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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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die neun Hunderte und die neun Tausende ausdrückte, während man die Zehn¬
tausend und die höheren Zahlen durch Berührung eines bestimmten Körpertheils
mit einer der beiden Hände bezeichnete. Es ist möglich, daß diese Methode
für Leute nützlich war, die bei dem Marktverkehr sich mit Worten nicht ver¬
ständigen konnten oder wollten. Indeß da man bei der Fingerbewegung (nach
Luce. LlÄuä. 81 und Huivt. ^use. I. 10, 35) zugleich die Zahl auszusprechen
pflegte, so scheinen die Fingerzeichen eigentlich nur ein Ausdruck der den süd¬
lichen Völkern eigenthümlichen Geberdensprache zu sein, die auch gegenwärtig
den Italienern eine Unterhaltung ohne Worte gestattet. Die wirkliche Hilfe
dieser Methode aber dürfte darin bestanden haben, daß sie die Zahlen nach
dem Stellenwerthe zerlegte, so daß, wenn man !z. B. 8372 zu 6461 addiren
sollte, man zuerst die Tausende, dann die Hunderte, hierauf die Zehner und
schließlich die Einer einzeln summirte.

Auf demselben Principe beruhte die Form des Abacus, einer Tafel von
Stein oder Metall, deren sich die alten Mathematiker in dreierlei Gestalt
bedienten, und die wir hier, da uns die nöthige Abbildung fehlt, nicht wohl
näher beschreiben können, deren Erklärung bei Marquardt aber um so mehr
des Studiums werth ist, als der Gegenstand hier zum ersten Mal ^erschöpfende
Behandlung gefunden hat. Es genüge, zu bemerken, daß der Abacus für
geometrische Zeichnung eine glatte mit seinem Sand bestreute Tafel war, auf
die man seine Figuren mit einem Griffel zeichnete, daß ferner für das Addiren
und subtrahiren in der Schule das gewöhnliche Rechnenbret diente, welches
man in allen Hauswirthschaften. Läden und Kassen bei jeder Einnahme und
Ausgabe anwendete, und daß man zur Multiplikation und Division, einer im
Alterthum schwierigen Rechnung, den sogenannten pythagoräischen Abacus hatte,
der schon in sehr alter Zeit bekannt gewesen zu sein scheint, und der nur eine
Anwendung jenes gewöhnlichen mechanischen Rechnenbrets auf das schriftliche
Rechnen war.

Seit der Zeit des zweiten punischen Krieges trat allmälig zu den bisher
erwähnten elementaren Gegenständen des Unterrichts, zuerst nur in einzelnen
Familien, dann immer allgemeiner, der Vortrag des griechischen Sprachlehrers
(Arg-mmÄtieus oder litteratus). So wurden die Kinder des Livius Salinator
(Konsul 219 v. Chr.) durch den Freigelassnen Livius Andronicus unterrichtet.
So verschrieb sich Aemilius Paulus den athenischen Philosophen Metrodorus
zum Lehrer seiner Kinder. Die Schulen der Grammatici beginnen um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Dies aber war nicht blos eine Er¬
weiterung des bis dahin sehr beschränkten Kreises von Lehrobjecten, sondern die
Einführung eines vollkommen neuen pädagogischen Princips, welches statt der
nothdürftigen Vorbildung des Kindes für das praktische Leben die idealen Er¬
ziehungszwecke der Griechen, schöne und gute Menschlichkeit, zur Basis hatte.


die neun Hunderte und die neun Tausende ausdrückte, während man die Zehn¬
tausend und die höheren Zahlen durch Berührung eines bestimmten Körpertheils
mit einer der beiden Hände bezeichnete. Es ist möglich, daß diese Methode
für Leute nützlich war, die bei dem Marktverkehr sich mit Worten nicht ver¬
ständigen konnten oder wollten. Indeß da man bei der Fingerbewegung (nach
Luce. LlÄuä. 81 und Huivt. ^use. I. 10, 35) zugleich die Zahl auszusprechen
pflegte, so scheinen die Fingerzeichen eigentlich nur ein Ausdruck der den süd¬
lichen Völkern eigenthümlichen Geberdensprache zu sein, die auch gegenwärtig
den Italienern eine Unterhaltung ohne Worte gestattet. Die wirkliche Hilfe
dieser Methode aber dürfte darin bestanden haben, daß sie die Zahlen nach
dem Stellenwerthe zerlegte, so daß, wenn man !z. B. 8372 zu 6461 addiren
sollte, man zuerst die Tausende, dann die Hunderte, hierauf die Zehner und
schließlich die Einer einzeln summirte.

