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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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sonnenhell und dem feinen Takte, womit man bisweilen jene kleinen Unfälle
behandelt, die vorzüglich den Virtuosen und Virtuosinnen bei Solovorträgen
in Begleitung des Orchesters zu begegne" pflegen. Wie Ein Mann weiß sich
da das Orchester der zuweilen etwas schwer zu verfolgenden Individualität an¬
zuschmiegen und mit liebenswürdiger Bonhomie die kleinen Differenzen fal¬
scher oder unzeitiger Einsätze auszugleichen. So viel auch von diesem Lobe
dem Dirigenten und dem Concertmeister zukommt, so gebührt doch ein nicht
kleiner Theil davon der Gesammtheit, welche die Kunst des Dirigirtwerdens so
trefflich versteht.

Dies führt uns auf die Persönlichkeiten, welche seit Mendelssohns Tode
die Concerte geleitet haben. Auch in weiteren Kreisen wird bekannt sein,
daß nacheinander N. Gabe, F. David, I. Rietz die Direction geführt haben,
bis endlich der letztgenannte in dieser Stellung bis zu seinem Weggange nach
Dresden verblieb. Insbesondere ihm, dem jetzigen Hofkapellmeister I. Rietz
ist es zu verdanken, daß das Orchester auf der Höhe seiner Leistungen blieb,
daß das Interesse des Publicums an den Concerten immer mehr zunahm, und
daß auch in der Zusammenstellung der Programme jener ernste und gediegene
Sinn vorwaltend blieb, welcher das tüchtige Neue zum anerkannten und ein¬
gebürgerten alten Meisterwerke gesellt, ohne darum aufdringlicher Parteileiden-
schaft oder faber Tagcsproduction Thor und Thür zu öffnen. Sein Nachfolger
wurde K. Reinecke, dessen Wahl in jeder Beziehung eine glückliche genannt zu
werden verdient. Wie er sich vortrefflich in die durch Alter. Erfolg und das
Andenken großer und verehrter Vorgänger geheiligten Traditionen des Gewand¬
hauses einzuleben, allmälig eine zuweilen fühlbare allzugroße Milde in der
Direction mit strafferer und energischerer Führung des Taktstockes zu vertau¬
schen gewußt hat, so bewährt er sich bereits seit einigen Jahren als ein will¬
kommener Ersatz für die von uns Geschiedenen, und hat sich als Dirigent,
producircnder und ausübender Musiker einer allgemeinen Anerkennung zu er¬
freuen. Ohne Anspruch auf den Birtuosentitel zumachen, gebietet er doch über
ein wohlgeschuites, höchst erfreuliches Clavierspiel. welches selbst neben dem der
einzig darauf gestellten Virtuosen seinen Platz behauptet und um so wohlthuen¬
der wirkt, je weniger es von den Virtuoscnunarten an sich hat, und je weniger
es, vielleicht gerade deshalb, dem Publicum zumuthet, allerlei nichtssagende
und unerquickliche Salonstückchen mit anzuhören.

In seiner Direction des Orchesters wird er ausgezeichnet unterstützt durch
den ersten Concertmeister F. David, der als gediegener Geigenvirtuos gleichen
Ruhm verdient wie als Orchestervorgeiger und als Quartettspieler. Ihm ist
außer einer vorzüglichen Technik besonders Frische der Auffassung, Feuer und
Lebhaftigkeit im Spiel zu eigen, und so hat unter seiner Leitung das Streich¬
quartett vor allem einen Vorzug gewonnen, den der Franzose Kirtririn nennt.


Grenzboten I. 1864. 23

sonnenhell und dem feinen Takte, womit man bisweilen jene kleinen Unfälle
behandelt, die vorzüglich den Virtuosen und Virtuosinnen bei Solovorträgen
in Begleitung des Orchesters zu begegne» pflegen. Wie Ein Mann weiß sich
da das Orchester der zuweilen etwas schwer zu verfolgenden Individualität an¬
zuschmiegen und mit liebenswürdiger Bonhomie die kleinen Differenzen fal¬
scher oder unzeitiger Einsätze auszugleichen. So viel auch von diesem Lobe
dem Dirigenten und dem Concertmeister zukommt, so gebührt doch ein nicht
kleiner Theil davon der Gesammtheit, welche die Kunst des Dirigirtwerdens so
trefflich versteht.

