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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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trächtigungen empfand, zu einer ganz offenbaren Nichtberücksichtigung der
Centralgewalt in der gegenwärtigen Angelegenheit zu drängen, so war ein
Zerwürfniß zwischen der preußischen Regierung und der deutschen National¬
versammlung mit Wahrscheinlichkeit gegeben, und der deutschen Nation mochte
die Hoffnung, sich durch ein bestimmtes Organ mit Nachdruck als eine Einheit
auch nach außen hin geltend zu machen, gleich von Anfang an recht gründlich
verdorben werden. Und was dabei für Dänemark das Günstigste -- auch in
diesem Widerstände gegen die Einmischung der deutschen Centralgewalt hatte
es alle nichtdeutschen Mächte auf seiner Seite. Man begreift, daß Schweden
in seiner Vermittlerrolle dies neue Hemmniß des Vermittelungsgeschäfts mit
ungünstigen Augen ansah; man begreift ferner, daß England, schon um seines
Handels willen immer begieriger nach Wiederherstellung des Friedens im Nor¬
den verlangend, die nahe Aussicht darauf sich am wenigsten durch Hereinziehung
einer kaum geschaffenen, allerhand Schwankungen unterworfenen Gewalt im
Innern von Deutschland verkümmern lassen wollte. Aber es mochte scheinen,
als ob überhaupt alle alten Mächte von Europa in dieser neuen Macht, welche
als deutsche Centralgewalt unter sie treten und der Ausgangspunkt einer deutsch-
nationalen Entwickelung werden sollte, nur eine Beeinträchtigung für das
eigene Gewicht und die eigenen Interessen, nur ein Element der Störung
für alle gewohnten politischen Berechnungen und Anschauungen erblickten.
Legte doch auch das republikanische Frankreich, das sich bisher gegen den gan¬
zen deutsch-dänischen Handel ziemlich gleichgiltig verhalten hatte, eben jetzt mit
vielem Nachdruck seine Stimme zu Gunsten Dänemarks in die Wagschale.

Schwer und empfindlich kamen nun alle diese Verhältnisse auf die preußi¬
sche Regierung zu fallen. Allgemein hieß es, sie sei gebunden durch den Ver¬
trag vom 2. Juli. Von Schweden schien eine sofortige Theilnahme am Kriege
zu erwarten; Nußland drohte ernstlicher als je, und England, gereizt schon da¬
durch, daß Preußen die schwedische Vermittlung statt der englischen angenommen,
rügte in ernstester Weise die Schwierigkeiten, die fort und fort von preußischer
Seite her erwüchsen, "während von der andern Seite so viel versöhnlicher Geist,
wenigstens in der letztern Zeit, gezeigt worden". Dem Erscheinen einer russischen,
einer englischen und vielleicht selbst einer französischen Flotte in Ost- und Nordsee
glaubte man entgegensehen zu müssen. In Frankfurt betrachtete man die Unter¬
handlungen als abgebrochen und die Centralgewalt wies den General Wrangel
aus 37,000 Mann Verstärkungen an; aus den verschiedensten Theilen von
Deutschland wurden sie gegen.den Norden hin in Bewegung gesetzt. In der
preußischen Regierung jedoch wuchs der Widerwille gegen die Weiterführung
des Krieges mit jedem Tage, und am wenigsten war die Stimmung gegen die
Centralgewalt von der Art, daß man dieser zu Liebe sich neuen Schwierigkeiten
ausgesetzt hätte. Um indeß, während man seinem Ziele zusteuerte, doch nicht


trächtigungen empfand, zu einer ganz offenbaren Nichtberücksichtigung der
Centralgewalt in der gegenwärtigen Angelegenheit zu drängen, so war ein
Zerwürfniß zwischen der preußischen Regierung und der deutschen National¬
versammlung mit Wahrscheinlichkeit gegeben, und der deutschen Nation mochte
die Hoffnung, sich durch ein bestimmtes Organ mit Nachdruck als eine Einheit
auch nach außen hin geltend zu machen, gleich von Anfang an recht gründlich
verdorben werden. Und was dabei für Dänemark das Günstigste — auch in
diesem Widerstände gegen die Einmischung der deutschen Centralgewalt hatte
es alle nichtdeutschen Mächte auf seiner Seite. Man begreift, daß Schweden
in seiner Vermittlerrolle dies neue Hemmniß des Vermittelungsgeschäfts mit
ungünstigen Augen ansah; man begreift ferner, daß England, schon um seines
Handels willen immer begieriger nach Wiederherstellung des Friedens im Nor¬
den verlangend, die nahe Aussicht darauf sich am wenigsten durch Hereinziehung
einer kaum geschaffenen, allerhand Schwankungen unterworfenen Gewalt im
Innern von Deutschland verkümmern lassen wollte. Aber es mochte scheinen,
als ob überhaupt alle alten Mächte von Europa in dieser neuen Macht, welche
als deutsche Centralgewalt unter sie treten und der Ausgangspunkt einer deutsch-
nationalen Entwickelung werden sollte, nur eine Beeinträchtigung für das
eigene Gewicht und die eigenen Interessen, nur ein Element der Störung
für alle gewohnten politischen Berechnungen und Anschauungen erblickten.
Legte doch auch das republikanische Frankreich, das sich bisher gegen den gan¬
zen deutsch-dänischen Handel ziemlich gleichgiltig verhalten hatte, eben jetzt mit
vielem Nachdruck seine Stimme zu Gunsten Dänemarks in die Wagschale.

Schwer und empfindlich kamen nun alle diese Verhältnisse auf die preußi¬
sche Regierung zu fallen. Allgemein hieß es, sie sei gebunden durch den Ver¬
trag vom 2. Juli. Von Schweden schien eine sofortige Theilnahme am Kriege
zu erwarten; Nußland drohte ernstlicher als je, und England, gereizt schon da¬
durch, daß Preußen die schwedische Vermittlung statt der englischen angenommen,
rügte in ernstester Weise die Schwierigkeiten, die fort und fort von preußischer
Seite her erwüchsen, „während von der andern Seite so viel versöhnlicher Geist,
wenigstens in der letztern Zeit, gezeigt worden". Dem Erscheinen einer russischen,
einer englischen und vielleicht selbst einer französischen Flotte in Ost- und Nordsee
glaubte man entgegensehen zu müssen. In Frankfurt betrachtete man die Unter¬
handlungen als abgebrochen und die Centralgewalt wies den General Wrangel
aus 37,000 Mann Verstärkungen an; aus den verschiedensten Theilen von
Deutschland wurden sie gegen.den Norden hin in Bewegung gesetzt. In der
preußischen Regierung jedoch wuchs der Widerwille gegen die Weiterführung
des Krieges mit jedem Tage, und am wenigsten war die Stimmung gegen die
Centralgewalt von der Art, daß man dieser zu Liebe sich neuen Schwierigkeiten
ausgesetzt hätte. Um indeß, während man seinem Ziele zusteuerte, doch nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/222>, abgerufen am 24.07.2024.