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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Im Uebrigen gilt für uns die Regel: die Wahrheit, nichts als die Wahrheit,
aber, so weit irgend möglich, auch die ganze Wahrheit. Die kieler Universität
hat sich glänzend benommen, und das erkennt auch die betreffende Korrespondenz
genügend an. Daß sie dies "fast widerwillig" thut, ist eine Unterstellung, für
welche der Scharfsinn des Verfassers obiger Berichtigung uns den Beweis noch schul¬
dig ist. Wenn sie auf einige wenige Ausnahmen aufmerksam machte, so war damit
keinerlei Grund gegeben, sich zu entrüsten. Der Ort, dessen sämmtliche Bewohner,
die Classe, deren sämmtliche Mitglieder Normalmenschen sind, soll noch gefunden
D. Red. werden, und Bilder ohne Schatten sind eben falsche Bilder.




Literatur.

Goethes Egmont und Schillers Wallenstein. Eine Parallele der
Dichter von F. Th. Bratranek. Stuttgart, Cottascher Verlag. 1862.

Der Verfasser unternimmt zunächst die Stimmung der beiden Dichter bei Ab¬
fassung der genannten Dramen, als aus deren Erlebnissen hervorgegangen, festzu¬
stellen , wobei ihm der Egmont und der Wallenstein als Spiegelbilder eines Seelen-
zustandes, als Selbstbekenntnisse Goethes und Schillers erscheinen. Dann geht er
daran, ans dem Wege ästhetischer Analyse den Inhalt dieser Bekenntnisse zu gewin¬
nen. Sein Ziel aber ist, "zu erweisen, wie hinsichtlich dieser ihrer beiden gleich¬
berechtigten Klassiker die Deutschen besser thäten, dem von der Kunst gepredigten
Vorbilde zu folgen, anstatt abwechselnd den Einen vom Postamente zu stoßen, um
Platz für den leeren Götzendienst des Anderen zu gewinnen." Wir halten dieses
Bestreben für überflüssig; denn für die, welche die Ausführungen des Verfassers zu
würdigen wissen, stehen Schiller und Goethe längst in fester Gleichberechtigung neben
einander wie auf dem Granit ihres gemeinsamen Denkmals in Weimar, und die
Andern wird das Buch schon deshalb nicht überzeugen, weil sie es nicht verstehen.
Im Uebrigen ist von demselben zu sagen, daß es im Wesentlichen das Rechte trifft
und mancherlei gute Gedanken enthält. Nur ist die weitläufige Art und Weise, in
welcher diese Gedanken vorgetragen werden, das häufige Abspringen von dem eigent¬
lichen Gang der Erörterung und eine gewisse Selbstgefälligkeit, die auch bei ein¬
fachen Dingen Geist machen muß und allgemein Bekanntes mit einer Miene sagt,
als ob es noch nicht dagewesen, ziemlich störend, und die wunderliche Terminologie
des Verfassers macht diesen Stil auch nicht besser.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Hcrbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Im Uebrigen gilt für uns die Regel: die Wahrheit, nichts als die Wahrheit,
aber, so weit irgend möglich, auch die ganze Wahrheit. Die kieler Universität
hat sich glänzend benommen, und das erkennt auch die betreffende Korrespondenz
genügend an. Daß sie dies „fast widerwillig" thut, ist eine Unterstellung, für
welche der Scharfsinn des Verfassers obiger Berichtigung uns den Beweis noch schul¬
dig ist. Wenn sie auf einige wenige Ausnahmen aufmerksam machte, so war damit
keinerlei Grund gegeben, sich zu entrüsten. Der Ort, dessen sämmtliche Bewohner,
die Classe, deren sämmtliche Mitglieder Normalmenschen sind, soll noch gefunden
D. Red. werden, und Bilder ohne Schatten sind eben falsche Bilder.




Literatur.

Goethes Egmont und Schillers Wallenstein. Eine Parallele der
Dichter von F. Th. Bratranek. Stuttgart, Cottascher Verlag. 1862.

