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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Faust, Plänkeleien mit den Ministern, das ist sein Element. Wie bei ihm
alles Improvisation, so sind bei Becher die Worte sorgsam abgewogen und mit
berechnetem Wohlklang aneinandergefügt. Beim erstmaligen Anhören hat in
der That seine anstandvolle Haltung etwas Gewinnendes. Becher war einer
der Neichsregenten, welche das verendende Parlament einsetzte. Seitdem schien
er es lange Zeit nicht für der Mühe werth zu halten, wieder am öffentlichen
Leben Theil zu nehmen; seine Beredsamkeit widmete er einzig der Verthei¬
digung, insbesondere politisch Angeklagter. Erst seit Jahresfrist ist er wieder
in der Politik aufgetreten, die kleine Fraction seiner großdeutsch-demokratischen
Freunde verstärkend.

Der Gedanke, daß Deutschland nur im Lager der Klein- und Mittelstaa¬
ten, und daß Preußen wie Oestreich nur ihre Sonderpolitik treiben, ist in die¬
sem Kreise nichts Neues, er ist das eigentliche Schiboleth der großdeutschen De¬
mokratie und war es ebenso zur Zeit der preußischen Unionsversuche wie zur
Zeit der östreichischen Refvrmacte. Die Redner bewegten sich also in einem
ihnen sehr geläufigen Ideenkreise. Aber die augenblickliche Lage gab ihnen
neue, einleuchtende Gründe an die Hand, denen nicht wohl von irgend einer
Seite zu widersprechen war. In der That begegnen sich eben in diesem Ge¬
danken heute die verschiedensten Fractionen, er ist es, auf welchem erst eigent¬
lich die heutige Einmüthigkeit der Parteien beruht. Aber je hartnäckiger nun
Von den verschiedensten Seiten dieses Thema variirt wurde, um so mehr konnte
man darauf gespannt sein, welche praktische Folgen man hieraus ziehen, welche
bestimmte Anforderungen man hierauf gründen würde. Diese Erwartung wurde
nur unvollständig erfüllt. Welche Eventualität auch in Betracht gezogen wurde,
niemals kam man über die allgemeinen Forderungen hinaus, daß die kleineren
Staaten sich zusammenschließen, sich verbünden, vorangehen, die Vergewalti¬
gung der Herzogtümer verhindern, Preußen und Oestreich gegenüber die deutsche
Fahne hochhalten sollen, sich nicht minorisiren lassen dürfen, u. tgi. in. Aber
welche specielle Maßregeln nun zu diesem Zweck zu ergreifen seien, wußte man
den Ministern nicht anzurathen. Die Machtverhältnisse wurden kaum berührt,
die Mittel, um einer gewaltsamen Entscheidung der Großmächte vorzubeugen,
von keiner Seite eingehend erörtert. Die Debatte machte den Eindruck, als
ob man sich durch große Worte über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen
wolle. ES fehlte die Klarheit über das Ziel, noch mehr über die Mittels es
zu erreichen. Es fehlte der Eindruck einer großen entschlossenen, siegesmuthigen
Ueberzeugung und damit auch die Macht, eine bedeutende Wirkung auf die
Ministerbank hervorzubringen. Höchstens trieb man zu Rüstungen an, deutete
auf ein Parlament, vorläufig aus den Mittel- und Kleinstaaten, und wies auf
die Gefahren für den gesetzlichen Zustand in Deutschland hin, falls die Herzog-
thümer abermals verrathen würden.


Faust, Plänkeleien mit den Ministern, das ist sein Element. Wie bei ihm
alles Improvisation, so sind bei Becher die Worte sorgsam abgewogen und mit
berechnetem Wohlklang aneinandergefügt. Beim erstmaligen Anhören hat in
der That seine anstandvolle Haltung etwas Gewinnendes. Becher war einer
der Neichsregenten, welche das verendende Parlament einsetzte. Seitdem schien
er es lange Zeit nicht für der Mühe werth zu halten, wieder am öffentlichen
Leben Theil zu nehmen; seine Beredsamkeit widmete er einzig der Verthei¬
digung, insbesondere politisch Angeklagter. Erst seit Jahresfrist ist er wieder
in der Politik aufgetreten, die kleine Fraction seiner großdeutsch-demokratischen
Freunde verstärkend.

