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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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einen Scherz zuzuflüstern. Seine Worte sind sein ausgezirkelt, spitzfindig, etwas
geziert, aber er bleibt nicht leicht eine Antwort schuldig, auch ironische Wen¬
dungen stehen ihm leicht zu Gebot, selten verläßt ihn die Schlagfertigkeit, die
ihn zum unentbehrlichen Redner der Ministerbank macht. Heute war es ihm
besonders darum zu thun, den günstigen Eindruck, den im Allgemeinen das
Verhalten der Regierung macht, festzuhalten. Er lobte insbesondere die Mäßigung,
welche die Kammer bis jetzt bewiesen, und ermahnte, sich auch serner aller Ueber-
stürzung zu enthalten.

Aber das Vorgehen der Mittel- und Kleinstaaten summte mir nun schon
zwei Stunden lang im Ohr. Die Verhandlung drohte monoton zu werden.
Soeben hatte auch Fetzer, das andere würtenbergische Mitglied des frank¬
furter Ausschusses, dieselbe Melodie wiederholt. Eine erfrischende Episode that
Noth, und sie sollte kommen. Jede Versammlung pflegt in ihrem Schooß irgend
einen lustigen Rath zu haben, der das Vorrecht genießt, auf Augenblicke den
geschäftlichen Ernst zu verscheuchen und die Gemüther in eine erheiterte Stimmung
zu versetzen, in der sie sich zu neuer Anstrengung sammeln können. Die Augen
richten sich auf eine hohe, schlanke, aber vollbackige Gestalt, deren lange schwarze
Rockflügel den katholischen Geistlichen anzeigen. Es ist der Dekan Lichten¬
stein, vor Zeiten der Kaplan des Fürsten Waldburg-Zeil, der im Jahr 1848
eine demokratische Rolle spielte. Er beginnt mit näselnder Stimme, in ober-
schwäbischen Dialekt, und bald setzen sich Arme und Beine in Bewegung zu
wirkungsvollem Geberdenspiel, das die bilderreichen, drastischen, stoßweise vor¬
getragenen Worte begleitet. War bisher der Parteiunterschied fast gänzlich zu¬
rückgetreten und nur insofern bemerklich, als einzelne Redner unverkennbar sich
bemühten, die Haltung der süddeutschen Großmacht doch immer etwas günstiger
darzustellen, als die der norddeutschen, so hatte jetzt ein Großdeutscher vom
reinsten Wasser das Wort, der sich nun sogleich mit Macht auf den frankfurter
Centralausschuß warf. Wir haben in Deutschland, witzelte er, leider Gottes,
Regierungen genug, wir brauchen nicht noch eine neue eingeschmuggelte; mit
einem Purzelbaum, wenn es nicht anders gehe, müsse man über diesen Aus¬
schuß hinauszukommen suchen -- und er schien nicht übel Lust zu haben, dieses
Kunststück der Versammlung wirklich vorzumachen. Und nun ging es in raschem,
kühnem, phantastischem Flug fort zu den Sätzen des großdeutschen Programms.
Allerdings die Einigkeit werde helfen, aber nicht die Einigkeit der Mittel- und
Kleinstaaten, sondern der innige Anschluß dieser an die glücklicherweise geeinig¬
ten Großmächte. Anstatt einer europäischen Conferenz brauchen wir einen
deutschen Fürstencongreß. der das angefangene Werk des frankfurter Fürsten¬
tags vollende. Die Durchführung der Resormacte gelte es und die Garantie
für den Länderbesitz Oestreichs; denn wenn man Oestreich dieses gewähre,
werde es unzweifelhaft deutsch sein. Dies werde dann der bleibende Gewinn


Grenzboten I. 1864. 19

einen Scherz zuzuflüstern. Seine Worte sind sein ausgezirkelt, spitzfindig, etwas
geziert, aber er bleibt nicht leicht eine Antwort schuldig, auch ironische Wen¬
dungen stehen ihm leicht zu Gebot, selten verläßt ihn die Schlagfertigkeit, die
ihn zum unentbehrlichen Redner der Ministerbank macht. Heute war es ihm
besonders darum zu thun, den günstigen Eindruck, den im Allgemeinen das
Verhalten der Regierung macht, festzuhalten. Er lobte insbesondere die Mäßigung,
welche die Kammer bis jetzt bewiesen, und ermahnte, sich auch serner aller Ueber-
stürzung zu enthalten.

