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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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auf den heutigen Tag seine maritime Stellung einschnüren, wenn es die Flan-
kenstellung gewinnt, die, so lange sie in Dänemarks Händen ist, in jedem euro¬
päischen Kriege die halbe preußische Streitmacht sür die Abwehr eines französi¬
schen oder russischen Angriffs elbaufwärts absorbiren würde? Wir meinen im
Gegentheil, es wäre der höchste Triumph für Preußens europäische Stellung,
Holstein zu befreien und damit das diesem unzertrennlich verbundene Schleswig
in den Bereich der deutschen Machtsphäre hineinzuziehen.

Indessen beschränkt man sich allerdings nicht auf die allgemeine Phrase
von der Unterscheidung der europäischen und deutschen Machtstellung Preußens;
man leitet vielmehr in diesem besondern Falle die europäische Verpflichtung
Preußens aus dem londoner Protokolle ab. Und in der That, so hinfällig
das londoner Abkommen auch wegen mangelnder Zustimmung der Nächst-
betheiligtcn ist, so ist doch zuzugeben, daß sich Preußen gegenwärtig in einem Con¬
flicte der schwersten Art zwischen seinen natürlichen, seinem Interesse entspre¬
chenden Pflichten und gegen sein Interesse eingegangenen Verbindlichkeiten.hehl"den
würde, wenn nicht Dänemark durch den offenen fortgesetzten Bruch seiner
Verbindlichkeiten, es von jeder Rücksicht aus die londoner Verträge losgesprochen
hätte. Null und nichtig ist die durch den londoner Vertrag stipulirte Erbfvlge-
ordnung unter allen Umständen, da ihr weder die Stände der Herzogthümer,
noch, für Holstein, der deutsche Bundestag zugestimmt haben, ganz abgesehen
davon, daß auch der Verzicht des Nächstbetheiligten, des gegenwärtigen Herzogs
Friedrich von Schleswig-Holstein, fehlt. Daß auch Preußen ohne jedes völker¬
rechtliche Bedenken, ohne jeden Conflict unverjährbarer Pflichten und in einer
bösen Stunde eingegangener Verbindlichkeiten, sich als völlig befreit von jenen
Stipulationen ansehen kann, das verdankt es dem dänischen Uebermuthe, der
im Vertrauen aus Deutschlands Schwäche die ihm auferlegten Bedingungen
schmählich gebrochen hat. Wir glauben, daß es in der Geschichte ohne Bei¬
spiel dastehen würde, wenn Preußen die ihm von einem gütigem Geschicke
gebotene Gelegenheit, erlittenes Unrecht zu rächen, begangenes Unrecht durch
rasche That zu sühnen, von der Hand weisen wollte. -- Wenn man einwendet,
daß Deutschlands Ansprüche auf Schutz des deutschen Elementes in Schleswig
nur auf den Abmachungen von 18S2 beruhen, so ist darauf einfach zu erwi¬
dern, daß Deutschland zunächst bundcsrechtlich die Pflicht hat, den Herzog von
Augustenburg in seinem Rechte als Herzog von Holstein zu schützen. Ruft der
Herzog von Holstein die Hilfe des Bundes zum Schutze seiner Rechte auf
Schleswig an, so kann dies allerdings zu völkerrechtlichen Verwicklungen führen.
Kann aber die Aussicht auf einen möglichen, falls er überhaupt, was sehr zweifel¬
haft ist, bevorsteht, aller Wahrscheinlichkeit nach unter günstigen Umständen zu
führenden Krieg für Preußen, den berufenen Schirm und Schutz Deutschlands,
ein Grund sein, die bedrohten und bestrittenen Rechte eines Bundeslandes


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auf den heutigen Tag seine maritime Stellung einschnüren, wenn es die Flan-
kenstellung gewinnt, die, so lange sie in Dänemarks Händen ist, in jedem euro¬
päischen Kriege die halbe preußische Streitmacht sür die Abwehr eines französi¬
schen oder russischen Angriffs elbaufwärts absorbiren würde? Wir meinen im
Gegentheil, es wäre der höchste Triumph für Preußens europäische Stellung,
Holstein zu befreien und damit das diesem unzertrennlich verbundene Schleswig
in den Bereich der deutschen Machtsphäre hineinzuziehen.

Indessen beschränkt man sich allerdings nicht auf die allgemeine Phrase
von der Unterscheidung der europäischen und deutschen Machtstellung Preußens;
man leitet vielmehr in diesem besondern Falle die europäische Verpflichtung
Preußens aus dem londoner Protokolle ab. Und in der That, so hinfällig
das londoner Abkommen auch wegen mangelnder Zustimmung der Nächst-
betheiligtcn ist, so ist doch zuzugeben, daß sich Preußen gegenwärtig in einem Con¬
flicte der schwersten Art zwischen seinen natürlichen, seinem Interesse entspre¬
chenden Pflichten und gegen sein Interesse eingegangenen Verbindlichkeiten.hehl»den
würde, wenn nicht Dänemark durch den offenen fortgesetzten Bruch seiner
Verbindlichkeiten, es von jeder Rücksicht aus die londoner Verträge losgesprochen
hätte. Null und nichtig ist die durch den londoner Vertrag stipulirte Erbfvlge-
ordnung unter allen Umständen, da ihr weder die Stände der Herzogthümer,
noch, für Holstein, der deutsche Bundestag zugestimmt haben, ganz abgesehen
davon, daß auch der Verzicht des Nächstbetheiligten, des gegenwärtigen Herzogs
Friedrich von Schleswig-Holstein, fehlt. Daß auch Preußen ohne jedes völker¬
rechtliche Bedenken, ohne jeden Conflict unverjährbarer Pflichten und in einer
bösen Stunde eingegangener Verbindlichkeiten, sich als völlig befreit von jenen
Stipulationen ansehen kann, das verdankt es dem dänischen Uebermuthe, der
im Vertrauen aus Deutschlands Schwäche die ihm auferlegten Bedingungen
schmählich gebrochen hat. Wir glauben, daß es in der Geschichte ohne Bei¬
spiel dastehen würde, wenn Preußen die ihm von einem gütigem Geschicke
gebotene Gelegenheit, erlittenes Unrecht zu rächen, begangenes Unrecht durch
rasche That zu sühnen, von der Hand weisen wollte. — Wenn man einwendet,
daß Deutschlands Ansprüche auf Schutz des deutschen Elementes in Schleswig
nur auf den Abmachungen von 18S2 beruhen, so ist darauf einfach zu erwi¬
dern, daß Deutschland zunächst bundcsrechtlich die Pflicht hat, den Herzog von
Augustenburg in seinem Rechte als Herzog von Holstein zu schützen. Ruft der
Herzog von Holstein die Hilfe des Bundes zum Schutze seiner Rechte auf
Schleswig an, so kann dies allerdings zu völkerrechtlichen Verwicklungen führen.
Kann aber die Aussicht auf einen möglichen, falls er überhaupt, was sehr zweifel¬
haft ist, bevorsteht, aller Wahrscheinlichkeit nach unter günstigen Umständen zu
führenden Krieg für Preußen, den berufenen Schirm und Schutz Deutschlands,
ein Grund sein, die bedrohten und bestrittenen Rechte eines Bundeslandes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/213>, abgerufen am 24.07.2024.