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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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den 14., 15. und 16, September, rangen darauf die Parteien in der Paulskirche
mit einander; mit äußerster Anstrengung warfen sich die Redner der Linken der
Anerkennung des Waffenstillstands entgegen; auf der anderen Seite schaarte sich
namentlich der größere Theil der preußischen Abgeordneten; aber auch Schleswig-
Holstciner beugten sich vor den Gründen, welche hier ins Gewicht sielen, und
vier von ihnen selbst waren Urheber des Antrags, mit dessen schließlicher An¬
nahme die Verwerfung des Waffenstillstandes abgewiesen, die Anerkennung im
Wesentlichen ausgesprochen wurde. Vor dem ganz Unberechenbaren, was aus
einem Verwerfungsbcschlusse sich hätte entwickeln mögen, war damit Deutschland
bewahrt; freilich wie nun die Entscheidung gefallen, so lag in derselben eine
Niederlage der Nationalversammlung gegenüber einer deutschen Einzelmacht,
von welcher sich die erstere nicht wieder erholt hat. Der sinnlose Straßcnkampf,
der sich am 18. September in. Frankfurt entspann, konnte am wenigsten
das Verlorene retten; vielmehr diente der Eindruck, den dieser Aufstand, den
vorzüglich die scheußliche Ermordung Auerswalds und Lichnowslys hervorbrachte,
nur zur sofortigen Verstärkung des Nachdrucks in der eintretenden reactionären
Wendung der Dinge, durch welche noch vor Ablauf eines Jahres die National¬
versammlung selbst hinweggerafft zu werden bestimmt war.

Sobald der Waffenstillstand die Anerkennung der deutschen Nationalversamm¬
lung erhalten hatte, konnte Schleswig-Holstein um so weniger "N die Fortsetzung
eines directen Widerstreben" denken, als Wrangel sich hatte vernehmen lassen,
daß auch er, wenn schon höchst ungern, im Nothfalle den Stillstand mit Gewalt
durchsetzen werde. Indeß gestalteten sich merkwürdigerweise die Folgen des un¬
seligen Vertrages eben in dem Lande, auf dessen Verhältnisse er sich bezog, über
Erwartung leidlich. Eine Anstrengung, die noch am 18. September der hart¬
näckige Graf Moltke von der Insel Alsen aus machte, in der herrschenden Un¬
gewißheit der Dinge die Regierung der Herzogtümer für sich und zwei Ge¬
nossen unter dem Titel einer Jmmediatcommission zu usurpircn, scheiterte völlig.
Dieser Versuch war eine Verletzung des Waffenstillstandes von dänischer Seite;
Dänemark aber mußte nicht blos auf ihn verzichten, sondern wurde nun von
der preußischen Regierung dahin gebracht, sich einen Ausweg aus der Verwirrung
gefallen zu lassen, dessen Gedanke in Verum durch die provisorische Negierung
angeregt worden war. Den Grafen Moltke aufgebend, überließ man es der
Schleswig-holsteinischen Landesversammlung, aus den Männern, welche durch den
Waffenstillstandsvertrag theils zu Mitgliedern der künftigen "gemeinschaftlichen
Negierung", theils zu Stellvertretern bestimmt waren, fünf auszuwählen, damit
aus diesen die gemeinschaftliche Regierung gebUdet werde. Diese fünf aber,
an ihrer Spitze der Graf Reventlow-Jersbeck, erklärten sofort nur unter der
Bedingung anzunehmen, daß ihnen gestattet sei. nach dem kürzlich beschlossenen
Staatsgrundgesetze zu regieren. Auch konnte ja in der That eine Regierung,


Grenzboten I. 1804. 28

den 14., 15. und 16, September, rangen darauf die Parteien in der Paulskirche
mit einander; mit äußerster Anstrengung warfen sich die Redner der Linken der
Anerkennung des Waffenstillstands entgegen; auf der anderen Seite schaarte sich
namentlich der größere Theil der preußischen Abgeordneten; aber auch Schleswig-
Holstciner beugten sich vor den Gründen, welche hier ins Gewicht sielen, und
vier von ihnen selbst waren Urheber des Antrags, mit dessen schließlicher An¬
nahme die Verwerfung des Waffenstillstandes abgewiesen, die Anerkennung im
Wesentlichen ausgesprochen wurde. Vor dem ganz Unberechenbaren, was aus
einem Verwerfungsbcschlusse sich hätte entwickeln mögen, war damit Deutschland
bewahrt; freilich wie nun die Entscheidung gefallen, so lag in derselben eine
Niederlage der Nationalversammlung gegenüber einer deutschen Einzelmacht,
von welcher sich die erstere nicht wieder erholt hat. Der sinnlose Straßcnkampf,
der sich am 18. September in. Frankfurt entspann, konnte am wenigsten
das Verlorene retten; vielmehr diente der Eindruck, den dieser Aufstand, den
vorzüglich die scheußliche Ermordung Auerswalds und Lichnowslys hervorbrachte,
nur zur sofortigen Verstärkung des Nachdrucks in der eintretenden reactionären
Wendung der Dinge, durch welche noch vor Ablauf eines Jahres die National¬
versammlung selbst hinweggerafft zu werden bestimmt war.

