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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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unzünftigcr Verstand es für völlig unbegreiflich halten muß, wie ein preußischer
Minister die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen kann, seinen Staat von
den Verpflichtungen zu befreien, die für Preußen nicht minder drückend find als
für die Herzogtümer, und die, daraus haben unsere Feinde nie ein Hehl ge¬
macht, ausdrücklich darauf berechnet sind, Preußen zu demüthigen. Wir suchen
vergebens nach der Lösung des wunderbaren Räthsels, wie die preußische Di¬
plomatie dazu kommt, es als ihre Ausgabe anzusehen, die Integrität der däni¬
schen Monarchie aufrechtzuerhalten.

Denn alle Gründe, die officiös und officiell für die von der Regierung
beliebte Politik angeführt werden, sind so hinfällig, daß, wenn sie von einem
Gegner der Herzogthümer, etwa dem Grasen Rüssel, vorgebracht würden, um
uns in eine falsche Stellung zu verlocken, man sie höchstens aus diplomatischer
Courtoisie einer Widerlegung für würdig halten würde. Zunächst beruft man
sich auf die besonderen Pflichten und Rechte, die Preußen in seiner Stellung
als europäische Großmacht, und zwar im Gegensatz zu seiner Stellung als
deutsche Macht, habe. Allgemein gefaßt ist aber dieser Gedanke nicht nur sehr
unklar, sondern auch unrichtig. Daß Preußen eine Doppelstellung einnimmt,
kann und soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden; auch das ist eine un¬
bestreitbare Thatsache, daß Deutschland vorzugsweise durch die Doppelstellung
seiner Großmächte mit der allgemeinen europäischen Politik zusammenhängt.
Nun erkennen wir gern an. daß in dieser Doppelstellung eine große Gefahr
für Preußen liegt, nämlich die. daß es durch die friedliebende vis iruzrtme
des deutschen Bundes ebensowohl wie durch die Eifersucht desselben in seiner
europäischen Action gehemmt und gehindert werden kann. Ferner liegt die
Gefahr nahe, daß Preußen durch den tendenziösen Eifer eines Theils der deut¬
schen Staaten zu einem Kreuzzuge für östreichische, dem wahren Interesse
Deutschlands widersprechende Bestrebungen fortgerissen werden könnte. Wo da¬
gegen ein klares und auch von dem preußischen Volke anerkanntes Interesse
von Preußen entschlossenes Handeln fordert, kann ein solcher Widerspruch gar
nicht stattfinden; ja nur sind überzeugt, und haben diese Ueberzeugung schon
lange vor dem Tode des Königs Friedrich ausgesprochen, daß ein festes Ein¬
treten für die deutscheste aller deutschen Sachen, die Freiheit der Herzogthümer,
Preußen mit einem Male über alle Schwierigkeiten seiner Doppelstellung hin¬
übersehen würde. Sobald Preußen an der Spitze Deutschlands die Befreiung
der Herzogthümer durchgesetzt haben wird, ist, wie wir glauben, für immer die
Gefahr beseitigt, daß die preußische Politik ihre Stütze gegen eine östreichisch
mittelstaatliche Koalition in einem Anschluß an Nußland oder Frankreich suchen
müßte. Ist das aber ein Widerspruch gegen Preußens europäische Stellung,
wenn es die höchsten, den seinigen durchaus identischen Interessen Deutschlands
Europa gegenüber zur Geltung bringt, wenn es die Bande sprengt, die bis


unzünftigcr Verstand es für völlig unbegreiflich halten muß, wie ein preußischer
Minister die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen kann, seinen Staat von
den Verpflichtungen zu befreien, die für Preußen nicht minder drückend find als
für die Herzogtümer, und die, daraus haben unsere Feinde nie ein Hehl ge¬
macht, ausdrücklich darauf berechnet sind, Preußen zu demüthigen. Wir suchen
vergebens nach der Lösung des wunderbaren Räthsels, wie die preußische Di¬
plomatie dazu kommt, es als ihre Ausgabe anzusehen, die Integrität der däni¬
schen Monarchie aufrechtzuerhalten.

