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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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daß viele andere Wahlen mit kleinen Majoritäten vor sich gingen, war in der
Stille eine ernste Mahnung. Noch empfindlicher war, daß die Deutschen,
welche diesen Streit nicht in Preußen selbst durchkämpfen, auch der Opposition
Vorwürfe machten, und daß die Popularität der preußischen Majorität nicht
unwesentlich verringert wurde. Der vorige Sommer, der im ganzen übrigen
Deutschland Muth und Stimmungen höher hob, war für die überarbeiteten
Preußen eine Zeit der Abspannung gewesen, und den Agitativnsversuchen,
welche vom Juni bis zum Spätherbst gemacht wurden, hatte Entschlossenheit
und fester Plan zu sehr gefehlt. Aber das Bewußtsein, daß manches versäumt
worden und daß die eigene Popularität auf dem Spiele stehe, hat neben der
gefahrvollen Lage des Staates dem Abgeordnetenhaus in den letzten Wochen
eine stolzere Haltung und, so weit sich das aus der Ferne beurtheilen läßt,
eine strengere Parteidisciplin gebracht, und einige Momente in seinen Ver¬
handlungen werden für das parlamentarische Leben der Preußen von dauernder
Bedeutung sein. Die Majorität hat keinen parlamentarischen Sieg erfochten,
aber die Lehren dieser Session werden ihr wohl im Gedächtniß bleiben, und
der männliche Ernst, welcher an die Stelle einer gewissen burschikosen Jugend¬
lichkeit getreten ist, wird, wir vertrauen, ihr selbst ein bleibender Gewinn
werden.

In der Sache selbst hat der Widerstand des Abgeordnetenhauses zu keinem
Siege geführt, aber er hat einen großen Erfolg vorbereitet. Schon seit einigen
Wochen ist in d. Bl. die Ansicht ausgesprochen worden, daß Preußen in der
Schleswig-holsteinischen Frage auf die Länge nicht bei der selbstmörderischen
Politik beharren könne, welche Herr von Bismarck in der Kammer und in
seinen Zeitungen bis zu den letzten Wochen vertrat, und es giebt dafür nahe¬
liegende Gründe. Man wird möglicherweise sich entschließen, den Staatsschatz
für die gegenwärtigen Rüstungen in Anspruch zu nehmen-, aber schon die un¬
gesetzliche Verwendung dieser zwanzig Millionen wird in der Regierung selbst
auf Zweifel und Widerspruch stoßen, und wenn darüber hinaus eine Anleihe
nothwendig wird, so werden sich die zuversichtlichen Berichte der ministeriellen
Blätter als Unwahrheiten ausweisen, und die Regierung wird eine sogenannte
Kronanleihe weder von ihren Anhängern im Lande noch bei den Kapitalisten
des Auslandes durchsetzen. Dann wird eine bittre Nothwendigkeit mit den
Demüthigungen, welche sie im Gefolge hat, dennoch eintreten. Ferner aber hat
die Haltung des preußischen Abgeordnetenhauses zwar die Wirkung gehabt, die
Regierenden gegen die Personen und ihre Ideen aufs- Neue zu erbittern, aber
hinter dieser Erbitterung liegt auch eine heilsame Unsicherheit über die eigene
Fähigkeit einen Willen durchzusetzen, dem so hartnäckiger Widerstand entgegen¬
tritt. Der Stolz verbietet, dem Abgeordnetenhause gegenüber die Nothwendig¬
keit und Vernunft eines Einlenkens zuzugeben, aber in der Sache der Herzog-


daß viele andere Wahlen mit kleinen Majoritäten vor sich gingen, war in der
Stille eine ernste Mahnung. Noch empfindlicher war, daß die Deutschen,
welche diesen Streit nicht in Preußen selbst durchkämpfen, auch der Opposition
Vorwürfe machten, und daß die Popularität der preußischen Majorität nicht
unwesentlich verringert wurde. Der vorige Sommer, der im ganzen übrigen
Deutschland Muth und Stimmungen höher hob, war für die überarbeiteten
Preußen eine Zeit der Abspannung gewesen, und den Agitativnsversuchen,
welche vom Juni bis zum Spätherbst gemacht wurden, hatte Entschlossenheit
und fester Plan zu sehr gefehlt. Aber das Bewußtsein, daß manches versäumt
worden und daß die eigene Popularität auf dem Spiele stehe, hat neben der
gefahrvollen Lage des Staates dem Abgeordnetenhaus in den letzten Wochen
eine stolzere Haltung und, so weit sich das aus der Ferne beurtheilen läßt,
eine strengere Parteidisciplin gebracht, und einige Momente in seinen Ver¬
handlungen werden für das parlamentarische Leben der Preußen von dauernder
Bedeutung sein. Die Majorität hat keinen parlamentarischen Sieg erfochten,
aber die Lehren dieser Session werden ihr wohl im Gedächtniß bleiben, und
der männliche Ernst, welcher an die Stelle einer gewissen burschikosen Jugend¬
lichkeit getreten ist, wird, wir vertrauen, ihr selbst ein bleibender Gewinn
werden.

In der Sache selbst hat der Widerstand des Abgeordnetenhauses zu keinem
Siege geführt, aber er hat einen großen Erfolg vorbereitet. Schon seit einigen
Wochen ist in d. Bl. die Ansicht ausgesprochen worden, daß Preußen in der
Schleswig-holsteinischen Frage auf die Länge nicht bei der selbstmörderischen
Politik beharren könne, welche Herr von Bismarck in der Kammer und in
seinen Zeitungen bis zu den letzten Wochen vertrat, und es giebt dafür nahe¬
liegende Gründe. Man wird möglicherweise sich entschließen, den Staatsschatz
für die gegenwärtigen Rüstungen in Anspruch zu nehmen-, aber schon die un¬
gesetzliche Verwendung dieser zwanzig Millionen wird in der Regierung selbst
auf Zweifel und Widerspruch stoßen, und wenn darüber hinaus eine Anleihe
nothwendig wird, so werden sich die zuversichtlichen Berichte der ministeriellen
Blätter als Unwahrheiten ausweisen, und die Regierung wird eine sogenannte
Kronanleihe weder von ihren Anhängern im Lande noch bei den Kapitalisten
des Auslandes durchsetzen. Dann wird eine bittre Nothwendigkeit mit den
Demüthigungen, welche sie im Gefolge hat, dennoch eintreten. Ferner aber hat
die Haltung des preußischen Abgeordnetenhauses zwar die Wirkung gehabt, die
Regierenden gegen die Personen und ihre Ideen aufs- Neue zu erbittern, aber
hinter dieser Erbitterung liegt auch eine heilsame Unsicherheit über die eigene
Fähigkeit einen Willen durchzusetzen, dem so hartnäckiger Widerstand entgegen¬
tritt. Der Stolz verbietet, dem Abgeordnetenhause gegenüber die Nothwendig¬
keit und Vernunft eines Einlenkens zuzugeben, aber in der Sache der Herzog-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/206>, abgerufen am 24.07.2024.