Dies führt uns auf die Persönlichkeiten, welche seit Mendelssohns Tode
die Concerte geleitet haben. Auch in weiteren Kreisen wird bekannt sein,
daß nacheinander N. Gabe, F. David, I. Rietz die Direction geführt haben,
bis endlich der letztgenannte in dieser Stellung bis zu seinem Weggange nach
Dresden verblieb. Insbesondere ihm, dem jetzigen Hofkapellmeister I. Rietz
ist es zu verdanken, daß das Orchester auf der Höhe seiner Leistungen blieb,
daß das Interesse des Publicums an den Concerten immer mehr zunahm, und
daß auch in der Zusammenstellung der Programme jener ernste und gediegene
Sinn vorwaltend blieb, welcher das tüchtige Neue zum anerkannten und ein¬
gebürgerten alten Meisterwerke gesellt, ohne darum aufdringlicher Parteileiden-
schaft oder faber Tagcsproduction Thor und Thür zu öffnen. Sein Nachfolger
wurde K. Reinecke, dessen Wahl in jeder Beziehung eine glückliche genannt zu
werden verdient. Wie er sich vortrefflich in die durch Alter. Erfolg und das
Andenken großer und verehrter Vorgänger geheiligten Traditionen des Gewand¬
hauses einzuleben, allmälig eine zuweilen fühlbare allzugroße Milde in der
Direction mit strafferer und energischerer Führung des Taktstockes zu vertau¬
schen gewußt hat, so bewährt er sich bereits seit einigen Jahren als ein will¬
kommener Ersatz für die von uns Geschiedenen, und hat sich als Dirigent,
producircnder und ausübender Musiker einer allgemeinen Anerkennung zu er¬
freuen. Ohne Anspruch auf den Birtuosentitel zumachen, gebietet er doch über
ein wohlgeschuites, höchst erfreuliches Clavierspiel. welches selbst neben dem der
einzig darauf gestellten Virtuosen seinen Platz behauptet und um so wohlthuen¬
der wirkt, je weniger es von den Virtuoscnunarten an sich hat, und je weniger
es, vielleicht gerade deshalb, dem Publicum zumuthet, allerlei nichtssagende
und unerquickliche Salonstückchen mit anzuhören.

In seiner Direction des Orchesters wird er ausgezeichnet unterstützt durch
den ersten Concertmeister F. David, der als gediegener Geigenvirtuos gleichen
Ruhm verdient wie als Orchestervorgeiger und als Quartettspieler. Ihm ist
außer einer vorzüglichen Technik besonders Frische der Auffassung, Feuer und
Lebhaftigkeit im Spiel zu eigen, und so hat unter seiner Leitung das Streich¬
quartett vor allem einen Vorzug gewonnen, den der Franzose Kirtririn nennt.


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[0187] sonnenhell und dem feinen Takte, womit man bisweilen jene kleinen Unfälle behandelt, die vorzüglich den Virtuosen und Virtuosinnen bei Solovorträgen in Begleitung des Orchesters zu begegne» pflegen. Wie Ein Mann weiß sich da das Orchester der zuweilen etwas schwer zu verfolgenden Individualität an¬ zuschmiegen und mit liebenswürdiger Bonhomie die kleinen Differenzen fal¬ scher oder unzeitiger Einsätze auszugleichen. So viel auch von diesem Lobe dem Dirigenten und dem Concertmeister zukommt, so gebührt doch ein nicht kleiner Theil davon der Gesammtheit, welche die Kunst des Dirigirtwerdens so trefflich versteht. Dies führt uns auf die Persönlichkeiten, welche seit Mendelssohns Tode die Concerte geleitet haben. Auch in weiteren Kreisen wird bekannt sein, daß nacheinander N. Gabe, F. David, I. Rietz die Direction geführt haben, bis endlich der letztgenannte in dieser Stellung bis zu seinem Weggange nach Dresden verblieb. Insbesondere ihm, dem jetzigen Hofkapellmeister I. Rietz ist es zu verdanken, daß das Orchester auf der Höhe seiner Leistungen blieb, daß das Interesse des Publicums an den Concerten immer mehr zunahm, und daß auch in der Zusammenstellung der Programme jener ernste und gediegene Sinn vorwaltend blieb, welcher das tüchtige Neue zum anerkannten und ein¬ gebürgerten alten Meisterwerke gesellt, ohne darum aufdringlicher Parteileiden- schaft oder faber Tagcsproduction Thor und Thür zu öffnen. Sein Nachfolger wurde K. Reinecke, dessen Wahl in jeder Beziehung eine glückliche genannt zu werden verdient. Wie er sich vortrefflich in die durch Alter. Erfolg und das Andenken großer und verehrter Vorgänger geheiligten Traditionen des Gewand¬ hauses einzuleben, allmälig eine zuweilen fühlbare allzugroße Milde in der Direction mit strafferer und energischerer Führung des Taktstockes zu vertau¬ schen gewußt hat, so bewährt er sich bereits seit einigen Jahren als ein will¬ kommener Ersatz für die von uns Geschiedenen, und hat sich als Dirigent, producircnder und ausübender Musiker einer allgemeinen Anerkennung zu er¬ freuen. Ohne Anspruch auf den Birtuosentitel zumachen, gebietet er doch über ein wohlgeschuites, höchst erfreuliches Clavierspiel. welches selbst neben dem der einzig darauf gestellten Virtuosen seinen Platz behauptet und um so wohlthuen¬ der wirkt, je weniger es von den Virtuoscnunarten an sich hat, und je weniger es, vielleicht gerade deshalb, dem Publicum zumuthet, allerlei nichtssagende und unerquickliche Salonstückchen mit anzuhören. In seiner Direction des Orchesters wird er ausgezeichnet unterstützt durch den ersten Concertmeister F. David, der als gediegener Geigenvirtuos gleichen Ruhm verdient wie als Orchestervorgeiger und als Quartettspieler. Ihm ist außer einer vorzüglichen Technik besonders Frische der Auffassung, Feuer und Lebhaftigkeit im Spiel zu eigen, und so hat unter seiner Leitung das Streich¬ quartett vor allem einen Vorzug gewonnen, den der Franzose Kirtririn nennt. Grenzboten I. 1864. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/187>, abgerufen am 24.07.2024.