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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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die Dänen in ihrem Uebermuthe immer weiter fingen und hüben wie drüben
die Gereiztheit wuchs, da gewann denn eine allmälig sich eröffnende Aussicht
eine ungleich größere Wichtigkeit als sie zu jeder andern Zeit gehabt haben
würde,

Christian der Achte, der 1839 auf den Thron gekommen war, hatte einen
Sohn Friedrich und einen Bruder Friedrich Ferdinand -- beide kinderlos und
auch ohne sonderliche Hoffnung auf Nachkommenschaft. Wenn sie starben, so
war in Dänemark ein hessischer Prinz Friedrich, der Sohn einer dänischen Prin¬
zessin, der unzweifelhaft Erbberechtigte. In Schleswig-Holstein dagegen, wo
die Abstammung von einer Frau des herrschenden Geschlechtes keinen Erbanspruch
verlieh, mußte ebenso unzweifelhaft ein viel entfernterer Verwandter Christians
des Achten nachfolgen, Herzog Christian August von der augustenburgischen
Linie, welche bereits seit dem 16. Jahrhunderte sich von der regierenden Linie
abgezweigt hatte. Es ist leicht zu denken, wie Schleswig-Holstein diesem
Ausgange entgegensah als einer wohlthätigen, von der Natur gebotenen Lösung
des Bandes, durch welches man bisher an Dänemark geknüpft war und dessen
Drückendes man eben neuerlich lebhafter hatte empfinden lernen. Ganz anders
in Dänemark. Hier erschrak man vor der Möglichkeit, daß dem dänischen Reiche
alle die Stärkung verloren gehn sollte, die es bisher aus seinem Zusammenhange
mit Schleswig-Holstein gezogen hatte. Beschränkt auf ein Gebiet von 691 lUM.
und 1,400,000 Einwohnern, nicht mehr der schleswigschen Küste und des
herrlichen dicker Hafens sicher, von wo aus das Königreich bedroht werden
mochte, konnte bann Dänemark unmöglich seine bisherige Rolle im europäischen
Norden behaupten; es mußte befürchten sich vielleicht überhaupt nicht mehr
selbständig aufrecht erhalten zu können und, anfallend etwa an das stammver¬
wandte Schweden, nur als der untergeordnete, abhängige Theil seinen Pians
zu finden in dem großen skandinavischen Reiche, für dessen Idee sich damals in
Schweden wie in Dänemark Viele begeisterten. Also drang denn die Presse
sowie der Seeländische Provinziallandtag zu Nöskild in den König, Vorkehrung
zu treffen. Und der König unternahm dies durch den berufenen offenen Brief
vom 8. Juli 1846. Derselbe schlug den Ueberzeugungen und Hoffnungen der
Schleswig-Hoisteiner ins Gesicht, indem er als die allein richtige, aus gründlicher
Untersuchung der Actenstücke sich ergebende Ansicht hinstellte, daß einund-
dasselbe Erbfolgerecht für Dänemark wie für Schleswig gelte und auch Holstein,
wenigstens seinem größern Theile nach, sich nach diesem Recht zu vererben habe.

Das goß Oel ins Feuer. Die holsteinischen Stände sowie eine große
Volksversammlung zu Neumünster sprachen sich entschieden gegen die königliche Er¬
klärung aus und auch der deutsche Bundestag, an welchen die Ersteren sich gewen¬
det, erhob (17. Sept.) seine Stimme; neun Professoren der kieler Universität wider¬
legten in einer gemeinschaftlichen Arbeit nachdrücklich die Staatsschrift, die dem


die Dänen in ihrem Uebermuthe immer weiter fingen und hüben wie drüben
die Gereiztheit wuchs, da gewann denn eine allmälig sich eröffnende Aussicht
eine ungleich größere Wichtigkeit als sie zu jeder andern Zeit gehabt haben
würde,

Christian der Achte, der 1839 auf den Thron gekommen war, hatte einen
Sohn Friedrich und einen Bruder Friedrich Ferdinand — beide kinderlos und
auch ohne sonderliche Hoffnung auf Nachkommenschaft. Wenn sie starben, so
war in Dänemark ein hessischer Prinz Friedrich, der Sohn einer dänischen Prin¬
zessin, der unzweifelhaft Erbberechtigte. In Schleswig-Holstein dagegen, wo
die Abstammung von einer Frau des herrschenden Geschlechtes keinen Erbanspruch
verlieh, mußte ebenso unzweifelhaft ein viel entfernterer Verwandter Christians
des Achten nachfolgen, Herzog Christian August von der augustenburgischen
Linie, welche bereits seit dem 16. Jahrhunderte sich von der regierenden Linie
abgezweigt hatte. Es ist leicht zu denken, wie Schleswig-Holstein diesem
Ausgange entgegensah als einer wohlthätigen, von der Natur gebotenen Lösung
des Bandes, durch welches man bisher an Dänemark geknüpft war und dessen
Drückendes man eben neuerlich lebhafter hatte empfinden lernen. Ganz anders
in Dänemark. Hier erschrak man vor der Möglichkeit, daß dem dänischen Reiche
alle die Stärkung verloren gehn sollte, die es bisher aus seinem Zusammenhange
mit Schleswig-Holstein gezogen hatte. Beschränkt auf ein Gebiet von 691 lUM.
und 1,400,000 Einwohnern, nicht mehr der schleswigschen Küste und des
herrlichen dicker Hafens sicher, von wo aus das Königreich bedroht werden
mochte, konnte bann Dänemark unmöglich seine bisherige Rolle im europäischen
Norden behaupten; es mußte befürchten sich vielleicht überhaupt nicht mehr
selbständig aufrecht erhalten zu können und, anfallend etwa an das stammver¬
wandte Schweden, nur als der untergeordnete, abhängige Theil seinen Pians
zu finden in dem großen skandinavischen Reiche, für dessen Idee sich damals in
Schweden wie in Dänemark Viele begeisterten. Also drang denn die Presse
sowie der Seeländische Provinziallandtag zu Nöskild in den König, Vorkehrung
zu treffen. Und der König unternahm dies durch den berufenen offenen Brief
vom 8. Juli 1846. Derselbe schlug den Ueberzeugungen und Hoffnungen der
Schleswig-Hoisteiner ins Gesicht, indem er als die allein richtige, aus gründlicher
Untersuchung der Actenstücke sich ergebende Ansicht hinstellte, daß einund-
dasselbe Erbfolgerecht für Dänemark wie für Schleswig gelte und auch Holstein,
wenigstens seinem größern Theile nach, sich nach diesem Recht zu vererben habe.