Denn alle Gründe, die officiös und officiell für die von der Regierung
beliebte Politik angeführt werden, sind so hinfällig, daß, wenn sie von einem
Gegner der Herzogthümer, etwa dem Grasen Rüssel, vorgebracht würden, um
uns in eine falsche Stellung zu verlocken, man sie höchstens aus diplomatischer
Courtoisie einer Widerlegung für würdig halten würde. Zunächst beruft man
sich auf die besonderen Pflichten und Rechte, die Preußen in seiner Stellung
als europäische Großmacht, und zwar im Gegensatz zu seiner Stellung als
deutsche Macht, habe. Allgemein gefaßt ist aber dieser Gedanke nicht nur sehr
unklar, sondern auch unrichtig. Daß Preußen eine Doppelstellung einnimmt,
kann und soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden; auch das ist eine un¬
bestreitbare Thatsache, daß Deutschland vorzugsweise durch die Doppelstellung
seiner Großmächte mit der allgemeinen europäischen Politik zusammenhängt.
Nun erkennen wir gern an. daß in dieser Doppelstellung eine große Gefahr
für Preußen liegt, nämlich die. daß es durch die friedliebende vis iruzrtme
des deutschen Bundes ebensowohl wie durch die Eifersucht desselben in seiner
europäischen Action gehemmt und gehindert werden kann. Ferner liegt die
Gefahr nahe, daß Preußen durch den tendenziösen Eifer eines Theils der deut¬
schen Staaten zu einem Kreuzzuge für östreichische, dem wahren Interesse
Deutschlands widersprechende Bestrebungen fortgerissen werden könnte. Wo da¬
gegen ein klares und auch von dem preußischen Volke anerkanntes Interesse
von Preußen entschlossenes Handeln fordert, kann ein solcher Widerspruch gar
nicht stattfinden; ja nur sind überzeugt, und haben diese Ueberzeugung schon
lange vor dem Tode des Königs Friedrich ausgesprochen, daß ein festes Ein¬
treten für die deutscheste aller deutschen Sachen, die Freiheit der Herzogthümer,
Preußen mit einem Male über alle Schwierigkeiten seiner Doppelstellung hin¬
übersehen würde. Sobald Preußen an der Spitze Deutschlands die Befreiung
der Herzogthümer durchgesetzt haben wird, ist, wie wir glauben, für immer die
Gefahr beseitigt, daß die preußische Politik ihre Stütze gegen eine östreichisch
mittelstaatliche Koalition in einem Anschluß an Nußland oder Frankreich suchen
müßte. Ist das aber ein Widerspruch gegen Preußens europäische Stellung,
wenn es die höchsten, den seinigen durchaus identischen Interessen Deutschlands
Europa gegenüber zur Geltung bringt, wenn es die Bande sprengt, die bis


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[0212] unzünftigcr Verstand es für völlig unbegreiflich halten muß, wie ein preußischer Minister die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen kann, seinen Staat von den Verpflichtungen zu befreien, die für Preußen nicht minder drückend find als für die Herzogtümer, und die, daraus haben unsere Feinde nie ein Hehl ge¬ macht, ausdrücklich darauf berechnet sind, Preußen zu demüthigen. Wir suchen vergebens nach der Lösung des wunderbaren Räthsels, wie die preußische Di¬ plomatie dazu kommt, es als ihre Ausgabe anzusehen, die Integrität der däni¬ schen Monarchie aufrechtzuerhalten. Denn alle Gründe, die officiös und officiell für die von der Regierung beliebte Politik angeführt werden, sind so hinfällig, daß, wenn sie von einem Gegner der Herzogthümer, etwa dem Grasen Rüssel, vorgebracht würden, um uns in eine falsche Stellung zu verlocken, man sie höchstens aus diplomatischer Courtoisie einer Widerlegung für würdig halten würde. Zunächst beruft man sich auf die besonderen Pflichten und Rechte, die Preußen in seiner Stellung als europäische Großmacht, und zwar im Gegensatz zu seiner Stellung als deutsche Macht, habe. Allgemein gefaßt ist aber dieser Gedanke nicht nur sehr unklar, sondern auch unrichtig. Daß Preußen eine Doppelstellung einnimmt, kann und soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden; auch das ist eine un¬ bestreitbare Thatsache, daß Deutschland vorzugsweise durch die Doppelstellung seiner Großmächte mit der allgemeinen europäischen Politik zusammenhängt. Nun erkennen wir gern an. daß in dieser Doppelstellung eine große Gefahr für Preußen liegt, nämlich die. daß es durch die friedliebende vis iruzrtme des deutschen Bundes ebensowohl wie durch die Eifersucht desselben in seiner europäischen Action gehemmt und gehindert werden kann. Ferner liegt die Gefahr nahe, daß Preußen durch den tendenziösen Eifer eines Theils der deut¬ schen Staaten zu einem Kreuzzuge für östreichische, dem wahren Interesse Deutschlands widersprechende Bestrebungen fortgerissen werden könnte. Wo da¬ gegen ein klares und auch von dem preußischen Volke anerkanntes Interesse von Preußen entschlossenes Handeln fordert, kann ein solcher Widerspruch gar nicht stattfinden; ja nur sind überzeugt, und haben diese Ueberzeugung schon lange vor dem Tode des Königs Friedrich ausgesprochen, daß ein festes Ein¬ treten für die deutscheste aller deutschen Sachen, die Freiheit der Herzogthümer, Preußen mit einem Male über alle Schwierigkeiten seiner Doppelstellung hin¬ übersehen würde. Sobald Preußen an der Spitze Deutschlands die Befreiung der Herzogthümer durchgesetzt haben wird, ist, wie wir glauben, für immer die Gefahr beseitigt, daß die preußische Politik ihre Stütze gegen eine östreichisch mittelstaatliche Koalition in einem Anschluß an Nußland oder Frankreich suchen müßte. Ist das aber ein Widerspruch gegen Preußens europäische Stellung, wenn es die höchsten, den seinigen durchaus identischen Interessen Deutschlands Europa gegenüber zur Geltung bringt, wenn es die Bande sprengt, die bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/212>, abgerufen am 24.07.2024.