Der Verfasser unternimmt zunächst die Stimmung der beiden Dichter bei Ab¬
fassung der genannten Dramen, als aus deren Erlebnissen hervorgegangen, festzu¬
stellen , wobei ihm der Egmont und der Wallenstein als Spiegelbilder eines Seelen-
zustandes, als Selbstbekenntnisse Goethes und Schillers erscheinen. Dann geht er
daran, ans dem Wege ästhetischer Analyse den Inhalt dieser Bekenntnisse zu gewin¬
nen. Sein Ziel aber ist, „zu erweisen, wie hinsichtlich dieser ihrer beiden gleich¬
berechtigten Klassiker die Deutschen besser thäten, dem von der Kunst gepredigten
Vorbilde zu folgen, anstatt abwechselnd den Einen vom Postamente zu stoßen, um
Platz für den leeren Götzendienst des Anderen zu gewinnen." Wir halten dieses
Bestreben für überflüssig; denn für die, welche die Ausführungen des Verfassers zu
würdigen wissen, stehen Schiller und Goethe längst in fester Gleichberechtigung neben
einander wie auf dem Granit ihres gemeinsamen Denkmals in Weimar, und die
Andern wird das Buch schon deshalb nicht überzeugen, weil sie es nicht verstehen.
Im Uebrigen ist von demselben zu sagen, daß es im Wesentlichen das Rechte trifft
und mancherlei gute Gedanken enthält. Nur ist die weitläufige Art und Weise, in
welcher diese Gedanken vorgetragen werden, das häufige Abspringen von dem eigent¬
lichen Gang der Erörterung und eine gewisse Selbstgefälligkeit, die auch bei ein¬
fachen Dingen Geist machen muß und allgemein Bekanntes mit einer Miene sagt,
als ob es noch nicht dagewesen, ziemlich störend, und die wunderliche Terminologie
des Verfassers macht diesen Stil auch nicht besser.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0210] Im Uebrigen gilt für uns die Regel: die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, aber, so weit irgend möglich, auch die ganze Wahrheit. Die kieler Universität hat sich glänzend benommen, und das erkennt auch die betreffende Korrespondenz genügend an. Daß sie dies „fast widerwillig" thut, ist eine Unterstellung, für welche der Scharfsinn des Verfassers obiger Berichtigung uns den Beweis noch schul¬ dig ist. Wenn sie auf einige wenige Ausnahmen aufmerksam machte, so war damit keinerlei Grund gegeben, sich zu entrüsten. Der Ort, dessen sämmtliche Bewohner, die Classe, deren sämmtliche Mitglieder Normalmenschen sind, soll noch gefunden D. Red. werden, und Bilder ohne Schatten sind eben falsche Bilder. Literatur. Goethes Egmont und Schillers Wallenstein. Eine Parallele der Dichter von F. Th. Bratranek. Stuttgart, Cottascher Verlag. 1862. Der Verfasser unternimmt zunächst die Stimmung der beiden Dichter bei Ab¬ fassung der genannten Dramen, als aus deren Erlebnissen hervorgegangen, festzu¬ stellen , wobei ihm der Egmont und der Wallenstein als Spiegelbilder eines Seelen- zustandes, als Selbstbekenntnisse Goethes und Schillers erscheinen. Dann geht er daran, ans dem Wege ästhetischer Analyse den Inhalt dieser Bekenntnisse zu gewin¬ nen. Sein Ziel aber ist, „zu erweisen, wie hinsichtlich dieser ihrer beiden gleich¬ berechtigten Klassiker die Deutschen besser thäten, dem von der Kunst gepredigten Vorbilde zu folgen, anstatt abwechselnd den Einen vom Postamente zu stoßen, um Platz für den leeren Götzendienst des Anderen zu gewinnen." Wir halten dieses Bestreben für überflüssig; denn für die, welche die Ausführungen des Verfassers zu würdigen wissen, stehen Schiller und Goethe längst in fester Gleichberechtigung neben einander wie auf dem Granit ihres gemeinsamen Denkmals in Weimar, und die Andern wird das Buch schon deshalb nicht überzeugen, weil sie es nicht verstehen. Im Uebrigen ist von demselben zu sagen, daß es im Wesentlichen das Rechte trifft und mancherlei gute Gedanken enthält. Nur ist die weitläufige Art und Weise, in welcher diese Gedanken vorgetragen werden, das häufige Abspringen von dem eigent¬ lichen Gang der Erörterung und eine gewisse Selbstgefälligkeit, die auch bei ein¬ fachen Dingen Geist machen muß und allgemein Bekanntes mit einer Miene sagt, als ob es noch nicht dagewesen, ziemlich störend, und die wunderliche Terminologie des Verfassers macht diesen Stil auch nicht besser. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/210>, abgerufen am 24.07.2024.