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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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schössen und auf die Pferde, daß sie so schnell wieder umkehrten, wie sie heran¬
gekommen waren.

So wie sie fort waren, sagten wir den Leuten: "Seht ihr wohl, sie
können uns nichts anhaben!" Und unsere braven Soldaten bekamen so viel
Muth und Ruhe, daß sie selbst aus Ordnung hielten und wie beim Parade-
exerciren Vorderleute und Distance hatten. So wurde nun von den neun
Bataillonen der Rückzug schachbrettförmig fortgesetzt, indem immer 2--3
Bataillone halten blieben, während die andern zurückgingen. Es war ein
entzückender Anblick, zu sehen, wie die Colonnen sich so glatt und stramm
zurückzogen. Noch acht oder neun Mal attakirte der Feind, aber immer ver¬
geblich, er konnte nicht eindringen; die Leute singen an zu singen, die Hornisten
an zu blasen, es war eine Freude und ein Jubel, daß ich heute, nach fünfzig
Jahren, noch mit hohem Vergnügen daran denke. Das Singen und Blasen
wurde verboten, einzelne Stimmen riefen: "Wir wollen mit dem Bajonnet aus
die Hundsfötter losgehen."

So hatten wir, als der Tag sich zu neigen anfing, den Wald erreicht.
Unser Bataillon war das letzte, es hatte eben dicht am Walde den letzten
Angriff zurückgewiesen, als unser Brigadecommandeur, der Prinz August
und der General v. Kleist, der Corpscommandeur erschienen. Da hörte ich,
wie der letztere zum Prinzen sagte: "Königliche Hoheit, was machen Sie hier?
Das ist nicht Ihr Platz, der Major wird schon den Rückzug decken, reiten Sie
ebenfalls zurück zu Ihren Truppen!" Hierauf entfernten sich beide. Es ist für
den Soldaten nicht nur, sondern für jeden Preußen ein erhebendes Gefühl, zu
jedem Prinzen seines angestammten Herrscherhauses den Blick erheben zu dürfen,
weil keiner derselben sich scheut, oder, so lange wir preußische Geschichte haben,
sich gescheut hätte, für das Wohl des Vaterlandes sein Leben einzusetzen und
Anstrengungen, Entbehrungen und Strapatzen mit jedem einfachen Krieger zu
theilen.

Wir hatten gegen die überlegne feindliche Neitermasse so gut wie gar
keine Cavallerie; denn es war nur das schon sehr geschwächte braune Husaren¬
regiment und eine Escadron schlesischer Landwehrcavallerie von etwa 60
Pferden vorhanden. Diese verfolgten jedesmal die Franzosen, wenn wir ihren
Angriff zurückgewiesen hatten, durch die Lücken zwischen den Jnfanteriecolonnen,
und da sie, wegen ihrer Schwäche ihrerseits ebenfalls wieder die Flucht ergreifen
mußten, suchten und fanden sie Schutz hinter unsern Vierecken. Ein russischer
Offizier mit zwei Kanonen hatte uns, jeden Augenblick zum Feuern benutzend,
lange sehr wirksam vertheidigt, bis endlich zu unserm großen Schmerz die beiden
Geschütze genommen wurden. Ob der Offizier in Gefangenschaft geriet!), weiß
ich nicht gewiß, glaube es aber.

Die Sonne war nun untergegangen, wir marschirten im Walde weiter


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schössen und auf die Pferde, daß sie so schnell wieder umkehrten, wie sie heran¬
gekommen waren.

So wie sie fort waren, sagten wir den Leuten: „Seht ihr wohl, sie
können uns nichts anhaben!" Und unsere braven Soldaten bekamen so viel
Muth und Ruhe, daß sie selbst aus Ordnung hielten und wie beim Parade-
exerciren Vorderleute und Distance hatten. So wurde nun von den neun
Bataillonen der Rückzug schachbrettförmig fortgesetzt, indem immer 2—3
Bataillone halten blieben, während die andern zurückgingen. Es war ein
entzückender Anblick, zu sehen, wie die Colonnen sich so glatt und stramm
zurückzogen. Noch acht oder neun Mal attakirte der Feind, aber immer ver¬
geblich, er konnte nicht eindringen; die Leute singen an zu singen, die Hornisten
an zu blasen, es war eine Freude und ein Jubel, daß ich heute, nach fünfzig
Jahren, noch mit hohem Vergnügen daran denke. Das Singen und Blasen
wurde verboten, einzelne Stimmen riefen: „Wir wollen mit dem Bajonnet aus
die Hundsfötter losgehen."

So hatten wir, als der Tag sich zu neigen anfing, den Wald erreicht.
Unser Bataillon war das letzte, es hatte eben dicht am Walde den letzten
Angriff zurückgewiesen, als unser Brigadecommandeur, der Prinz August
und der General v. Kleist, der Corpscommandeur erschienen. Da hörte ich,
wie der letztere zum Prinzen sagte: „Königliche Hoheit, was machen Sie hier?
Das ist nicht Ihr Platz, der Major wird schon den Rückzug decken, reiten Sie
ebenfalls zurück zu Ihren Truppen!" Hierauf entfernten sich beide. Es ist für
den Soldaten nicht nur, sondern für jeden Preußen ein erhebendes Gefühl, zu
jedem Prinzen seines angestammten Herrscherhauses den Blick erheben zu dürfen,
weil keiner derselben sich scheut, oder, so lange wir preußische Geschichte haben,
sich gescheut hätte, für das Wohl des Vaterlandes sein Leben einzusetzen und
Anstrengungen, Entbehrungen und Strapatzen mit jedem einfachen Krieger zu
theilen.

Wir hatten gegen die überlegne feindliche Neitermasse so gut wie gar
keine Cavallerie; denn es war nur das schon sehr geschwächte braune Husaren¬
regiment und eine Escadron schlesischer Landwehrcavallerie von etwa 60
Pferden vorhanden. Diese verfolgten jedesmal die Franzosen, wenn wir ihren
Angriff zurückgewiesen hatten, durch die Lücken zwischen den Jnfanteriecolonnen,
und da sie, wegen ihrer Schwäche ihrerseits ebenfalls wieder die Flucht ergreifen
mußten, suchten und fanden sie Schutz hinter unsern Vierecken. Ein russischer
Offizier mit zwei Kanonen hatte uns, jeden Augenblick zum Feuern benutzend,
lange sehr wirksam vertheidigt, bis endlich zu unserm großen Schmerz die beiden
Geschütze genommen wurden. Ob der Offizier in Gefangenschaft geriet!), weiß
ich nicht gewiß, glaube es aber.

Die Sonne war nun untergegangen, wir marschirten im Walde weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/21>, abgerufen am 24.07.2024.