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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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preiszugeben? Giebt es in der Theil eine preußische Partei, in der der alte
Preußenstolz so sehr ausgestorben ist, daß ihr die Antwort auf jene Frage nur
einen Augenblick zweifelhaft ist? Daß man die Schwäche einer unglückseligen
Politik nachträglich dadurch zu entschuldigen sucht, daß man sie als einen
Act freiwilliger Buße darstellt, war zwar neu, aber immerhin für den begreiflich,
der die doctrinäre Hypokrisie unserer Feudalen kennt; daß man die erlittene
Demüthigung wie eine köstliche Frucht hegt und pflegt, und es Frankreichs
zweideutiger Theilnahme überläßt, die Rechte Deutschlands zu betonen , ist
selbst denen überraschend, welche den feudalen Tendenzen jede mögliche Unge¬
reimtheit zugetraut haben.

Ein anderer Grund, aus dem das Festhalten an dem londoner Protokolle
als eine heilsame Politik gepriesen wird, ist der, daß auf diesem Wege ein
EinVerständniß mit Oestreich erreicht sei. Indessen wollte man um jeden Preis
ein EinVerständniß mit Oestreich haben, weshalb hat man denn die Einladung
des Kaisers Franz Joseph zum Fürstentage abgelehnt? Wir haben seiner Zeit
die Ablehnung dieser Einladung entschieden gebilligt, nicht blos weil wir das
ganze Rcformproject für nicht lebensfähig hielten, sondern auch weil das Preußen
auferlegte Opfer in gar keinem Verhältnisse stand zu den Vortheilen, die Preußen
aus einer Einigung mit Oestreich gewinnen kann. Nun fragen wir aber, ist
denn das Opfer, welches man gegenwärtig sich selbst auferlegt, geringer, ist es
nicht vielmehr unendlich größer, als das damals uns von Oestreich angesonnenc?
Wir können uns hier jeden Beweis ersparen, wir können uns berufen auf die
Besorgnisse, mit der wiener Blätter im Anfange der Verwicklung ein einseitiges
Vorgehen Preußens erwarteten, auf das in Oestreich weit verbreitete klare Be¬
wußtsein von den Vortheilen, die eine Lösung der Frage im nationalen Sinne
für Preußen haben würde. Es giebt gewiß keine leichtere Aufgabe in der
Politik, als sich einen alten Rivalen dadurch zum Freunde zu machen, daß man
ihm seine eigenen Interessen ohne jedes Aequivalent aufopfert. Oder sollte
die den Mittclstaaten ertheilte Lection etwa ein Aequivalent für den Nachtheil
sein, die Herzogthümer Dänemark zu überlassen? Daß die preußische Regierung
keine freundlichen Gesinnungen gegen die Mittelstaaten hegt, ist sehr erklärlich.
Indessen sollte man glauben, daß es eine glänzendere Genugthuung für Preußen
gar nicht geben könne, als eben diese feindlich gesinnten Elemente unter preußi¬
scher Führung zu einem nationalen Unternehmen zu vereinigen, wie es andrer¬
seits das gefährlichste Experiment für Preußen ist, die Mittelstaaten durch eine
antinationale Politik zu alleinigen Vertretern der nationalen Idee zu machen,
und das in einem Augenblicke, wo der Erbe ihres alten Protectors sich beeilt,
ihren nationalen Bestrebungen, und sei es auch nur zum Scheine und in eigen¬
nützigster Absicht, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die gegenwärtig von den
beiden Großmächten betriebene Politik kann, falls sie bis zu ihren äußersten


preiszugeben? Giebt es in der Theil eine preußische Partei, in der der alte
Preußenstolz so sehr ausgestorben ist, daß ihr die Antwort auf jene Frage nur
einen Augenblick zweifelhaft ist? Daß man die Schwäche einer unglückseligen
Politik nachträglich dadurch zu entschuldigen sucht, daß man sie als einen
Act freiwilliger Buße darstellt, war zwar neu, aber immerhin für den begreiflich,
der die doctrinäre Hypokrisie unserer Feudalen kennt; daß man die erlittene
Demüthigung wie eine köstliche Frucht hegt und pflegt, und es Frankreichs
zweideutiger Theilnahme überläßt, die Rechte Deutschlands zu betonen , ist
selbst denen überraschend, welche den feudalen Tendenzen jede mögliche Unge¬
reimtheit zugetraut haben.

Ein anderer Grund, aus dem das Festhalten an dem londoner Protokolle
als eine heilsame Politik gepriesen wird, ist der, daß auf diesem Wege ein
EinVerständniß mit Oestreich erreicht sei. Indessen wollte man um jeden Preis
ein EinVerständniß mit Oestreich haben, weshalb hat man denn die Einladung
des Kaisers Franz Joseph zum Fürstentage abgelehnt? Wir haben seiner Zeit
die Ablehnung dieser Einladung entschieden gebilligt, nicht blos weil wir das
ganze Rcformproject für nicht lebensfähig hielten, sondern auch weil das Preußen
auferlegte Opfer in gar keinem Verhältnisse stand zu den Vortheilen, die Preußen
aus einer Einigung mit Oestreich gewinnen kann. Nun fragen wir aber, ist
denn das Opfer, welches man gegenwärtig sich selbst auferlegt, geringer, ist es
nicht vielmehr unendlich größer, als das damals uns von Oestreich angesonnenc?
Wir können uns hier jeden Beweis ersparen, wir können uns berufen auf die
Besorgnisse, mit der wiener Blätter im Anfange der Verwicklung ein einseitiges
Vorgehen Preußens erwarteten, auf das in Oestreich weit verbreitete klare Be¬
wußtsein von den Vortheilen, die eine Lösung der Frage im nationalen Sinne
für Preußen haben würde. Es giebt gewiß keine leichtere Aufgabe in der
Politik, als sich einen alten Rivalen dadurch zum Freunde zu machen, daß man
ihm seine eigenen Interessen ohne jedes Aequivalent aufopfert. Oder sollte
die den Mittclstaaten ertheilte Lection etwa ein Aequivalent für den Nachtheil
sein, die Herzogthümer Dänemark zu überlassen? Daß die preußische Regierung
keine freundlichen Gesinnungen gegen die Mittelstaaten hegt, ist sehr erklärlich.
Indessen sollte man glauben, daß es eine glänzendere Genugthuung für Preußen
gar nicht geben könne, als eben diese feindlich gesinnten Elemente unter preußi¬
scher Führung zu einem nationalen Unternehmen zu vereinigen, wie es andrer¬
seits das gefährlichste Experiment für Preußen ist, die Mittelstaaten durch eine
antinationale Politik zu alleinigen Vertretern der nationalen Idee zu machen,
und das in einem Augenblicke, wo der Erbe ihres alten Protectors sich beeilt,
ihren nationalen Bestrebungen, und sei es auch nur zum Scheine und in eigen¬
nützigster Absicht, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die gegenwärtig von den
beiden Großmächten betriebene Politik kann, falls sie bis zu ihren äußersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/214>, abgerufen am 24.07.2024.