Der Gedanke, daß Deutschland nur im Lager der Klein- und Mittelstaa¬
ten, und daß Preußen wie Oestreich nur ihre Sonderpolitik treiben, ist in die¬
sem Kreise nichts Neues, er ist das eigentliche Schiboleth der großdeutschen De¬
mokratie und war es ebenso zur Zeit der preußischen Unionsversuche wie zur
Zeit der östreichischen Refvrmacte. Die Redner bewegten sich also in einem
ihnen sehr geläufigen Ideenkreise. Aber die augenblickliche Lage gab ihnen
neue, einleuchtende Gründe an die Hand, denen nicht wohl von irgend einer
Seite zu widersprechen war. In der That begegnen sich eben in diesem Ge¬
danken heute die verschiedensten Fractionen, er ist es, auf welchem erst eigent¬
lich die heutige Einmüthigkeit der Parteien beruht. Aber je hartnäckiger nun
Von den verschiedensten Seiten dieses Thema variirt wurde, um so mehr konnte
man darauf gespannt sein, welche praktische Folgen man hieraus ziehen, welche
bestimmte Anforderungen man hierauf gründen würde. Diese Erwartung wurde
nur unvollständig erfüllt. Welche Eventualität auch in Betracht gezogen wurde,
niemals kam man über die allgemeinen Forderungen hinaus, daß die kleineren
Staaten sich zusammenschließen, sich verbünden, vorangehen, die Vergewalti¬
gung der Herzogtümer verhindern, Preußen und Oestreich gegenüber die deutsche
Fahne hochhalten sollen, sich nicht minorisiren lassen dürfen, u. tgi. in. Aber
welche specielle Maßregeln nun zu diesem Zweck zu ergreifen seien, wußte man
den Ministern nicht anzurathen. Die Machtverhältnisse wurden kaum berührt,
die Mittel, um einer gewaltsamen Entscheidung der Großmächte vorzubeugen,
von keiner Seite eingehend erörtert. Die Debatte machte den Eindruck, als
ob man sich durch große Worte über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen
wolle. ES fehlte die Klarheit über das Ziel, noch mehr über die Mittels es
zu erreichen. Es fehlte der Eindruck einer großen entschlossenen, siegesmuthigen
Ueberzeugung und damit auch die Macht, eine bedeutende Wirkung auf die
Ministerbank hervorzubringen. Höchstens trieb man zu Rüstungen an, deutete
auf ein Parlament, vorläufig aus den Mittel- und Kleinstaaten, und wies auf
die Gefahren für den gesetzlichen Zustand in Deutschland hin, falls die Herzog-
thümer abermals verrathen würden.


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[0153] Faust, Plänkeleien mit den Ministern, das ist sein Element. Wie bei ihm alles Improvisation, so sind bei Becher die Worte sorgsam abgewogen und mit berechnetem Wohlklang aneinandergefügt. Beim erstmaligen Anhören hat in der That seine anstandvolle Haltung etwas Gewinnendes. Becher war einer der Neichsregenten, welche das verendende Parlament einsetzte. Seitdem schien er es lange Zeit nicht für der Mühe werth zu halten, wieder am öffentlichen Leben Theil zu nehmen; seine Beredsamkeit widmete er einzig der Verthei¬ digung, insbesondere politisch Angeklagter. Erst seit Jahresfrist ist er wieder in der Politik aufgetreten, die kleine Fraction seiner großdeutsch-demokratischen Freunde verstärkend. Der Gedanke, daß Deutschland nur im Lager der Klein- und Mittelstaa¬ ten, und daß Preußen wie Oestreich nur ihre Sonderpolitik treiben, ist in die¬ sem Kreise nichts Neues, er ist das eigentliche Schiboleth der großdeutschen De¬ mokratie und war es ebenso zur Zeit der preußischen Unionsversuche wie zur Zeit der östreichischen Refvrmacte. Die Redner bewegten sich also in einem ihnen sehr geläufigen Ideenkreise. Aber die augenblickliche Lage gab ihnen neue, einleuchtende Gründe an die Hand, denen nicht wohl von irgend einer Seite zu widersprechen war. In der That begegnen sich eben in diesem Ge¬ danken heute die verschiedensten Fractionen, er ist es, auf welchem erst eigent¬ lich die heutige Einmüthigkeit der Parteien beruht. Aber je hartnäckiger nun Von den verschiedensten Seiten dieses Thema variirt wurde, um so mehr konnte man darauf gespannt sein, welche praktische Folgen man hieraus ziehen, welche bestimmte Anforderungen man hierauf gründen würde. Diese Erwartung wurde nur unvollständig erfüllt. Welche Eventualität auch in Betracht gezogen wurde, niemals kam man über die allgemeinen Forderungen hinaus, daß die kleineren Staaten sich zusammenschließen, sich verbünden, vorangehen, die Vergewalti¬ gung der Herzogtümer verhindern, Preußen und Oestreich gegenüber die deutsche Fahne hochhalten sollen, sich nicht minorisiren lassen dürfen, u. tgi. in. Aber welche specielle Maßregeln nun zu diesem Zweck zu ergreifen seien, wußte man den Ministern nicht anzurathen. Die Machtverhältnisse wurden kaum berührt, die Mittel, um einer gewaltsamen Entscheidung der Großmächte vorzubeugen, von keiner Seite eingehend erörtert. Die Debatte machte den Eindruck, als ob man sich durch große Worte über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen wolle. ES fehlte die Klarheit über das Ziel, noch mehr über die Mittels es zu erreichen. Es fehlte der Eindruck einer großen entschlossenen, siegesmuthigen Ueberzeugung und damit auch die Macht, eine bedeutende Wirkung auf die Ministerbank hervorzubringen. Höchstens trieb man zu Rüstungen an, deutete auf ein Parlament, vorläufig aus den Mittel- und Kleinstaaten, und wies auf die Gefahren für den gesetzlichen Zustand in Deutschland hin, falls die Herzog- thümer abermals verrathen würden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/153>, abgerufen am 24.07.2024.