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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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l'at, mir sein zweites Pferd zu erlauben, um in der Stadt etwas zurückzu¬
bleiben und noch mehr von dem schönen Wein zu trinken. Er erlaubte es,
weil er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte. So blieb ich denn in
Chalons zurück, ging in ein Weinhaus, welches ich nach seinem stattlichen Aus¬
sehen für ein gutes hielt, und trank noch eine halbe Flasche. Eben wollte ich
mich aufs Pferd setzen, als zwei andere junge Offiziere, ein paar Brüder v. K.
vom 11. Reserveregiment, jetzigen 2. oberschlesischen Ur. 23, hereintraten, um
auch den Champagner zu Probiren. Sie baten mich, doch noch nicht fortzu¬
reiten, sondern ihnen die Freude zu machen, mit ihnen noch ein paar Gläser
zu trinken. Ich ließ mich verleiten, blieb, trank aber höchstens noch zwei Glä¬
ser mit ihnen, weil ich fühlte, daß ich genug hatte. Dann nahm ich Abschied,
bestieg mein Pferd, besorgte noch einige Kleinigkeiten, die ich brauchte und ritt
hierauf vergnügt zum Thore hinaus. Vor dem Thore auf der Chaussee holte
mich ein Offizier, auch vom 11. Reserveregiment, ein Hauptmann v. B. ein,
der mich mit den Worten begrüßte, "Kamerad, was reiten Sie da für eine
Schindmähre?" Ich merkte, daß er auch Champagner gekostet hatte, und er¬
widerte: "O, allen Respect, Herr Hauptmann, das ist keine Schindmähre, ein
sehr braves Pferd, das schon die russische Campagne mitgemacht hat und wo¬
mit ich Ihr Pferd über und über zu Schanden reite." -- "Na, das wollen
wir sehen, reiten wir um die Wette!" Ich antwortete: "das will ich wohl,
aber das Pferd gehört meinem Capitain, ich kann mich nur aufs Trabreiten
einlassen." Er war es zufrieden, meine alte Liese war ein ausgezeichneter
Traber, wir legten los, aber nach ein paar hundert Schritten, wo blieb mein
Hauptmann? Ich ritt nun im Schritt weiter, bis er mich wieder einholte;
da will ich still halten, aber siehe da, plötzlich rutsche ich zum größten Ver¬
gnügen meines Begleiters, der laut auflacht, vom Pferde herunter. Der Boden
ist ganz aufgeweicht und fast reine Kreide, wenigstens vier Zoll tief, und so
sehe ich auf meiner ganzen linken Seite weiß aus, wie angestrichen. Ich springe
rasch auf, will mich wieder in den Sattel schwingen, aber o wehe! von Neuem
verliere ich das Gleichgewicht und falle nun von der andern Seite ebenso in
die weiße Sauce -- gewissermaßen ein Trost; denn ich war nun wenigstens
ganz weiß. Das Pferd war ruhig stehen geblieben und hatte das Herabgleiten
seines Reiters fast verwundert angesehen, da ihm dies von mir, der es schon
oft geritten, noch nicht vorgekommen war. Ich versuchte es zum dritten Male,
und als ich den Fuß im Bügel hatte, gab ich, ehe ich mich Überschwang, dem
Gaule ein Zeichen mit der Zunge, das wohlgeschuite Thier setzte sich sofort in
Galopp, und siehe da, ich blieb sitzen. Daß ich, obwohl vollkommen Herr mei¬
ner Sinne, alle Herrschaft über meinen Körper verloren hatte, mochte eine
eigenthümliche Folge des Champagners gewesen sein. Ich blieb nun im Galopp
sitzen und erreichte das Bataillon, als es schon finster war, wo mir der Feld-


l'at, mir sein zweites Pferd zu erlauben, um in der Stadt etwas zurückzu¬
bleiben und noch mehr von dem schönen Wein zu trinken. Er erlaubte es,
weil er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte. So blieb ich denn in
Chalons zurück, ging in ein Weinhaus, welches ich nach seinem stattlichen Aus¬
sehen für ein gutes hielt, und trank noch eine halbe Flasche. Eben wollte ich
mich aufs Pferd setzen, als zwei andere junge Offiziere, ein paar Brüder v. K.
vom 11. Reserveregiment, jetzigen 2. oberschlesischen Ur. 23, hereintraten, um
auch den Champagner zu Probiren. Sie baten mich, doch noch nicht fortzu¬
reiten, sondern ihnen die Freude zu machen, mit ihnen noch ein paar Gläser
zu trinken. Ich ließ mich verleiten, blieb, trank aber höchstens noch zwei Glä¬
ser mit ihnen, weil ich fühlte, daß ich genug hatte. Dann nahm ich Abschied,
bestieg mein Pferd, besorgte noch einige Kleinigkeiten, die ich brauchte und ritt
hierauf vergnügt zum Thore hinaus. Vor dem Thore auf der Chaussee holte
mich ein Offizier, auch vom 11. Reserveregiment, ein Hauptmann v. B. ein,
der mich mit den Worten begrüßte, „Kamerad, was reiten Sie da für eine
Schindmähre?" Ich merkte, daß er auch Champagner gekostet hatte, und er¬
widerte: „O, allen Respect, Herr Hauptmann, das ist keine Schindmähre, ein
sehr braves Pferd, das schon die russische Campagne mitgemacht hat und wo¬
mit ich Ihr Pferd über und über zu Schanden reite." — „Na, das wollen
wir sehen, reiten wir um die Wette!" Ich antwortete: „das will ich wohl,
aber das Pferd gehört meinem Capitain, ich kann mich nur aufs Trabreiten
einlassen." Er war es zufrieden, meine alte Liese war ein ausgezeichneter
Traber, wir legten los, aber nach ein paar hundert Schritten, wo blieb mein
Hauptmann? Ich ritt nun im Schritt weiter, bis er mich wieder einholte;
da will ich still halten, aber siehe da, plötzlich rutsche ich zum größten Ver¬
gnügen meines Begleiters, der laut auflacht, vom Pferde herunter. Der Boden
ist ganz aufgeweicht und fast reine Kreide, wenigstens vier Zoll tief, und so
sehe ich auf meiner ganzen linken Seite weiß aus, wie angestrichen. Ich springe
rasch auf, will mich wieder in den Sattel schwingen, aber o wehe! von Neuem
verliere ich das Gleichgewicht und falle nun von der andern Seite ebenso in
die weiße Sauce — gewissermaßen ein Trost; denn ich war nun wenigstens
ganz weiß. Das Pferd war ruhig stehen geblieben und hatte das Herabgleiten
seines Reiters fast verwundert angesehen, da ihm dies von mir, der es schon
oft geritten, noch nicht vorgekommen war. Ich versuchte es zum dritten Male,
und als ich den Fuß im Bügel hatte, gab ich, ehe ich mich Überschwang, dem
Gaule ein Zeichen mit der Zunge, das wohlgeschuite Thier setzte sich sofort in
Galopp, und siehe da, ich blieb sitzen. Daß ich, obwohl vollkommen Herr mei¬
ner Sinne, alle Herrschaft über meinen Körper verloren hatte, mochte eine
eigenthümliche Folge des Champagners gewesen sein. Ich blieb nun im Galopp
sitzen und erreichte das Bataillon, als es schon finster war, wo mir der Feld-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/16>, abgerufen am 24.07.2024.