußersten Anstrengungen aufgestachelt wurde, erlahmte in Deutschland an der einen Stelle die Kraft, an der anderen der Wille gänzlich. Nachdem die deutsche Nationalversammlung sich nicht auf Grenzboten I. 1864. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/235>, abgerufen am 24.07.2024.