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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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er mir die Hand reichte auf, künftig ruhiger und artiger zu sein, und ritt
dann fort. Meine Kameraden kamen an mich heran, fragten, ob ich toll ge¬
worden sei. und suchten mich zu beruhigen, indem sie sehr richtig anführten,
daß mein Wüthen nichts nütze und es von mir eine Thorheit sei, mich so aus¬
zusetzen. "Ihr habt Recht," erwiderte ich. "aber ich bin auch wie toll, mein
Leben gilt mir nichts, diese Nichtswürdigkeit der Weiber hat mich zu sehr
empört." Wir marschirten dann weiter und wurden diese Nacht wieder in eine
Kirche eingesperrt, bei welcher Gelegenheit ich bemerke, daß jedesmal, wenn
man uns sagte, daß wir in einer Kirche einquartiert werden sollten, jeder von
uns in dem betreffenden Dorfe trocknes Stroh und noch häusiger Mist, wie er
aus den Straßen lag, aufraffte, um es in der Kirche beim Niederlegen unter
den Kopf zu nehmen. Ich konnte mich nie dazu entschließen, sondern suchte
immer nach vorn an die Spitze zu dringen, um einer der ersten in der Kirche
zu sein, wo ich dann rasch zum Altar ging und mich so auf die Stufe" hin¬
legte, daß ich den Kopf erhöht hatte.

Den folgenden Tag kamen wir nach Blois, wo wir Offiziere im Hotel
de Dieu einquartiert wurden und gutes Essen sowie Matratzen zur Lagerstätte
erhielten. Als wir am andern Morgen weiter marschirten, waren wir Offiziere
allein, die Gemeinen hatten einen andern Weg eingeschlagen; Nationalgarten,
ein Offizier mit dreißig Mann waren unsere Eskorte. Wir mochten etwa eine
Lieue zurückgelegt haben, als wir Platz machen mußten für eine große schöne
Equipage, worin ein Minister saß, der uns verkündigte: daß es Friede sei.
Er hielt an und sagte, unsre Leiden hätten nun ein Ende. Er war zur Kai¬
serin geschickt worden, um ihr die Friedensnachricht zu bringen. Unsern Jubel
vermag keine Feder zu schildern; dennoch wurde er noch erhöht, als wir nach
Ambv>se, unsern heutigen Bestimmungsort gelangten, und der Maure uns
freundlich mit den Worten empfing: "Meine Herrn, es giebt keine Gefangenen
der Alliirten mehr. Sie sind frei, morgen werde ich Ihnen Pässe nach Paris
geben."




Eine Sitzung der wiirtembergischen Abgeordnetenkammer.

"Haben Sie Lust, diesen Abend unsre politischen Notabilitäten kennen
zu lernen?"

"Warum nicbt? Sie wollen mich in eine Clubversammlung führen?"

"Nein, Sie sollen sie mitten in der Arbeit finden und einer Debatte bei¬
wohnen. Es ist eine Abendsitzung in Sachen Schleswig-Holsteins angesetzt.
Kommen Sie, es schlägt eben vier."

"Desto besser. Nichts erwünschter, als im gegenwärtigen Augenblick eine


er mir die Hand reichte auf, künftig ruhiger und artiger zu sein, und ritt
dann fort. Meine Kameraden kamen an mich heran, fragten, ob ich toll ge¬
worden sei. und suchten mich zu beruhigen, indem sie sehr richtig anführten,
daß mein Wüthen nichts nütze und es von mir eine Thorheit sei, mich so aus¬
zusetzen. „Ihr habt Recht," erwiderte ich. „aber ich bin auch wie toll, mein
Leben gilt mir nichts, diese Nichtswürdigkeit der Weiber hat mich zu sehr
empört." Wir marschirten dann weiter und wurden diese Nacht wieder in eine
Kirche eingesperrt, bei welcher Gelegenheit ich bemerke, daß jedesmal, wenn
man uns sagte, daß wir in einer Kirche einquartiert werden sollten, jeder von
uns in dem betreffenden Dorfe trocknes Stroh und noch häusiger Mist, wie er
aus den Straßen lag, aufraffte, um es in der Kirche beim Niederlegen unter
den Kopf zu nehmen. Ich konnte mich nie dazu entschließen, sondern suchte
immer nach vorn an die Spitze zu dringen, um einer der ersten in der Kirche
zu sein, wo ich dann rasch zum Altar ging und mich so auf die Stufe» hin¬
legte, daß ich den Kopf erhöht hatte.