Aber das Vorgehen der Mittel- und Kleinstaaten summte mir nun schon
zwei Stunden lang im Ohr. Die Verhandlung drohte monoton zu werden.
Soeben hatte auch Fetzer, das andere würtenbergische Mitglied des frank¬
furter Ausschusses, dieselbe Melodie wiederholt. Eine erfrischende Episode that
Noth, und sie sollte kommen. Jede Versammlung pflegt in ihrem Schooß irgend
einen lustigen Rath zu haben, der das Vorrecht genießt, auf Augenblicke den
geschäftlichen Ernst zu verscheuchen und die Gemüther in eine erheiterte Stimmung
zu versetzen, in der sie sich zu neuer Anstrengung sammeln können. Die Augen
richten sich auf eine hohe, schlanke, aber vollbackige Gestalt, deren lange schwarze
Rockflügel den katholischen Geistlichen anzeigen. Es ist der Dekan Lichten¬
stein, vor Zeiten der Kaplan des Fürsten Waldburg-Zeil, der im Jahr 1848
eine demokratische Rolle spielte. Er beginnt mit näselnder Stimme, in ober-
schwäbischen Dialekt, und bald setzen sich Arme und Beine in Bewegung zu
wirkungsvollem Geberdenspiel, das die bilderreichen, drastischen, stoßweise vor¬
getragenen Worte begleitet. War bisher der Parteiunterschied fast gänzlich zu¬
rückgetreten und nur insofern bemerklich, als einzelne Redner unverkennbar sich
bemühten, die Haltung der süddeutschen Großmacht doch immer etwas günstiger
darzustellen, als die der norddeutschen, so hatte jetzt ein Großdeutscher vom
reinsten Wasser das Wort, der sich nun sogleich mit Macht auf den frankfurter
Centralausschuß warf. Wir haben in Deutschland, witzelte er, leider Gottes,
Regierungen genug, wir brauchen nicht noch eine neue eingeschmuggelte; mit
einem Purzelbaum, wenn es nicht anders gehe, müsse man über diesen Aus¬
schuß hinauszukommen suchen — und er schien nicht übel Lust zu haben, dieses
Kunststück der Versammlung wirklich vorzumachen. Und nun ging es in raschem,
kühnem, phantastischem Flug fort zu den Sätzen des großdeutschen Programms.
Allerdings die Einigkeit werde helfen, aber nicht die Einigkeit der Mittel- und
Kleinstaaten, sondern der innige Anschluß dieser an die glücklicherweise geeinig¬
ten Großmächte. Anstatt einer europäischen Conferenz brauchen wir einen
deutschen Fürstencongreß. der das angefangene Werk des frankfurter Fürsten¬
tags vollende. Die Durchführung der Resormacte gelte es und die Garantie
für den Länderbesitz Oestreichs; denn wenn man Oestreich dieses gewähre,
werde es unzweifelhaft deutsch sein. Dies werde dann der bleibende Gewinn


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[0155] einen Scherz zuzuflüstern. Seine Worte sind sein ausgezirkelt, spitzfindig, etwas geziert, aber er bleibt nicht leicht eine Antwort schuldig, auch ironische Wen¬ dungen stehen ihm leicht zu Gebot, selten verläßt ihn die Schlagfertigkeit, die ihn zum unentbehrlichen Redner der Ministerbank macht. Heute war es ihm besonders darum zu thun, den günstigen Eindruck, den im Allgemeinen das Verhalten der Regierung macht, festzuhalten. Er lobte insbesondere die Mäßigung, welche die Kammer bis jetzt bewiesen, und ermahnte, sich auch serner aller Ueber- stürzung zu enthalten. Aber das Vorgehen der Mittel- und Kleinstaaten summte mir nun schon zwei Stunden lang im Ohr. Die Verhandlung drohte monoton zu werden. Soeben hatte auch Fetzer, das andere würtenbergische Mitglied des frank¬ furter Ausschusses, dieselbe Melodie wiederholt. Eine erfrischende Episode that Noth, und sie sollte kommen. Jede Versammlung pflegt in ihrem Schooß irgend einen lustigen Rath zu haben, der das Vorrecht genießt, auf Augenblicke den geschäftlichen Ernst zu verscheuchen und die Gemüther in eine erheiterte Stimmung zu versetzen, in der sie sich zu neuer Anstrengung sammeln können. Die Augen richten sich auf eine hohe, schlanke, aber vollbackige Gestalt, deren lange schwarze Rockflügel den katholischen Geistlichen anzeigen. Es ist der Dekan Lichten¬ stein, vor Zeiten der Kaplan des Fürsten Waldburg-Zeil, der im Jahr 1848 eine demokratische Rolle spielte. Er beginnt mit näselnder Stimme, in ober- schwäbischen Dialekt, und bald setzen sich Arme und Beine in Bewegung zu wirkungsvollem Geberdenspiel, das die bilderreichen, drastischen, stoßweise vor¬ getragenen Worte begleitet. War bisher der Parteiunterschied fast gänzlich zu¬ rückgetreten und nur insofern bemerklich, als einzelne Redner unverkennbar sich bemühten, die Haltung der süddeutschen Großmacht doch immer etwas günstiger darzustellen, als die der norddeutschen, so hatte jetzt ein Großdeutscher vom reinsten Wasser das Wort, der sich nun sogleich mit Macht auf den frankfurter Centralausschuß warf. Wir haben in Deutschland, witzelte er, leider Gottes, Regierungen genug, wir brauchen nicht noch eine neue eingeschmuggelte; mit einem Purzelbaum, wenn es nicht anders gehe, müsse man über diesen Aus¬ schuß hinauszukommen suchen — und er schien nicht übel Lust zu haben, dieses Kunststück der Versammlung wirklich vorzumachen. Und nun ging es in raschem, kühnem, phantastischem Flug fort zu den Sätzen des großdeutschen Programms. Allerdings die Einigkeit werde helfen, aber nicht die Einigkeit der Mittel- und Kleinstaaten, sondern der innige Anschluß dieser an die glücklicherweise geeinig¬ ten Großmächte. Anstatt einer europäischen Conferenz brauchen wir einen deutschen Fürstencongreß. der das angefangene Werk des frankfurter Fürsten¬ tags vollende. Die Durchführung der Resormacte gelte es und die Garantie für den Länderbesitz Oestreichs; denn wenn man Oestreich dieses gewähre, werde es unzweifelhaft deutsch sein. Dies werde dann der bleibende Gewinn Grenzboten I. 1864. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/155>, abgerufen am 24.07.2024.