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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Es war am Abende des zuletztgenannten Tages, wo, dem Bundesbeschluß
vom 12. April entsprechend, der preußische General Wrangel als Bundesfeld¬
herr die um Rendsburg versammelten Truppen über die Eider nach Schleswig
führte. Am 23. April wurden die überraschten Dänen von den Preußen und ^
Schleswig-Holsteinern bei der Stadt Schleswig aus den alten Verschanzungen
des Dannewirks vertrieben, am 24. von den Truppen des zehnten Armeecorps
-- Hannoveranern, Mecklenburgern, Oldenburgern und Braunschweigern --
auf der Straße nach Flensburg eingeholt; ihr Rückzug verwandelte sich in wilde
Flucht nach der Insel Alsen. Am 1. Mai hatte Wrangel die Nordgrenze
Schleswigs erreicht, und am nächsten Tage betrat er, in Jütland, dänischen
Boden. Schleswig war befreit, und überall, nur die Inseln Alsen und Arrö
ausgenommen, konnten die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt¬
finden , durch deren Veranstaltung der Erklärung des Vorparlaments eine that¬
sächliche Folge gegeben wurde.

Dann aber stand die Bewegung still; auch die Stimmung der jütländischen
Bevölkerung, die keine sonderliche Lust hatte, für die Durchführung eider-
dänischer Plane Kriegslasten zu tragen, blieb unbenutzt. Nicht minder aber
stiegen schon über Wrangels bisherigen Feldzug aufmerksamen Beobachtern selt¬
same Zweifel auf. Im Besitz der größten Ueberzahl von Truppen (über 30,000
Mann gegen 14000) hatte er von derselben gegen die Dänen nur den scho-
nendstcn Gebrauch gemacht. Wo er den Feind umgehn und um seinen Rückzug
bringen konnte, hatte er ihn vor sich hergedrängt und ziemlich unbehelligt gegen
Alsen hinfliehen lassen; statt von der günstigen Gelegenheit, den aufgelösten
Schaciren dorthin nachzubringen, Nutzen zu ziehen, ließ er die wichtige Insel
zur Rechten und begnügte sich, gegen sie das zehnte Bundesarmeecorps in der
Landschaft Sundewitt aufzustellen. Damit Wrangel "ruhig zu Mittag essen
könnte", oder weil er nun einmal, vielleicht noch früh am Tag, "für heute
aufhören" wollte, gingen die besten Momente zur nachdrücklichen Verfolgung er¬
rungener Vortheile verloren. Wieviel von den' Ursachen dieses Benehmens der
Persönlichkeit Wrangels, wieviel den berliner Jnstructionen des preußischen
Feldherrn zuzuschreiben sei, wird bis ins Einzelne vielleicht niemals ganz be¬
stimmt zu entscheiden sein.

Daß aber allerdings politische Rücksichten, daß die Diplomatie ihre Hand
mächtig im Spiele hatte und auch auf die Kriegführung einwirkte, war bald
ein öffentliches Geheimniß. Dänemark hatte sofort bei der ersten Einmischung
Preußens das Seinige gethan, die Frage zu einer allgemein europäischen zu
machen. Auf Grund alter Tractate, die sich freilich auf ganz andere Dinge be¬
zogen, waren Nußland und Schweden. England und Frankreich von ihm um
Hilfe angerufen worden. Verhängnisvoll aber wurde dabei schon frühzeitig die
Verkennung der eigentlichen Natur des Streits zwischen Dänemark und Schles-


Es war am Abende des zuletztgenannten Tages, wo, dem Bundesbeschluß
vom 12. April entsprechend, der preußische General Wrangel als Bundesfeld¬
herr die um Rendsburg versammelten Truppen über die Eider nach Schleswig
führte. Am 23. April wurden die überraschten Dänen von den Preußen und ^
Schleswig-Holsteinern bei der Stadt Schleswig aus den alten Verschanzungen
des Dannewirks vertrieben, am 24. von den Truppen des zehnten Armeecorps
— Hannoveranern, Mecklenburgern, Oldenburgern und Braunschweigern —
auf der Straße nach Flensburg eingeholt; ihr Rückzug verwandelte sich in wilde
Flucht nach der Insel Alsen. Am 1. Mai hatte Wrangel die Nordgrenze
Schleswigs erreicht, und am nächsten Tage betrat er, in Jütland, dänischen
Boden. Schleswig war befreit, und überall, nur die Inseln Alsen und Arrö
ausgenommen, konnten die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt¬
finden , durch deren Veranstaltung der Erklärung des Vorparlaments eine that¬
sächliche Folge gegeben wurde.

Dann aber stand die Bewegung still; auch die Stimmung der jütländischen
Bevölkerung, die keine sonderliche Lust hatte, für die Durchführung eider-
dänischer Plane Kriegslasten zu tragen, blieb unbenutzt. Nicht minder aber
stiegen schon über Wrangels bisherigen Feldzug aufmerksamen Beobachtern selt¬
same Zweifel auf. Im Besitz der größten Ueberzahl von Truppen (über 30,000
Mann gegen 14000) hatte er von derselben gegen die Dänen nur den scho-
nendstcn Gebrauch gemacht. Wo er den Feind umgehn und um seinen Rückzug
bringen konnte, hatte er ihn vor sich hergedrängt und ziemlich unbehelligt gegen
Alsen hinfliehen lassen; statt von der günstigen Gelegenheit, den aufgelösten
Schaciren dorthin nachzubringen, Nutzen zu ziehen, ließ er die wichtige Insel
zur Rechten und begnügte sich, gegen sie das zehnte Bundesarmeecorps in der
Landschaft Sundewitt aufzustellen. Damit Wrangel „ruhig zu Mittag essen
könnte", oder weil er nun einmal, vielleicht noch früh am Tag, „für heute
aufhören" wollte, gingen die besten Momente zur nachdrücklichen Verfolgung er¬
rungener Vortheile verloren. Wieviel von den' Ursachen dieses Benehmens der
Persönlichkeit Wrangels, wieviel den berliner Jnstructionen des preußischen
Feldherrn zuzuschreiben sei, wird bis ins Einzelne vielleicht niemals ganz be¬
stimmt zu entscheiden sein.

Daß aber allerdings politische Rücksichten, daß die Diplomatie ihre Hand
mächtig im Spiele hatte und auch auf die Kriegführung einwirkte, war bald
ein öffentliches Geheimniß. Dänemark hatte sofort bei der ersten Einmischung
Preußens das Seinige gethan, die Frage zu einer allgemein europäischen zu
machen. Auf Grund alter Tractate, die sich freilich auf ganz andere Dinge be¬
zogen, waren Nußland und Schweden. England und Frankreich von ihm um
Hilfe angerufen worden. Verhängnisvoll aber wurde dabei schon frühzeitig die
Verkennung der eigentlichen Natur des Streits zwischen Dänemark und Schles-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/180>, abgerufen am 24.07.2024.