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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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noch einige Tage in Paris bleiben. Während derselben versuchte ich mein
Glück noch zwei oder drei Mal, gewann und verlor wieder und hatte endlich
nur noch drei oder vier Napolevnsdor, so daß ich nun zu meinem Bataillon
abzugehen beschloß, welches in der Picardie stand.

Ich erhielt, als ich mich auf der Kommandantur zum Abgang meldete,
auf meine Bitte eine Marschroute und einen Vorspannpaß und traf nach einigen
Tagen beim Bataillon ein, wo ich von meinen Kameraden mit großer Herzlich¬
keit empfangen wurde.

Mein Bataillonscommandeur, der mit mir und mehren andern Kameraden
am 14. Februar gefangen worden, war nach Tours geführt worden, und
von da einige Tage vor mir zurückgekehrt und zwar ganz gesund; denn die
Kugel, welche ihn am 1. October 1812 in dem Gefecht an der Garvsse im
Oberschenkel verwundet und, da sie nicht gefunden werden konnte, immer noch
im Beine gesessen, hatte sich, in Folge deS angestrengten Marsches zu Fuß
als Gefangener, gesenkt und war ohne große Schmerzen unter dem Knie heraus¬
geschnitten worden. Ich war eines Nachmittags bei ihm mit mehren Kamera¬
den zum Besuch, und wir unterhielten uns von den letzten Kriegsereignissen
und unsern verschiedenen Schicksalen, wobei wir auch auf den Unteroffizier Hall¬
mann zu sprechen kamen, der bei Etoges von der Kanonenkugel, die dem Haupt-
mann v. Kleist den Kopf genommen, am Unterleibe verletzt worden war.
Man warf eben die Frage auf, ob er wohl noch lebe oder wie so viele heim¬
gegangen sei, als mit einem Male der todtgeglaubte Unteroffizier Hallmann
wie durch ein Wunder gesund und munter in das Zimmer trat und sich bei dem
Commandeur wieder zum Dienst meldete. Der Major fragte: "Wo kommen
Sie her?" -- "Direct von Paris, wo ich geheilt worden bin." Der Comman¬
deur forderte ihn auf, zu erzählen, und Unteroffizier Hallmann berichtete:

"Mir wurde von der Kanonenkugel der Unterleib so schwer verletzt, daß
die Eingeweide zu sehen waren, und ich sie mit den Händen vor dem Herausfallen
bewahren mußte. Dennoch krabbelte ich mich auf, stützte mich auf mein Gewehr
und wollte weggehen, wobei mein Bruder zu mir trat und mir half. Da kam
ein brauner Husar mit einem Beutepferde, der sah meinen Zustand und sagte
zu meinem Bruder: "Kamerad, nimm das Beutepferd, damit Du den Verwundeten
besser fortbringen kannst, ich werde Dir beistehen." Er stieg ab, und beide
halfen mir auf das Pferd; der Husar ritt zu seinem Regiment zurück. Mein
Bruder führte mich nun aus dem Pferde, wo es viel besser ging, nach der
ChauMe und wir erreichten den Rand des Waldes, als unsere Leute sich noch
mit der französischen Kavallerie schlugen. Da kamen mit einem Male unsere
Husaren, von den Franzosen verfolgt, angejagt. Doch war das nur ein Mo¬
ment, die Franzosen machten rasch Kehrt, und unsere Husaren verfolgten sie
Wieder. Mein Bruder wollte nun seitwärts in den Wald, weil er glaubte, daß


Grenzbotei, I. 1864. 23

noch einige Tage in Paris bleiben. Während derselben versuchte ich mein
Glück noch zwei oder drei Mal, gewann und verlor wieder und hatte endlich
nur noch drei oder vier Napolevnsdor, so daß ich nun zu meinem Bataillon
abzugehen beschloß, welches in der Picardie stand.

Ich erhielt, als ich mich auf der Kommandantur zum Abgang meldete,
auf meine Bitte eine Marschroute und einen Vorspannpaß und traf nach einigen
Tagen beim Bataillon ein, wo ich von meinen Kameraden mit großer Herzlich¬
keit empfangen wurde.

Mein Bataillonscommandeur, der mit mir und mehren andern Kameraden
am 14. Februar gefangen worden, war nach Tours geführt worden, und
von da einige Tage vor mir zurückgekehrt und zwar ganz gesund; denn die
Kugel, welche ihn am 1. October 1812 in dem Gefecht an der Garvsse im
Oberschenkel verwundet und, da sie nicht gefunden werden konnte, immer noch
im Beine gesessen, hatte sich, in Folge deS angestrengten Marsches zu Fuß
als Gefangener, gesenkt und war ohne große Schmerzen unter dem Knie heraus¬
geschnitten worden. Ich war eines Nachmittags bei ihm mit mehren Kamera¬
den zum Besuch, und wir unterhielten uns von den letzten Kriegsereignissen
und unsern verschiedenen Schicksalen, wobei wir auch auf den Unteroffizier Hall¬
mann zu sprechen kamen, der bei Etoges von der Kanonenkugel, die dem Haupt-
mann v. Kleist den Kopf genommen, am Unterleibe verletzt worden war.
Man warf eben die Frage auf, ob er wohl noch lebe oder wie so viele heim¬
gegangen sei, als mit einem Male der todtgeglaubte Unteroffizier Hallmann
wie durch ein Wunder gesund und munter in das Zimmer trat und sich bei dem
Commandeur wieder zum Dienst meldete. Der Major fragte: „Wo kommen
Sie her?" — „Direct von Paris, wo ich geheilt worden bin." Der Comman¬
deur forderte ihn auf, zu erzählen, und Unteroffizier Hallmann berichtete:

„Mir wurde von der Kanonenkugel der Unterleib so schwer verletzt, daß
die Eingeweide zu sehen waren, und ich sie mit den Händen vor dem Herausfallen
bewahren mußte. Dennoch krabbelte ich mich auf, stützte mich auf mein Gewehr
und wollte weggehen, wobei mein Bruder zu mir trat und mir half. Da kam
ein brauner Husar mit einem Beutepferde, der sah meinen Zustand und sagte
zu meinem Bruder: „Kamerad, nimm das Beutepferd, damit Du den Verwundeten
besser fortbringen kannst, ich werde Dir beistehen." Er stieg ab, und beide
halfen mir auf das Pferd; der Husar ritt zu seinem Regiment zurück. Mein
Bruder führte mich nun aus dem Pferde, wo es viel besser ging, nach der
ChauMe und wir erreichten den Rand des Waldes, als unsere Leute sich noch
mit der französischen Kavallerie schlugen. Da kamen mit einem Male unsere
Husaren, von den Franzosen verfolgt, angejagt. Doch war das nur ein Mo¬
ment, die Franzosen machten rasch Kehrt, und unsere Husaren verfolgten sie
Wieder. Mein Bruder wollte nun seitwärts in den Wald, weil er glaubte, daß


Grenzbotei, I. 1864. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/203>, abgerufen am 24.07.2024.