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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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deren Punkten führen. ja zuletzt vielleicht sogar das Bestehen des Ganzen ge¬
fährden müßte. Das Publicum ist aber so verwöhnt, daß es andere als voll¬
kommene Sololcistungen mit abschreckender Kühle von sich weist." Dieser letztere
Einwand erscheint bei näherer Prüfung nicht stichhaltig. Denn erstlich lehrt die
Erfahrung, daß unser großes Publicum eben kein sehr competenter Richter über
Gesangsleistungen ist. Jeder neue Winter erneuert zugleich die Wahrnehmung,
daß man sich durch eine gewisse Brillanz und Leichtigkeit des Vortrags blenden
läßt, zumal wenn diese Eigenschaften durch Damen an klangreichen und ins
Ohr fallenden Musikstücken und Coloratursachen leichteren Genres vorgeführt
werden. Sodann ist es etwas Anderes um den Sologesang, wenn er als sol¬
cher, mit der vorausgesprochenen Prätension der Virtuosität auftritt, ein Ande¬
res wieder, wenn er sich als Glied in ein großes und mächtiges Ganzes stellt,
das seinen Eindruck in letzter Instanz selbst auf verhärtete und verweichlichte
Gemüther nicht verfehlen wird. Hier werden die Forderungen an den Solisten
sich naturgemäß modificiren, und das Publicum wird einsehen lernen, daß
man sich daran gewöhnen muß, die Totalität eines Eindruckes auf sich wirken
zu lassen, wobei auch das Einzelne im Lichte des Ganzen oft einer anderen
Beurtheilung unterliegt.

Mit Rücksicht auf dieses alles möchten wir glauben, daß eine größere Be¬
theiligung unserer Opernkräfte von Vortheil, ja durch die Umstände geboten
sei. Schon früher einmal war dieses Mittel, und wie uns dünkt mit gutem
Erfolg, angewendet worden, und noch werden sich Viele der Zeit erinnern, wo
die Namen Behr, Schneider und Karoline Mayer nicht nur im Theater, son¬
dern auch im Gewandhaussaale einen guten Klang hatten. Dem Vernehmen
nach steht unserem Stadttheater durch den Wechsel der Direction eine theil¬
weise Veränderung und Umgestaltung bevor. Hier erschiene es nun völlig an¬
gemessen, wenn das Gewandhausdirectorium mit den maßgebenden Persönliche
leiten in Vernehmen träte, um sich der Mitwirkung der werthvollsten Opern¬
mitglieder vorkommenden Falls zu versichern, ja vielleicht noch einen Schritt
weiter zu thun, sich auch einen bestimmenden Einfluß auf die betreffenden Engage¬
ments zu wahren und diese Mitwirkung sowie die Hvnorarvcrhältnisse im
Ganzen contractlich zu fixiren. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Ein¬
richtung nicht nur für das Concert, sondern auch für die Oper von bleibendem
Bortheil sein müßte, und eine in Aussicht gestellte Verwendung im Gewandhaus¬
concerte müßte, für tüchtige Künstler sowohl ehrenvoll als auch mit materiellen
Vortheilen verknüpft sein. Unser Publicum endlich würde zu der Oper und dem
Theater überhaupt wieder ein näheres Verhältniß eingehen, welches für beide
Theile gleich ersprießlich werden könnte.

Der Kostenpunkt würde schwerlich ein Veto einzulegen haben. Denn ganz
abgesehen davon, daß die Erfüllung einer Ehrenpflicht selbst einige Opfer


deren Punkten führen. ja zuletzt vielleicht sogar das Bestehen des Ganzen ge¬
fährden müßte. Das Publicum ist aber so verwöhnt, daß es andere als voll¬
kommene Sololcistungen mit abschreckender Kühle von sich weist." Dieser letztere
Einwand erscheint bei näherer Prüfung nicht stichhaltig. Denn erstlich lehrt die
Erfahrung, daß unser großes Publicum eben kein sehr competenter Richter über
Gesangsleistungen ist. Jeder neue Winter erneuert zugleich die Wahrnehmung,
daß man sich durch eine gewisse Brillanz und Leichtigkeit des Vortrags blenden
läßt, zumal wenn diese Eigenschaften durch Damen an klangreichen und ins
Ohr fallenden Musikstücken und Coloratursachen leichteren Genres vorgeführt
werden. Sodann ist es etwas Anderes um den Sologesang, wenn er als sol¬
cher, mit der vorausgesprochenen Prätension der Virtuosität auftritt, ein Ande¬
res wieder, wenn er sich als Glied in ein großes und mächtiges Ganzes stellt,
das seinen Eindruck in letzter Instanz selbst auf verhärtete und verweichlichte
Gemüther nicht verfehlen wird. Hier werden die Forderungen an den Solisten
sich naturgemäß modificiren, und das Publicum wird einsehen lernen, daß
man sich daran gewöhnen muß, die Totalität eines Eindruckes auf sich wirken
zu lassen, wobei auch das Einzelne im Lichte des Ganzen oft einer anderen
Beurtheilung unterliegt.

Mit Rücksicht auf dieses alles möchten wir glauben, daß eine größere Be¬
theiligung unserer Opernkräfte von Vortheil, ja durch die Umstände geboten
sei. Schon früher einmal war dieses Mittel, und wie uns dünkt mit gutem
Erfolg, angewendet worden, und noch werden sich Viele der Zeit erinnern, wo
die Namen Behr, Schneider und Karoline Mayer nicht nur im Theater, son¬
dern auch im Gewandhaussaale einen guten Klang hatten. Dem Vernehmen
nach steht unserem Stadttheater durch den Wechsel der Direction eine theil¬
weise Veränderung und Umgestaltung bevor. Hier erschiene es nun völlig an¬
gemessen, wenn das Gewandhausdirectorium mit den maßgebenden Persönliche
leiten in Vernehmen träte, um sich der Mitwirkung der werthvollsten Opern¬
mitglieder vorkommenden Falls zu versichern, ja vielleicht noch einen Schritt
weiter zu thun, sich auch einen bestimmenden Einfluß auf die betreffenden Engage¬
ments zu wahren und diese Mitwirkung sowie die Hvnorarvcrhältnisse im
Ganzen contractlich zu fixiren. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Ein¬
richtung nicht nur für das Concert, sondern auch für die Oper von bleibendem
Bortheil sein müßte, und eine in Aussicht gestellte Verwendung im Gewandhaus¬
concerte müßte, für tüchtige Künstler sowohl ehrenvoll als auch mit materiellen
Vortheilen verknüpft sein. Unser Publicum endlich würde zu der Oper und dem
Theater überhaupt wieder ein näheres Verhältniß eingehen, welches für beide
Theile gleich ersprießlich werden könnte.

Der Kostenpunkt würde schwerlich ein Veto einzulegen haben. Denn ganz
abgesehen davon, daß die Erfüllung einer Ehrenpflicht selbst einige Opfer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/191>, abgerufen am 04.07.2024.