Sobald der Waffenstillstand die Anerkennung der deutschen Nationalversamm¬
lung erhalten hatte, konnte Schleswig-Holstein um so weniger «N die Fortsetzung
eines directen Widerstreben« denken, als Wrangel sich hatte vernehmen lassen,
daß auch er, wenn schon höchst ungern, im Nothfalle den Stillstand mit Gewalt
durchsetzen werde. Indeß gestalteten sich merkwürdigerweise die Folgen des un¬
seligen Vertrages eben in dem Lande, auf dessen Verhältnisse er sich bezog, über
Erwartung leidlich. Eine Anstrengung, die noch am 18. September der hart¬
näckige Graf Moltke von der Insel Alsen aus machte, in der herrschenden Un¬
gewißheit der Dinge die Regierung der Herzogtümer für sich und zwei Ge¬
nossen unter dem Titel einer Jmmediatcommission zu usurpircn, scheiterte völlig.
Dieser Versuch war eine Verletzung des Waffenstillstandes von dänischer Seite;
Dänemark aber mußte nicht blos auf ihn verzichten, sondern wurde nun von
der preußischen Regierung dahin gebracht, sich einen Ausweg aus der Verwirrung
gefallen zu lassen, dessen Gedanke in Verum durch die provisorische Negierung
angeregt worden war. Den Grafen Moltke aufgebend, überließ man es der
Schleswig-holsteinischen Landesversammlung, aus den Männern, welche durch den
Waffenstillstandsvertrag theils zu Mitgliedern der künftigen „gemeinschaftlichen
Negierung", theils zu Stellvertretern bestimmt waren, fünf auszuwählen, damit
aus diesen die gemeinschaftliche Regierung gebUdet werde. Diese fünf aber,
an ihrer Spitze der Graf Reventlow-Jersbeck, erklärten sofort nur unter der
Bedingung anzunehmen, daß ihnen gestattet sei. nach dem kürzlich beschlossenen
Staatsgrundgesetze zu regieren. Auch konnte ja in der That eine Regierung,


Grenzboten I. 1804. 28
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[0227] den 14., 15. und 16, September, rangen darauf die Parteien in der Paulskirche mit einander; mit äußerster Anstrengung warfen sich die Redner der Linken der Anerkennung des Waffenstillstands entgegen; auf der anderen Seite schaarte sich namentlich der größere Theil der preußischen Abgeordneten; aber auch Schleswig- Holstciner beugten sich vor den Gründen, welche hier ins Gewicht sielen, und vier von ihnen selbst waren Urheber des Antrags, mit dessen schließlicher An¬ nahme die Verwerfung des Waffenstillstandes abgewiesen, die Anerkennung im Wesentlichen ausgesprochen wurde. Vor dem ganz Unberechenbaren, was aus einem Verwerfungsbcschlusse sich hätte entwickeln mögen, war damit Deutschland bewahrt; freilich wie nun die Entscheidung gefallen, so lag in derselben eine Niederlage der Nationalversammlung gegenüber einer deutschen Einzelmacht, von welcher sich die erstere nicht wieder erholt hat. Der sinnlose Straßcnkampf, der sich am 18. September in. Frankfurt entspann, konnte am wenigsten das Verlorene retten; vielmehr diente der Eindruck, den dieser Aufstand, den vorzüglich die scheußliche Ermordung Auerswalds und Lichnowslys hervorbrachte, nur zur sofortigen Verstärkung des Nachdrucks in der eintretenden reactionären Wendung der Dinge, durch welche noch vor Ablauf eines Jahres die National¬ versammlung selbst hinweggerafft zu werden bestimmt war. Sobald der Waffenstillstand die Anerkennung der deutschen Nationalversamm¬ lung erhalten hatte, konnte Schleswig-Holstein um so weniger «N die Fortsetzung eines directen Widerstreben« denken, als Wrangel sich hatte vernehmen lassen, daß auch er, wenn schon höchst ungern, im Nothfalle den Stillstand mit Gewalt durchsetzen werde. Indeß gestalteten sich merkwürdigerweise die Folgen des un¬ seligen Vertrages eben in dem Lande, auf dessen Verhältnisse er sich bezog, über Erwartung leidlich. Eine Anstrengung, die noch am 18. September der hart¬ näckige Graf Moltke von der Insel Alsen aus machte, in der herrschenden Un¬ gewißheit der Dinge die Regierung der Herzogtümer für sich und zwei Ge¬ nossen unter dem Titel einer Jmmediatcommission zu usurpircn, scheiterte völlig. Dieser Versuch war eine Verletzung des Waffenstillstandes von dänischer Seite; Dänemark aber mußte nicht blos auf ihn verzichten, sondern wurde nun von der preußischen Regierung dahin gebracht, sich einen Ausweg aus der Verwirrung gefallen zu lassen, dessen Gedanke in Verum durch die provisorische Negierung angeregt worden war. Den Grafen Moltke aufgebend, überließ man es der Schleswig-holsteinischen Landesversammlung, aus den Männern, welche durch den Waffenstillstandsvertrag theils zu Mitgliedern der künftigen „gemeinschaftlichen Negierung", theils zu Stellvertretern bestimmt waren, fünf auszuwählen, damit aus diesen die gemeinschaftliche Regierung gebUdet werde. Diese fünf aber, an ihrer Spitze der Graf Reventlow-Jersbeck, erklärten sofort nur unter der Bedingung anzunehmen, daß ihnen gestattet sei. nach dem kürzlich beschlossenen Staatsgrundgesetze zu regieren. Auch konnte ja in der That eine Regierung, Grenzboten I. 1804. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/227>, abgerufen am 24.07.2024.