Den folgenden Tag kamen wir nach Blois, wo wir Offiziere im Hotel
de Dieu einquartiert wurden und gutes Essen sowie Matratzen zur Lagerstätte
erhielten. Als wir am andern Morgen weiter marschirten, waren wir Offiziere
allein, die Gemeinen hatten einen andern Weg eingeschlagen; Nationalgarten,
ein Offizier mit dreißig Mann waren unsere Eskorte. Wir mochten etwa eine
Lieue zurückgelegt haben, als wir Platz machen mußten für eine große schöne
Equipage, worin ein Minister saß, der uns verkündigte: daß es Friede sei.
Er hielt an und sagte, unsre Leiden hätten nun ein Ende. Er war zur Kai¬
serin geschickt worden, um ihr die Friedensnachricht zu bringen. Unsern Jubel
vermag keine Feder zu schildern; dennoch wurde er noch erhöht, als wir nach
Ambv>se, unsern heutigen Bestimmungsort gelangten, und der Maure uns
freundlich mit den Worten empfing: „Meine Herrn, es giebt keine Gefangenen
der Alliirten mehr. Sie sind frei, morgen werde ich Ihnen Pässe nach Paris
geben."




Eine Sitzung der wiirtembergischen Abgeordnetenkammer.

„Haben Sie Lust, diesen Abend unsre politischen Notabilitäten kennen
zu lernen?"

„Warum nicbt? Sie wollen mich in eine Clubversammlung führen?"

„Nein, Sie sollen sie mitten in der Arbeit finden und einer Debatte bei¬
wohnen. Es ist eine Abendsitzung in Sachen Schleswig-Holsteins angesetzt.
Kommen Sie, es schlägt eben vier."

„Desto besser. Nichts erwünschter, als im gegenwärtigen Augenblick eine


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[0150] er mir die Hand reichte auf, künftig ruhiger und artiger zu sein, und ritt dann fort. Meine Kameraden kamen an mich heran, fragten, ob ich toll ge¬ worden sei. und suchten mich zu beruhigen, indem sie sehr richtig anführten, daß mein Wüthen nichts nütze und es von mir eine Thorheit sei, mich so aus¬ zusetzen. „Ihr habt Recht," erwiderte ich. „aber ich bin auch wie toll, mein Leben gilt mir nichts, diese Nichtswürdigkeit der Weiber hat mich zu sehr empört." Wir marschirten dann weiter und wurden diese Nacht wieder in eine Kirche eingesperrt, bei welcher Gelegenheit ich bemerke, daß jedesmal, wenn man uns sagte, daß wir in einer Kirche einquartiert werden sollten, jeder von uns in dem betreffenden Dorfe trocknes Stroh und noch häusiger Mist, wie er aus den Straßen lag, aufraffte, um es in der Kirche beim Niederlegen unter den Kopf zu nehmen. Ich konnte mich nie dazu entschließen, sondern suchte immer nach vorn an die Spitze zu dringen, um einer der ersten in der Kirche zu sein, wo ich dann rasch zum Altar ging und mich so auf die Stufe» hin¬ legte, daß ich den Kopf erhöht hatte. Den folgenden Tag kamen wir nach Blois, wo wir Offiziere im Hotel de Dieu einquartiert wurden und gutes Essen sowie Matratzen zur Lagerstätte erhielten. Als wir am andern Morgen weiter marschirten, waren wir Offiziere allein, die Gemeinen hatten einen andern Weg eingeschlagen; Nationalgarten, ein Offizier mit dreißig Mann waren unsere Eskorte. Wir mochten etwa eine Lieue zurückgelegt haben, als wir Platz machen mußten für eine große schöne Equipage, worin ein Minister saß, der uns verkündigte: daß es Friede sei. Er hielt an und sagte, unsre Leiden hätten nun ein Ende. Er war zur Kai¬ serin geschickt worden, um ihr die Friedensnachricht zu bringen. Unsern Jubel vermag keine Feder zu schildern; dennoch wurde er noch erhöht, als wir nach Ambv>se, unsern heutigen Bestimmungsort gelangten, und der Maure uns freundlich mit den Worten empfing: „Meine Herrn, es giebt keine Gefangenen der Alliirten mehr. Sie sind frei, morgen werde ich Ihnen Pässe nach Paris geben." Eine Sitzung der wiirtembergischen Abgeordnetenkammer. „Haben Sie Lust, diesen Abend unsre politischen Notabilitäten kennen zu lernen?" „Warum nicbt? Sie wollen mich in eine Clubversammlung führen?" „Nein, Sie sollen sie mitten in der Arbeit finden und einer Debatte bei¬ wohnen. Es ist eine Abendsitzung in Sachen Schleswig-Holsteins angesetzt. Kommen Sie, es schlägt eben vier." „Desto besser. Nichts erwünschter, als im gegenwärtigen Augenblick eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/150>, abgerufen am 24.07.2024.