Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.dreihundert Schritt zurück, blieben dann wieder halten und starrten Alle nach Jetzt sahen wir auch den Feind, eine unabsehbare Cavalleriemasse, die dreihundert Schritt zurück, blieben dann wieder halten und starrten Alle nach Jetzt sahen wir auch den Feind, eine unabsehbare Cavalleriemasse, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116485"/> <p xml:id="ID_29" prev="#ID_28"> dreihundert Schritt zurück, blieben dann wieder halten und starrten Alle nach<lb/> der Stelle hin, wo wir zuvor gestanden hatten. Da trat der Unteroffizier Hall¬<lb/> mann, ein sehr braver Soldat, an den Major, unsern Commandeur, heran<lb/> und bat: „Herr Major, mein Bruder ist angefallen, ich sehe ihn eben sich<lb/> erheben und sich auf sein Gewehr stützen, erlauben Sie doch gnädigst, daß ich<lb/> ihm etwas beistehe." Die Erlaubniß wurde gegeben, und er entfernte sich als¬<lb/> bald zu seinem, wie es schien, zwar schwer verwundeten, jedoch noch zum Gehen<lb/> fähigen Bruder. Wir zogen uns noch etwas weiter zurück, und die beiden<lb/> Tages vorher abcommandirten Compagnien kamen wieder zu uns, jedoch ohne<lb/> ihren Führer, meinen Hauptmann v. Krosigk, welcher in die Stirn geschossen,<lb/> aber noch lebend zurückgebracht worden war. Von den eingetroffenen Kameraden<lb/> erfuhren wir, daß die Nachricht von der Vernichtung unserer Avantgarde, mit<lb/> Ausnahme der Husaren, leider nur zu gegründet war.</p><lb/> <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Jetzt sahen wir auch den Feind, eine unabsehbare Cavalleriemasse, die<lb/> uns zur Seite marschirte, immer näher und näher kam und uns den Rückzug<lb/> abzuschneiden drohte. Wir waren nun nicht mehr allein, die andern beiden<lb/> Bataillone von unserem Regiment, das elfte Reserveregiment (jetzige zweite<lb/> oberschlesischc Ur. 23), das zweite westpreußische Infanterieregiment, jetzt<lb/> Grenadierregiment Ur. 7. (Königsregiment), im Ganzen neun Bataillone<lb/> hatten sich zu uns herangezogen. Während dies geschehen, hatte die feindliche<lb/> Cavallerie uns immer fort begleitet, und jetzt versuchte sie uns von der Chaussee,<lb/> unserer Nückzugslinie, nach Etoges abzudrängen. Wir näherten uns einem<lb/> Walde, es kam darauf an, ihn früher zu erreichen als der Feind. Da ertönt<lb/> auf einmal das Commando: „Formirt das Quarre!" Die äußern Züge am Queu<lb/> und die äußern Rotten an den Flanken machen Front; dann folgt sehr rasch<lb/> der Befehl: „Fällt das Gewehr!" Das geschieht, aber die Leute sind so gedrängt,<lb/> daß im ersten Augenblick an keine Ordnung zu denken ist. Es ist ein Klumpen<lb/> ohne Richtung, ohne Distance im Innern. Glücklicherweise stehen die äußern<lb/> Glieder fest, wie es alten Soldaten ziemt; denn sie haben kaum das Gewehr<lb/> gefällt, als auch schon die Cavallerie attakirt und zwar sehr brav, da sie so<lb/> nahe herankommt, daß sie in die Bajonncte haut. Das dauert indeß nur<lb/> einen Moment, dann machen sie auch schon wieder Kehrt. So wie sie fort<lb/> waren, wurde nun mit Güte und mit Gewalt Vordermann genommen und<lb/> Distance, den Leuten vorgestellt, daß nur in der größten Ordnung, wie es<lb/> auf dem Exercirplatz eingeübt worden, ihre Stärke gegen die Cavallerie<lb/> bestände. Die Leute waren aber so verdutzt, daß man sie, als ob sie von Holz<lb/> wären, schieben und stellen mußte. Kaum war die Ordnung einigermaßen her¬<lb/> gestellt, als auch die feindlichen Schwadronen schon zum zweiten Male angebraust<lb/> kamen. Diesmal aber konnten sie nicht bis an die Bajonnete herankommen<lb/> und hineinhauen; denn es wurde ihnen aus zehn Schritt so ins Gesicht ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
