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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Daß Franzosen unter uns waren, war nun entdeckt, es wurde hin und
wieder geschossen, und beim Blitzen der Schusse sehe ich, wie Franzosen unsern
Major vom Pferde heben. Die Angst gibt mir Riesenkräfte, ich dränge weiter
vorwärts durch unser Bataillon durch und befinde mich, als ich etwas ver¬
schnaufe, im 11. Reserveregiment. Da singen die Franzosen an zu trommeln;
ich erkannte einen Kameraden, den Lieutenant de F.....e, der sagte:
"Ich möchte nur wissen, was die Russen hinter uns zu trommeln haben?" --
"O," erwiderte ich: "lieber Kamerad, das sind keine Russen, das sind Fran¬
zosen! mich haben sie schon zweimal gehabt." Wir kannten einander noch
nicht persönlich, aber wir tauschten hier unsere Namen, beschlossen treu an
einander zu halten, machten Brüderschaft, faßten uns fest unterm Arm, er auf
der Unken, ich auf der rechten Seite, und strebten so durch das Gedränge, das
immer dichter wurde, vorwärts. Wenige Schritte hinter uns hörten wir schimpfen.
Wehgeschrei, Klirren der Gewehre an einander, wie wenn sie an die Erde
fallen, Stoßen und Schlagen mit den Kolben. Nach ^jedem solchen Auftritt
wurde das Gedränge dichter, wir rissen mit den freien Armen rechts und links
Alles aus dem Wege und drangen vorwärts. Aber bald wurde die Unordnung
so groß, daß wir emporgehoben, durch die Tornister der Leute gehalten und
so im wahren Sinne des Worts getragen wurden. Etoges ist ein langes Dorf,
das fast ohne Querstraßen ist und aus lauter massiven Häusern besteht, die
durch Mauerwerk verbunden, durch welche Thorwege in die Gehöfte führen,
kein Ausbreiten gestatteten. So viel ich mich erinnere, war ohngefähr in der
Mitte des Dorfes eine einzige Quergasse. Hier waren an achttausend Men¬
schen zusammen gedrängt, und um die Passage noch mehr zu erschweren, stan¬
den vor den Ausgängen dieser einzigen Querstraße große Wagen aufgefahren,
eine wahrscheinlich von den Franzosen befohlne Vcrsperrung durch die Ein¬
wohner. Diese großen schweren Karren hinderten uns am Vorbeigehen. Wie
ich nachher erfahren habe, war es nur eine Voltigeurcompagnie. welche auf
Fußwegen von Landleuten geführt, als wir das Dorf erreichten, sich in die
Zwischenräume zwischen uns und die hinter uns kommenden Russen ganz still
eingedrängt hatte. Uns folgend sprachen sie nicht el" Wort, sondern arbeiteten
stumm mit Bajonnet und Kolben. Gleich nachdem wir beiden Offiziere auf
den Tornistern getragen worden, wurde F. von mir oder ich von ihm los¬
gerissen; zu gleicher Zeit bekam ich einen Kolbenstoß ins Genick, so daß ich zu
Boden stürzte. Ich raffte mich gleich wieder auf, wurde jedoch sogleich von
mehrern Franzosen ergriffen und so gefangen genommen. Ich wurde rein aus¬
geplündert, gab mein bischen Geld -- viel besaß ich nicht -- hin, hatte aber
noch so viel Contenance, meinen Siegelring in den Mund zu nehmen und so zu
retten.




Daß Franzosen unter uns waren, war nun entdeckt, es wurde hin und
wieder geschossen, und beim Blitzen der Schusse sehe ich, wie Franzosen unsern
Major vom Pferde heben. Die Angst gibt mir Riesenkräfte, ich dränge weiter
vorwärts durch unser Bataillon durch und befinde mich, als ich etwas ver¬
schnaufe, im 11. Reserveregiment. Da singen die Franzosen an zu trommeln;
ich erkannte einen Kameraden, den Lieutenant de F.....e, der sagte:
„Ich möchte nur wissen, was die Russen hinter uns zu trommeln haben?" —
„O," erwiderte ich: „lieber Kamerad, das sind keine Russen, das sind Fran¬
zosen! mich haben sie schon zweimal gehabt." Wir kannten einander noch
nicht persönlich, aber wir tauschten hier unsere Namen, beschlossen treu an
einander zu halten, machten Brüderschaft, faßten uns fest unterm Arm, er auf
der Unken, ich auf der rechten Seite, und strebten so durch das Gedränge, das
immer dichter wurde, vorwärts. Wenige Schritte hinter uns hörten wir schimpfen.
Wehgeschrei, Klirren der Gewehre an einander, wie wenn sie an die Erde
fallen, Stoßen und Schlagen mit den Kolben. Nach ^jedem solchen Auftritt
wurde das Gedränge dichter, wir rissen mit den freien Armen rechts und links
Alles aus dem Wege und drangen vorwärts. Aber bald wurde die Unordnung
so groß, daß wir emporgehoben, durch die Tornister der Leute gehalten und
so im wahren Sinne des Worts getragen wurden. Etoges ist ein langes Dorf,
das fast ohne Querstraßen ist und aus lauter massiven Häusern besteht, die
durch Mauerwerk verbunden, durch welche Thorwege in die Gehöfte führen,
kein Ausbreiten gestatteten. So viel ich mich erinnere, war ohngefähr in der
Mitte des Dorfes eine einzige Quergasse. Hier waren an achttausend Men¬
schen zusammen gedrängt, und um die Passage noch mehr zu erschweren, stan¬
den vor den Ausgängen dieser einzigen Querstraße große Wagen aufgefahren,
eine wahrscheinlich von den Franzosen befohlne Vcrsperrung durch die Ein¬
wohner. Diese großen schweren Karren hinderten uns am Vorbeigehen. Wie
ich nachher erfahren habe, war es nur eine Voltigeurcompagnie. welche auf
Fußwegen von Landleuten geführt, als wir das Dorf erreichten, sich in die
Zwischenräume zwischen uns und die hinter uns kommenden Russen ganz still
eingedrängt hatte. Uns folgend sprachen sie nicht el» Wort, sondern arbeiteten
stumm mit Bajonnet und Kolben. Gleich nachdem wir beiden Offiziere auf
den Tornistern getragen worden, wurde F. von mir oder ich von ihm los¬
gerissen; zu gleicher Zeit bekam ich einen Kolbenstoß ins Genick, so daß ich zu
Boden stürzte. Ich raffte mich gleich wieder auf, wurde jedoch sogleich von
mehrern Franzosen ergriffen und so gefangen genommen. Ich wurde rein aus¬
geplündert, gab mein bischen Geld — viel besaß ich nicht — hin, hatte aber
noch so viel Contenance, meinen Siegelring in den Mund zu nehmen und so zu
retten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/23>, abgerufen am 24.07.2024.