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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mit seiner fanatisch kirchlichen Ansicht öfters der Heiterkeit als der Beistimmung
der Kammer sich erfreuen soll, verlas die Conclusionen des Berichts der staats¬
rechtlichen Commission, der auf der Tagesordnung stand.

Am 29. December hatte Hölder eine abermalige Jnterpellation an die Re¬
gierung gerichtet, worin diese in dringlicherer Weise als bisher um Präcisi-
rung ihres Standpunktes in der Herzogthümerfrage angegangen wurde. Am
letzten Tage des Jahres hatte Minister v, Hügel diese Anfrage in einer Weise
beantwortet, welche der Negierung sofort ein improvisirtes Dankvotum der
Kanuncr eintrug. Herr v. Hügel war amtlich beauftragt worden, zu erklären,
daß die würtenbergische Regierung sich vollständig vom londoner Protokoll los¬
sage, den Prinzen von Augustenburg als erbberechtigten Herzog von Schleswig-
Holstein betrachte und in diesem Sinn unausgesetzt am Bunde '"wirken werde.
Diese Erklärung bildete den Gegenstand des Commissionsberichts, der mit Rück¬
sicht auf die neueste Wendung der Dinge zu dem Antrag kam, im jetzigen
Augenblick zunächst auf folgende Punkte zu dringen: 1) schleunigste Anerken¬
nung des Herzogs Friedrich durch den Bund, 2) Besetzung Schleswigs, nicht
im Sinn des Antrags von Preußen und Oestreich, sondern im Sinn der Auf¬
rechterhaltung der Verbindung der Herzogthümer, 3) Verhinderung einer Ent¬
scheidung der Sache durch eine europäische Konferenz. Angeschlossen war noch
der Antrag auf Anerbieten der für eine eventuelle Mobilisirung des würtem-
bergischen Truppencorps erforderlichen Mittel.

Probst als Berichterstatter begründete diese Anträge, indem er in raschen
Zügen die augenblickliche Lage zeichnete. Eine blonde jugendliche Gestalt, ge¬
wandt und sicher im Auftreten, weiß er zugleich durch die sachliche, juristisch
scharfe Erörterung einzunehmen. Von dem Schlage, den die Vertheidigung
des Concordats seiner Popularität beigebracht hat, scheint er sich ziemlich wie¬
der erholt zu haben, und die eigenthümliche Stellung, die er in der deutschen
Frage als Führer der großdeutschen Demokraten einnimmt, kommt unter den
gegenwärtigen Umständen ohnedies wenig in Betracht. Ihm folgte Oesterlen,
der in gedehnten, pastoral gehobenen, mehr als billig pathetischen Worten das
Thema intonirte, das nun den Inhalt fast aller folgenden Reden bildete, das
Thema von der Nothwendigkeit des innigen Zusammenschlusses der Klein- und
Mittelstaaten zur Verfolgung einer nationalen Politik gegenüber der Sonder¬
politik Preußens und Oestreichs. Da nach ihm Schott und Becher sprachen,
so hatte ich hier gleich die ganze großdeutsche Demokratie bei einander. Schott,
ein Sohn des verdienten Verfassungskämpsers, hat eine liebenswürdige, ritter¬
liche Art, die freilich nicht immer entschädigt für den Mangel einer consequenten
politischen Haltung. Ein geistreicher Dilettant in der Philosophie und in der
Politik, stellt er sich frisch und tapfer gern ins Vordertreffen und kennt dabei
keine Rücksichten, auch nicht auf die eigne Partei. Einzelkampfe auf eigene


mit seiner fanatisch kirchlichen Ansicht öfters der Heiterkeit als der Beistimmung
der Kammer sich erfreuen soll, verlas die Conclusionen des Berichts der staats¬
rechtlichen Commission, der auf der Tagesordnung stand.

Am 29. December hatte Hölder eine abermalige Jnterpellation an die Re¬
gierung gerichtet, worin diese in dringlicherer Weise als bisher um Präcisi-
rung ihres Standpunktes in der Herzogthümerfrage angegangen wurde. Am
letzten Tage des Jahres hatte Minister v, Hügel diese Anfrage in einer Weise
beantwortet, welche der Negierung sofort ein improvisirtes Dankvotum der
Kanuncr eintrug. Herr v. Hügel war amtlich beauftragt worden, zu erklären,
daß die würtenbergische Regierung sich vollständig vom londoner Protokoll los¬
sage, den Prinzen von Augustenburg als erbberechtigten Herzog von Schleswig-
Holstein betrachte und in diesem Sinn unausgesetzt am Bunde '"wirken werde.
Diese Erklärung bildete den Gegenstand des Commissionsberichts, der mit Rück¬
sicht auf die neueste Wendung der Dinge zu dem Antrag kam, im jetzigen
Augenblick zunächst auf folgende Punkte zu dringen: 1) schleunigste Anerken¬
nung des Herzogs Friedrich durch den Bund, 2) Besetzung Schleswigs, nicht
im Sinn des Antrags von Preußen und Oestreich, sondern im Sinn der Auf¬
rechterhaltung der Verbindung der Herzogthümer, 3) Verhinderung einer Ent¬
scheidung der Sache durch eine europäische Konferenz. Angeschlossen war noch
der Antrag auf Anerbieten der für eine eventuelle Mobilisirung des würtem-
bergischen Truppencorps erforderlichen Mittel.

Probst als Berichterstatter begründete diese Anträge, indem er in raschen
Zügen die augenblickliche Lage zeichnete. Eine blonde jugendliche Gestalt, ge¬
wandt und sicher im Auftreten, weiß er zugleich durch die sachliche, juristisch
scharfe Erörterung einzunehmen. Von dem Schlage, den die Vertheidigung
des Concordats seiner Popularität beigebracht hat, scheint er sich ziemlich wie¬
der erholt zu haben, und die eigenthümliche Stellung, die er in der deutschen
Frage als Führer der großdeutschen Demokraten einnimmt, kommt unter den
gegenwärtigen Umständen ohnedies wenig in Betracht. Ihm folgte Oesterlen,
der in gedehnten, pastoral gehobenen, mehr als billig pathetischen Worten das
Thema intonirte, das nun den Inhalt fast aller folgenden Reden bildete, das
Thema von der Nothwendigkeit des innigen Zusammenschlusses der Klein- und
Mittelstaaten zur Verfolgung einer nationalen Politik gegenüber der Sonder¬
politik Preußens und Oestreichs. Da nach ihm Schott und Becher sprachen,
so hatte ich hier gleich die ganze großdeutsche Demokratie bei einander. Schott,
ein Sohn des verdienten Verfassungskämpsers, hat eine liebenswürdige, ritter¬
liche Art, die freilich nicht immer entschädigt für den Mangel einer consequenten
politischen Haltung. Ein geistreicher Dilettant in der Philosophie und in der
Politik, stellt er sich frisch und tapfer gern ins Vordertreffen und kennt dabei
keine Rücksichten, auch nicht auf die eigne Partei. Einzelkampfe auf eigene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/152>, abgerufen am 24.07.2024.