dreihundert Schritt zurück, blieben dann wieder halten und starrten Alle nach
der Stelle hin, wo wir zuvor gestanden hatten. Da trat der Unteroffizier Hall¬
mann, ein sehr braver Soldat, an den Major, unsern Commandeur, heran
und bat: „Herr Major, mein Bruder ist angefallen, ich sehe ihn eben sich
erheben und sich auf sein Gewehr stützen, erlauben Sie doch gnädigst, daß ich
ihm etwas beistehe." Die Erlaubniß wurde gegeben, und er entfernte sich als¬
bald zu seinem, wie es schien, zwar schwer verwundeten, jedoch noch zum Gehen
fähigen Bruder. Wir zogen uns noch etwas weiter zurück, und die beiden
Tages vorher abcommandirten Compagnien kamen wieder zu uns, jedoch ohne
ihren Führer, meinen Hauptmann v. Krosigk, welcher in die Stirn geschossen,
aber noch lebend zurückgebracht worden war. Von den eingetroffenen Kameraden
erfuhren wir, daß die Nachricht von der Vernichtung unserer Avantgarde, mit
Ausnahme der Husaren, leider nur zu gegründet war.
Jetzt sahen wir auch den Feind, eine unabsehbare Cavalleriemasse, die
uns zur Seite marschirte, immer näher und näher kam und uns den Rückzug
abzuschneiden drohte. Wir waren nun nicht mehr allein, die andern beiden
Bataillone von unserem Regiment, das elfte Reserveregiment (jetzige zweite
oberschlesischc Ur. 23), das zweite westpreußische Infanterieregiment, jetzt
Grenadierregiment Ur. 7. (Königsregiment), im Ganzen neun Bataillone
hatten sich zu uns herangezogen. Während dies geschehen, hatte die feindliche
Cavallerie uns immer fort begleitet, und jetzt versuchte sie uns von der Chaussee,
unserer Nückzugslinie, nach Etoges abzudrängen. Wir näherten uns einem
Walde, es kam darauf an, ihn früher zu erreichen als der Feind. Da ertönt
auf einmal das Commando: „Formirt das Quarre!" Die äußern Züge am Queu
und die äußern Rotten an den Flanken machen Front; dann folgt sehr rasch
der Befehl: „Fällt das Gewehr!" Das geschieht, aber die Leute sind so gedrängt,
daß im ersten Augenblick an keine Ordnung zu denken ist. Es ist ein Klumpen
ohne Richtung, ohne Distance im Innern. Glücklicherweise stehen die äußern
Glieder fest, wie es alten Soldaten ziemt; denn sie haben kaum das Gewehr
gefällt, als auch schon die Cavallerie attakirt und zwar sehr brav, da sie so
nahe herankommt, daß sie in die Bajonncte haut. Das dauert indeß nur
einen Moment, dann machen sie auch schon wieder Kehrt. So wie sie fort
waren, wurde nun mit Güte und mit Gewalt Vordermann genommen und
Distance, den Leuten vorgestellt, daß nur in der größten Ordnung, wie es
auf dem Exercirplatz eingeübt worden, ihre Stärke gegen die Cavallerie
bestände. Die Leute waren aber so verdutzt, daß man sie, als ob sie von Holz
wären, schieben und stellen mußte. Kaum war die Ordnung einigermaßen her¬
gestellt, als auch die feindlichen Schwadronen schon zum zweiten Male angebraust
kamen. Diesmal aber konnten sie nicht bis an die Bajonnete herankommen
und hineinhauen; denn es wurde ihnen aus zehn Schritt so ins Gesicht ge-
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