Das goß Oel ins Feuer. Die holsteinischen Stände sowie eine große
Volksversammlung zu Neumünster sprachen sich entschieden gegen die königliche Er¬
klärung aus und auch der deutsche Bundestag, an welchen die Ersteren sich gewen¬
det, erhob (17. Sept.) seine Stimme; neun Professoren der kieler Universität wider¬
legten in einer gemeinschaftlichen Arbeit nachdrücklich die Staatsschrift, die dem


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[0174] die Dänen in ihrem Uebermuthe immer weiter fingen und hüben wie drüben die Gereiztheit wuchs, da gewann denn eine allmälig sich eröffnende Aussicht eine ungleich größere Wichtigkeit als sie zu jeder andern Zeit gehabt haben würde, Christian der Achte, der 1839 auf den Thron gekommen war, hatte einen Sohn Friedrich und einen Bruder Friedrich Ferdinand — beide kinderlos und auch ohne sonderliche Hoffnung auf Nachkommenschaft. Wenn sie starben, so war in Dänemark ein hessischer Prinz Friedrich, der Sohn einer dänischen Prin¬ zessin, der unzweifelhaft Erbberechtigte. In Schleswig-Holstein dagegen, wo die Abstammung von einer Frau des herrschenden Geschlechtes keinen Erbanspruch verlieh, mußte ebenso unzweifelhaft ein viel entfernterer Verwandter Christians des Achten nachfolgen, Herzog Christian August von der augustenburgischen Linie, welche bereits seit dem 16. Jahrhunderte sich von der regierenden Linie abgezweigt hatte. Es ist leicht zu denken, wie Schleswig-Holstein diesem Ausgange entgegensah als einer wohlthätigen, von der Natur gebotenen Lösung des Bandes, durch welches man bisher an Dänemark geknüpft war und dessen Drückendes man eben neuerlich lebhafter hatte empfinden lernen. Ganz anders in Dänemark. Hier erschrak man vor der Möglichkeit, daß dem dänischen Reiche alle die Stärkung verloren gehn sollte, die es bisher aus seinem Zusammenhange mit Schleswig-Holstein gezogen hatte. Beschränkt auf ein Gebiet von 691 lUM. und 1,400,000 Einwohnern, nicht mehr der schleswigschen Küste und des herrlichen dicker Hafens sicher, von wo aus das Königreich bedroht werden mochte, konnte bann Dänemark unmöglich seine bisherige Rolle im europäischen Norden behaupten; es mußte befürchten sich vielleicht überhaupt nicht mehr selbständig aufrecht erhalten zu können und, anfallend etwa an das stammver¬ wandte Schweden, nur als der untergeordnete, abhängige Theil seinen Pians zu finden in dem großen skandinavischen Reiche, für dessen Idee sich damals in Schweden wie in Dänemark Viele begeisterten. Also drang denn die Presse sowie der Seeländische Provinziallandtag zu Nöskild in den König, Vorkehrung zu treffen. Und der König unternahm dies durch den berufenen offenen Brief vom 8. Juli 1846. Derselbe schlug den Ueberzeugungen und Hoffnungen der Schleswig-Hoisteiner ins Gesicht, indem er als die allein richtige, aus gründlicher Untersuchung der Actenstücke sich ergebende Ansicht hinstellte, daß einund- dasselbe Erbfolgerecht für Dänemark wie für Schleswig gelte und auch Holstein, wenigstens seinem größern Theile nach, sich nach diesem Recht zu vererben habe. Das goß Oel ins Feuer. Die holsteinischen Stände sowie eine große Volksversammlung zu Neumünster sprachen sich entschieden gegen die königliche Er¬ klärung aus und auch der deutsche Bundestag, an welchen die Ersteren sich gewen¬ det, erhob (17. Sept.) seine Stimme; neun Professoren der kieler Universität wider¬ legten in einer gemeinschaftlichen Arbeit nachdrücklich die Staatsschrift, die dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/174>, abgerufen am 04.07.2024.