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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Am andern Morgen brachen wir früh auf, um zum Intendanten zu gehen;
vorher aber suchten wir das Quartier unsers Königs auf, über dessen Lage un¬
ser Wirth die nöthige Auskunft gegeben. Hier begab ich mich zu dem Obersten
v. Thiele, ließ mich melden und wurde sogleich vorgelassen. Er war nstaunt,
much in Paris zu sehen, da ich ihm beretts persönlich bekannt war; denn auf
seinen Befehl hatte ich in Bar für Aube damals den Weg nach Chaumont ein¬
geschlagen. Ich erzählte ihm mein Schicksal und bat ihn um eine Empfehlung
an den Intendanten, damit wir Geld bekämen. Er feste sich sofort hin und
schueb ein Billet an denselben, das er mir mit dein Hinzufügen übergab, wenn
ich irgend etwas bedürfe, solle ich ungescheut wieder kommen. Wir traten nun
den unendlich weiten Weg zum Herrn v. Rippentrop an, bei dem wir ganz
ermüdet anlangten. Ich übergab ihm das Billet des General-Adjutanten.
Uneröffnet warf er es auf den Tisch und sagte: "Meine Herrn, es thut mir leid,
daß Sie geglaubt haben, dieser Empfehlung zu bedürfen, um mich zu veranlassen,
Ihnen in Ihrer Lage zu geben, was Sie bedürfen; aber es ist alles noch in
Verwirrung, es ist noch kein Abkommen mit irgend einem Bankier getroffen,
da die Kriegskasse noch nicht da ist, und wer weiß, wo die noch steckt. Sogar
der Courier, welcher die Nachricht von der Schlacht von Paris nach Berlin
bringen sollte, war deshalb aufgehalten, bis es der König erfuhr und das
Reisegeld aus seiner Ehatvulle geben konnte. Wissen Sie, meine Herren,"
fuhr er fort, "mein ganzes Vermögen besteht noch in 20 Franken, die will
ich mit Ihnen theilen." Er zog seine Börse, in welcher noch vier Fünffranken-
stücke waren, und gab für uns fünf zehn Franken her, mit denen wir uns ver¬
abschiedeten.

Bon dem weiten Wege waren wir müde und hungrig geworden, und so
traten wir bei einem Eonditvr ein, wo wir für einen halben Franken eine
Tasse Chocolade und etwas Gebackenes genossen. Dann kaufte ich mir für
einen halben Franken einen engen Kamm und ein Stück Seife, und für einen
Franken nahm ich ein warmes Bad, indem ich mich gründlich reinigte und mir
zugleich mein Hemde wusch, welches ich seit mehr als drei Wochen nicht ge¬
wechselt hatte. Ich rang es tüchtig aus und zog es an, damit es auf dem
Leibe trockne. Die Kameraden hatten auch jeder ein Bad genommen, wir fan¬
den uns wieder zusammen und gingen wie neugeboren in unser Quartier, wo
wir an der guten Verpflegung uns gütlich thun und für die folgende Nacht
die schönen reinen Betten benutzen konnten.

Des andern Morgens machten wir uns frühzeitig auf den Weg zum In¬
tendanten, um nachzufragen, ob Geld da sei? Und welche Freude! es war da.
-- Er gab uns jedem ein zweimonatliches Gehalt, das incl. Feldzulage 50 THKv
für mich betrug. Was nun zuerst beginnen? -- zuerst natürlich kleiden!
-- Wir gingen in das Palais royal, wo^alles fertig zu haben war, Umsor-


Am andern Morgen brachen wir früh auf, um zum Intendanten zu gehen;
vorher aber suchten wir das Quartier unsers Königs auf, über dessen Lage un¬
ser Wirth die nöthige Auskunft gegeben. Hier begab ich mich zu dem Obersten
v. Thiele, ließ mich melden und wurde sogleich vorgelassen. Er war nstaunt,
much in Paris zu sehen, da ich ihm beretts persönlich bekannt war; denn auf
seinen Befehl hatte ich in Bar für Aube damals den Weg nach Chaumont ein¬
geschlagen. Ich erzählte ihm mein Schicksal und bat ihn um eine Empfehlung
an den Intendanten, damit wir Geld bekämen. Er feste sich sofort hin und
schueb ein Billet an denselben, das er mir mit dein Hinzufügen übergab, wenn
ich irgend etwas bedürfe, solle ich ungescheut wieder kommen. Wir traten nun
den unendlich weiten Weg zum Herrn v. Rippentrop an, bei dem wir ganz
ermüdet anlangten. Ich übergab ihm das Billet des General-Adjutanten.
Uneröffnet warf er es auf den Tisch und sagte: „Meine Herrn, es thut mir leid,
daß Sie geglaubt haben, dieser Empfehlung zu bedürfen, um mich zu veranlassen,
Ihnen in Ihrer Lage zu geben, was Sie bedürfen; aber es ist alles noch in
Verwirrung, es ist noch kein Abkommen mit irgend einem Bankier getroffen,
da die Kriegskasse noch nicht da ist, und wer weiß, wo die noch steckt. Sogar
der Courier, welcher die Nachricht von der Schlacht von Paris nach Berlin
bringen sollte, war deshalb aufgehalten, bis es der König erfuhr und das
Reisegeld aus seiner Ehatvulle geben konnte. Wissen Sie, meine Herren,"
fuhr er fort, „mein ganzes Vermögen besteht noch in 20 Franken, die will
ich mit Ihnen theilen." Er zog seine Börse, in welcher noch vier Fünffranken-
stücke waren, und gab für uns fünf zehn Franken her, mit denen wir uns ver¬
abschiedeten.

Bon dem weiten Wege waren wir müde und hungrig geworden, und so
traten wir bei einem Eonditvr ein, wo wir für einen halben Franken eine
Tasse Chocolade und etwas Gebackenes genossen. Dann kaufte ich mir für
einen halben Franken einen engen Kamm und ein Stück Seife, und für einen
Franken nahm ich ein warmes Bad, indem ich mich gründlich reinigte und mir
zugleich mein Hemde wusch, welches ich seit mehr als drei Wochen nicht ge¬
wechselt hatte. Ich rang es tüchtig aus und zog es an, damit es auf dem
Leibe trockne. Die Kameraden hatten auch jeder ein Bad genommen, wir fan¬
den uns wieder zusammen und gingen wie neugeboren in unser Quartier, wo
wir an der guten Verpflegung uns gütlich thun und für die folgende Nacht
die schönen reinen Betten benutzen konnten.

Des andern Morgens machten wir uns frühzeitig auf den Weg zum In¬
tendanten, um nachzufragen, ob Geld da sei? Und welche Freude! es war da.
— Er gab uns jedem ein zweimonatliches Gehalt, das incl. Feldzulage 50 THKv
für mich betrug. Was nun zuerst beginnen? — zuerst natürlich kleiden!
— Wir gingen in das Palais royal, wo^alles fertig zu haben war, Umsor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/200>, abgerufen am 24.07.2024.