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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Straße nach Chalons fort. Ich hatte niemandem von den Ereignissen des
vorigen Tages etwas erzählt, war daher sehr erstaunt, als mein Commandeur
nach dem ersten Ruhen auf dem Marsche mich sehr unfreundlich fragte: warum
ich ihm von dem in,der Stadt gehabten Exceß keine Meldung gemacht? Ich
entschuldigte mich mit der Furcht vor Verweisen. "Und die," sagte er, "haben
Sie auch im höchsten Grade verdient, ich werde Ihnen sobald keinen Urlaub
wieder geben. Da Sie sich aber so gut aus der Affaire gezogen, so mag die
Sache damit abgemacht sein. Jedoch merken Sie sich das, von solchen Ereig¬
nissen muß der Vorgesetzte durch den Betreffenden stets zuerst unterrichtet wer¬
den, weil er es zuerst wissen muß."

Ich war froh, daß ich so wegkam. Zwei Tage daraus passirten wir
Bar le Duc wo wir vor dem Prinzen Vorbeimarschiren mußten. Als ich an
ihn herankam, fragte er mich: "Sie sind ja wohl der Lieutenant v. C.?"
und auf meine bejahende Antwort winkte er mich zu sich heran und sagte:
"Nun, ich kann Ihnen sagenj. der Russe, den Sie niedergehauen haben, soll
curirt werden und dann sechsmal Gassen laufen, der Fähndrich erhält sechs
Wochen Arrest, weil er Sie und die andern Herren arretirt hat; sind Sie da¬
mit zufrieden?" -- "O ja, sehr zufrieden," erwiderte ich, "eine bessere Satis-
faction konnte ich gar nicht wünschen."

Wir kamen nun nach Chalons, wo unsere Avantgarde noch ein kleines
Gefecht zu bestehen gehabt und der Feind, ehe er sich zurückzog, erst noch einen
Pfeiler der steinernen Brücke über die Marne gesprengt hatte. Wir mußten
deshalb lange halten, bis die Passage wieder sür Kavallerie, Artillerie und
größere Infanteriewaffen passirbar gemacht war, nur einzelne Leute konnten
inzwischen auf gelegten Bohlen hinübergehen. Da rief mein Hauptmann sei¬
nen Burschen und befahl ihm: er solle sich durchzudrängen suchen und ihm
eine Flasche Wein, deren Verkorkung er ihm genau beschrieb, bringen. Dies
siel mir auf; denn er war ein exemplarischer Wirth, deshalb fragte ich ihn:
"Herr Hauptmann, schmeckt denn der Wein so gut,?" -- "Was," erwiderte er,
"haben Sie noch keinen Champagner getrunken?" -- "Nein!" -- "Nun so bring
zwei Flaschen, denn da will ich es mir nicht nehmen lassen, Sie mit dem ersten
Champagner zu regaliren." Erwähnen muß ich hier, daß mein Capitain mich
sehr lieb hatte, was er mir bis zu seinem Tode, 1821, stets bewiesen hat.
Merkwürdig mochte es ihm wohl sein, daß ich, der bereits vier Campagnen mitge¬
macht hatte, den Champagner noch nicht kannte. Frage man heute unsere
jüngern Herren Offiziere, sie wissen besser über die Güte dieses Getränks zu
urtheilen, als viele ältere Herren.

Nach einer guten Weile kam denn der Sekt an und wurde mit den andern
Kameraden der Compagnie gemeinschaftlich genossen. Er schmeckte prächtig, so
prächtig, daß, als wir nun die Brücke Passiren konnten, ich meinen Hauptmann


Straße nach Chalons fort. Ich hatte niemandem von den Ereignissen des
vorigen Tages etwas erzählt, war daher sehr erstaunt, als mein Commandeur
nach dem ersten Ruhen auf dem Marsche mich sehr unfreundlich fragte: warum
ich ihm von dem in,der Stadt gehabten Exceß keine Meldung gemacht? Ich
entschuldigte mich mit der Furcht vor Verweisen. „Und die," sagte er, „haben
Sie auch im höchsten Grade verdient, ich werde Ihnen sobald keinen Urlaub
wieder geben. Da Sie sich aber so gut aus der Affaire gezogen, so mag die
Sache damit abgemacht sein. Jedoch merken Sie sich das, von solchen Ereig¬
nissen muß der Vorgesetzte durch den Betreffenden stets zuerst unterrichtet wer¬
den, weil er es zuerst wissen muß."

Ich war froh, daß ich so wegkam. Zwei Tage daraus passirten wir
Bar le Duc wo wir vor dem Prinzen Vorbeimarschiren mußten. Als ich an
ihn herankam, fragte er mich: „Sie sind ja wohl der Lieutenant v. C.?"
und auf meine bejahende Antwort winkte er mich zu sich heran und sagte:
„Nun, ich kann Ihnen sagenj. der Russe, den Sie niedergehauen haben, soll
curirt werden und dann sechsmal Gassen laufen, der Fähndrich erhält sechs
Wochen Arrest, weil er Sie und die andern Herren arretirt hat; sind Sie da¬
mit zufrieden?" — „O ja, sehr zufrieden," erwiderte ich, „eine bessere Satis-
faction konnte ich gar nicht wünschen."

Wir kamen nun nach Chalons, wo unsere Avantgarde noch ein kleines
Gefecht zu bestehen gehabt und der Feind, ehe er sich zurückzog, erst noch einen
Pfeiler der steinernen Brücke über die Marne gesprengt hatte. Wir mußten
deshalb lange halten, bis die Passage wieder sür Kavallerie, Artillerie und
größere Infanteriewaffen passirbar gemacht war, nur einzelne Leute konnten
inzwischen auf gelegten Bohlen hinübergehen. Da rief mein Hauptmann sei¬
nen Burschen und befahl ihm: er solle sich durchzudrängen suchen und ihm
eine Flasche Wein, deren Verkorkung er ihm genau beschrieb, bringen. Dies
siel mir auf; denn er war ein exemplarischer Wirth, deshalb fragte ich ihn:
„Herr Hauptmann, schmeckt denn der Wein so gut,?" — „Was," erwiderte er,
„haben Sie noch keinen Champagner getrunken?" — „Nein!" — „Nun so bring
zwei Flaschen, denn da will ich es mir nicht nehmen lassen, Sie mit dem ersten
Champagner zu regaliren." Erwähnen muß ich hier, daß mein Capitain mich
sehr lieb hatte, was er mir bis zu seinem Tode, 1821, stets bewiesen hat.
Merkwürdig mochte es ihm wohl sein, daß ich, der bereits vier Campagnen mitge¬
macht hatte, den Champagner noch nicht kannte. Frage man heute unsere
jüngern Herren Offiziere, sie wissen besser über die Güte dieses Getränks zu
urtheilen, als viele ältere Herren.

Nach einer guten Weile kam denn der Sekt an und wurde mit den andern
Kameraden der Compagnie gemeinschaftlich genossen. Er schmeckte prächtig, so
prächtig, daß, als wir nun die Brücke Passiren konnten, ich meinen Hauptmann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/15>, abgerufen am 24.07.2024.