Auf demselben Principe beruhte die Form des Abacus, einer Tafel von
Stein oder Metall, deren sich die alten Mathematiker in dreierlei Gestalt
bedienten, und die wir hier, da uns die nöthige Abbildung fehlt, nicht wohl
näher beschreiben können, deren Erklärung bei Marquardt aber um so mehr
des Studiums werth ist, als der Gegenstand hier zum ersten Mal ^erschöpfende
Behandlung gefunden hat. Es genüge, zu bemerken, daß der Abacus für
geometrische Zeichnung eine glatte mit seinem Sand bestreute Tafel war, auf
die man seine Figuren mit einem Griffel zeichnete, daß ferner für das Addiren
und subtrahiren in der Schule das gewöhnliche Rechnenbret diente, welches
man in allen Hauswirthschaften. Läden und Kassen bei jeder Einnahme und
Ausgabe anwendete, und daß man zur Multiplikation und Division, einer im
Alterthum schwierigen Rechnung, den sogenannten pythagoräischen Abacus hatte,
der schon in sehr alter Zeit bekannt gewesen zu sein scheint, und der nur eine
Anwendung jenes gewöhnlichen mechanischen Rechnenbrets auf das schriftliche
Rechnen war.

Seit der Zeit des zweiten punischen Krieges trat allmälig zu den bisher
erwähnten elementaren Gegenständen des Unterrichts, zuerst nur in einzelnen
Familien, dann immer allgemeiner, der Vortrag des griechischen Sprachlehrers
(Arg-mmÄtieus oder litteratus). So wurden die Kinder des Livius Salinator
(Konsul 219 v. Chr.) durch den Freigelassnen Livius Andronicus unterrichtet.
So verschrieb sich Aemilius Paulus den athenischen Philosophen Metrodorus
zum Lehrer seiner Kinder. Die Schulen der Grammatici beginnen um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Dies aber war nicht blos eine Er¬
weiterung des bis dahin sehr beschränkten Kreises von Lehrobjecten, sondern die
Einführung eines vollkommen neuen pädagogischen Princips, welches statt der
nothdürftigen Vorbildung des Kindes für das praktische Leben die idealen Er¬
ziehungszwecke der Griechen, schöne und gute Menschlichkeit, zur Basis hatte.


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[0161] die neun Hunderte und die neun Tausende ausdrückte, während man die Zehn¬ tausend und die höheren Zahlen durch Berührung eines bestimmten Körpertheils mit einer der beiden Hände bezeichnete. Es ist möglich, daß diese Methode für Leute nützlich war, die bei dem Marktverkehr sich mit Worten nicht ver¬ ständigen konnten oder wollten. Indeß da man bei der Fingerbewegung (nach Luce. LlÄuä. 81 und Huivt. ^use. I. 10, 35) zugleich die Zahl auszusprechen pflegte, so scheinen die Fingerzeichen eigentlich nur ein Ausdruck der den süd¬ lichen Völkern eigenthümlichen Geberdensprache zu sein, die auch gegenwärtig den Italienern eine Unterhaltung ohne Worte gestattet. Die wirkliche Hilfe dieser Methode aber dürfte darin bestanden haben, daß sie die Zahlen nach dem Stellenwerthe zerlegte, so daß, wenn man !z. B. 8372 zu 6461 addiren sollte, man zuerst die Tausende, dann die Hunderte, hierauf die Zehner und schließlich die Einer einzeln summirte. Auf demselben Principe beruhte die Form des Abacus, einer Tafel von Stein oder Metall, deren sich die alten Mathematiker in dreierlei Gestalt bedienten, und die wir hier, da uns die nöthige Abbildung fehlt, nicht wohl näher beschreiben können, deren Erklärung bei Marquardt aber um so mehr des Studiums werth ist, als der Gegenstand hier zum ersten Mal ^erschöpfende Behandlung gefunden hat. Es genüge, zu bemerken, daß der Abacus für geometrische Zeichnung eine glatte mit seinem Sand bestreute Tafel war, auf die man seine Figuren mit einem Griffel zeichnete, daß ferner für das Addiren und subtrahiren in der Schule das gewöhnliche Rechnenbret diente, welches man in allen Hauswirthschaften. Läden und Kassen bei jeder Einnahme und Ausgabe anwendete, und daß man zur Multiplikation und Division, einer im Alterthum schwierigen Rechnung, den sogenannten pythagoräischen Abacus hatte, der schon in sehr alter Zeit bekannt gewesen zu sein scheint, und der nur eine Anwendung jenes gewöhnlichen mechanischen Rechnenbrets auf das schriftliche Rechnen war. Seit der Zeit des zweiten punischen Krieges trat allmälig zu den bisher erwähnten elementaren Gegenständen des Unterrichts, zuerst nur in einzelnen Familien, dann immer allgemeiner, der Vortrag des griechischen Sprachlehrers (Arg-mmÄtieus oder litteratus). So wurden die Kinder des Livius Salinator (Konsul 219 v. Chr.) durch den Freigelassnen Livius Andronicus unterrichtet. So verschrieb sich Aemilius Paulus den athenischen Philosophen Metrodorus zum Lehrer seiner Kinder. Die Schulen der Grammatici beginnen um die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Dies aber war nicht blos eine Er¬ weiterung des bis dahin sehr beschränkten Kreises von Lehrobjecten, sondern die Einführung eines vollkommen neuen pädagogischen Princips, welches statt der nothdürftigen Vorbildung des Kindes für das praktische Leben die idealen Er¬ ziehungszwecke der Griechen, schöne und gute Menschlichkeit, zur Basis hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/161>, abgerufen am 24.07.2024.