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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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schaffene Centralgewalt und für die Schöpferin derselben, die deutsche National¬
versammlung, wenn sie es ruhig hinnahmen, daß der deutsche Staat Preußen
sich durch die außerdeutschen Mächte zu einem solchen Gebahren mit d,er ge¬
gebenen Vollmacht hatte hinreißen lassen? Was noch im Einzelnen erzählt ward
über die leichtfertig gefällige Haltung, die der Reichsminister Heckscher Preußen
gegenüber angenommen habe, was ferner bekannt ward über die Behandlung,
welche die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins von dem preußischen
Cabinet erfahren, über die Eile und Rücksichtslosigkeit, mit welcher sofort nach
dem Abschluß des Waffenstillstandes der Rückmarsch der preußischen Truppen
begann -- das diente dazu die Entrüstung mächtig zu steigern und ihr noch
bestimmtere Zielpunkte zu geben. Andererseits aber -- sollte diese neue, in
sich noch unsi^M Centralgewalt durch Nichtanerkennung des Waffenstillstands die
Feindseligkeit d?^ halben Europa, vor welcher Preußen zurückgeschreckt war, sollte
sie dazu noch Preußens eigene Feindschaft auf sich laden und sich in unabsehbare
Wirren stürzen? Das Ministerium des Reichsverwesers brachte die Frage über
Anerkennung des Waffenstillstands an die Nationalversammlung, erklärte jedoch
im Falle der Verwerfung abtreten zu wollen. Am S. September kam es in
der Versammlung zum ernsten Kampfe. Vorzüglich auf Dahlmanns gewichtiges
Wort entschied die Versammlung, daß der Hauptbcschluß über Anerkennung
oder Nichtanerkennung noch auszusehen, einstweilen aber mit den Ausführungs¬
maßregeln innezuhalten sei. Das Ministerium des Reichsverwesers sah dies als
eine Verwerfung an; es legte nieder und der Reichsverweser forderte Dahl-
mann zur Bildung eines neuen Cabinets auf.

Sowie mau zu Frankfurt, selbst in der Negierung des Reichsverwesers,
bis zum Abschluß des Stillstands über den Gang der Unterhandlungen höchst
mangelhaft unterrichtet gewesen war, so hatte man auch in Schleswig-
Holstein den ganzen August hindurch jeder gehörigen Kunde entbehrt. Um b>e
Mitte des Monats, als in Malmö die letzten zum Abschluß führenden Con-
ferenzen begannen, war die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Landes-
versammlung in Kiel eröffnet worden; damals indeß hatte das Reichsministerium
selbst, in der Besorgnis;, durch die dortigen Verathungen und Beschlüsse mochte
den Waffenstillstaudsverhandlungen eine Erschwerung bereitet werden, seinen
Einfluß bei der provisorischen Negierung auf Vertagung der Versammlung ver¬
wendet. Als nun aber, zu Anfang September, die schlimmen Nachrichten ein¬
trafen, erhob sich in dem Lande ein mächtiger Sturm des Unwillens. Sofort
trat, am 4. September, die Landesversammlung wieder in Kiel zusammen, und
es geschah das Mögliche, den Waffenstillstand selbst abzuwenden oder doch den
übelsten Folgen desselben im Voraus zu begegnen. Durch eine Anzahl von
Beschlüssen war man bemüht, sich gegen Einsetzung einer mißliebigen Negierung,
gegen Auflösung der Versammlung selbst und Aehnliches zu verwahren; ganz


schaffene Centralgewalt und für die Schöpferin derselben, die deutsche National¬
versammlung, wenn sie es ruhig hinnahmen, daß der deutsche Staat Preußen
sich durch die außerdeutschen Mächte zu einem solchen Gebahren mit d,er ge¬
gebenen Vollmacht hatte hinreißen lassen? Was noch im Einzelnen erzählt ward
über die leichtfertig gefällige Haltung, die der Reichsminister Heckscher Preußen
gegenüber angenommen habe, was ferner bekannt ward über die Behandlung,
welche die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins von dem preußischen
Cabinet erfahren, über die Eile und Rücksichtslosigkeit, mit welcher sofort nach
dem Abschluß des Waffenstillstandes der Rückmarsch der preußischen Truppen
begann — das diente dazu die Entrüstung mächtig zu steigern und ihr noch
bestimmtere Zielpunkte zu geben. Andererseits aber — sollte diese neue, in
sich noch unsi^M Centralgewalt durch Nichtanerkennung des Waffenstillstands die
Feindseligkeit d?^ halben Europa, vor welcher Preußen zurückgeschreckt war, sollte
sie dazu noch Preußens eigene Feindschaft auf sich laden und sich in unabsehbare
Wirren stürzen? Das Ministerium des Reichsverwesers brachte die Frage über
Anerkennung des Waffenstillstands an die Nationalversammlung, erklärte jedoch
im Falle der Verwerfung abtreten zu wollen. Am S. September kam es in
der Versammlung zum ernsten Kampfe. Vorzüglich auf Dahlmanns gewichtiges
Wort entschied die Versammlung, daß der Hauptbcschluß über Anerkennung
oder Nichtanerkennung noch auszusehen, einstweilen aber mit den Ausführungs¬
maßregeln innezuhalten sei. Das Ministerium des Reichsverwesers sah dies als
eine Verwerfung an; es legte nieder und der Reichsverweser forderte Dahl-
mann zur Bildung eines neuen Cabinets auf.

Sowie mau zu Frankfurt, selbst in der Negierung des Reichsverwesers,
bis zum Abschluß des Stillstands über den Gang der Unterhandlungen höchst
mangelhaft unterrichtet gewesen war, so hatte man auch in Schleswig-
Holstein den ganzen August hindurch jeder gehörigen Kunde entbehrt. Um b>e
Mitte des Monats, als in Malmö die letzten zum Abschluß führenden Con-
ferenzen begannen, war die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Landes-
versammlung in Kiel eröffnet worden; damals indeß hatte das Reichsministerium
selbst, in der Besorgnis;, durch die dortigen Verathungen und Beschlüsse mochte
den Waffenstillstaudsverhandlungen eine Erschwerung bereitet werden, seinen
Einfluß bei der provisorischen Negierung auf Vertagung der Versammlung ver¬
wendet. Als nun aber, zu Anfang September, die schlimmen Nachrichten ein¬
trafen, erhob sich in dem Lande ein mächtiger Sturm des Unwillens. Sofort
trat, am 4. September, die Landesversammlung wieder in Kiel zusammen, und
es geschah das Mögliche, den Waffenstillstand selbst abzuwenden oder doch den
übelsten Folgen desselben im Voraus zu begegnen. Durch eine Anzahl von
Beschlüssen war man bemüht, sich gegen Einsetzung einer mißliebigen Negierung,
gegen Auflösung der Versammlung selbst und Aehnliches zu verwahren; ganz


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[0225] schaffene Centralgewalt und für die Schöpferin derselben, die deutsche National¬ versammlung, wenn sie es ruhig hinnahmen, daß der deutsche Staat Preußen sich durch die außerdeutschen Mächte zu einem solchen Gebahren mit d,er ge¬ gebenen Vollmacht hatte hinreißen lassen? Was noch im Einzelnen erzählt ward über die leichtfertig gefällige Haltung, die der Reichsminister Heckscher Preußen gegenüber angenommen habe, was ferner bekannt ward über die Behandlung, welche die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins von dem preußischen Cabinet erfahren, über die Eile und Rücksichtslosigkeit, mit welcher sofort nach dem Abschluß des Waffenstillstandes der Rückmarsch der preußischen Truppen begann — das diente dazu die Entrüstung mächtig zu steigern und ihr noch bestimmtere Zielpunkte zu geben. Andererseits aber — sollte diese neue, in sich noch unsi^M Centralgewalt durch Nichtanerkennung des Waffenstillstands die Feindseligkeit d?^ halben Europa, vor welcher Preußen zurückgeschreckt war, sollte sie dazu noch Preußens eigene Feindschaft auf sich laden und sich in unabsehbare Wirren stürzen? Das Ministerium des Reichsverwesers brachte die Frage über Anerkennung des Waffenstillstands an die Nationalversammlung, erklärte jedoch im Falle der Verwerfung abtreten zu wollen. Am S. September kam es in der Versammlung zum ernsten Kampfe. Vorzüglich auf Dahlmanns gewichtiges Wort entschied die Versammlung, daß der Hauptbcschluß über Anerkennung oder Nichtanerkennung noch auszusehen, einstweilen aber mit den Ausführungs¬ maßregeln innezuhalten sei. Das Ministerium des Reichsverwesers sah dies als eine Verwerfung an; es legte nieder und der Reichsverweser forderte Dahl- mann zur Bildung eines neuen Cabinets auf. Sowie mau zu Frankfurt, selbst in der Negierung des Reichsverwesers, bis zum Abschluß des Stillstands über den Gang der Unterhandlungen höchst mangelhaft unterrichtet gewesen war, so hatte man auch in Schleswig- Holstein den ganzen August hindurch jeder gehörigen Kunde entbehrt. Um b>e Mitte des Monats, als in Malmö die letzten zum Abschluß führenden Con- ferenzen begannen, war die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Landes- versammlung in Kiel eröffnet worden; damals indeß hatte das Reichsministerium selbst, in der Besorgnis;, durch die dortigen Verathungen und Beschlüsse mochte den Waffenstillstaudsverhandlungen eine Erschwerung bereitet werden, seinen Einfluß bei der provisorischen Negierung auf Vertagung der Versammlung ver¬ wendet. Als nun aber, zu Anfang September, die schlimmen Nachrichten ein¬ trafen, erhob sich in dem Lande ein mächtiger Sturm des Unwillens. Sofort trat, am 4. September, die Landesversammlung wieder in Kiel zusammen, und es geschah das Mögliche, den Waffenstillstand selbst abzuwenden oder doch den übelsten Folgen desselben im Voraus zu begegnen. Durch eine Anzahl von Beschlüssen war man bemüht, sich gegen Einsetzung einer mißliebigen Negierung, gegen Auflösung der Versammlung selbst und Aehnliches zu verwahren; ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/225>, abgerufen am 24.07.2024.