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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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standen und aufgepaßt, aber es ist mir nicht gelungen, ihn zu erblicken. Mit
Mühe und Noth hatten wir für Geld etwas Fleisch und Graupen bekommen,
aber es fehlte an Geschirr, es zu kochen; da kam einer auf den Gedanken, den
Deckel des eisernen Ofens in der Stube, der ziemlich groß war, umzukehren
und als Kessel zu benutzen. Er wurde abgenommen, aber wi'e sah er aus!
-- der Kohlenruß von Jahren saß fingerdick darin. Wir kratzten ihn mit
Messern los, kamen nach einer Weile auf den Grund, aufs Eisen, kochten ihn
aus und scheuerten ihn zuletzt noch tüchtig mit Sand, und war die dann darin
zubereitete Suppe auch immer' noch sehr schwarz, so war sie doch genießbar, und
so kamen wir denn im kaiserlichen Hauptquartier zu einen" ganz leidlichen Diner.

So ging es denn Tag für Tag weiter und unter immer größeren Leiden
und Entbehrungen. Wir mußten bis in die Nacht marschiren. wurden Abends
in Kirchen eingesperrt, und selten erlaubte man uns während des Marsches zu
trinken, wo dann die Flasche mit Wasser, die ich bei mir trug, unbezahlbar
war. Endlich gelangten wir nach Sens en Bourgogne. Hier wurden wir
Offiziere auf der Mcnrie in einen großen Saal einquartiert, der erwärmt und
in welchem für jeden eine Matratze ausgebreitet war, ja wir sollten sogar des
Mittags warmes Essen bekommen. Dies war am 28. oder 29. März; am
10. oder 11. waren wir gefangen genommen worden, also sechzehn oder sieb¬
zehn Tage hatte die Qual schon gedauert. Ich lag an diesem Ruhetage mit
einem meiner Kameraden, der ein leidenschaftlicher Spieler war, auf der Ma¬
tratze, als mir dieser vorschlug, mit Würfeln zu spielen. Ich ging zum Zeit¬
vertreibe darauf ein, und da er nicht um nichts spielen wollte, so spielten wir um
unser versprochnes Mittagsessen. Indem ich zwischen Furcht und Hoffnung,
dieses zu verlieren, schwebte, kam aus dem Nebenzimmer ein Kamerad von der
badenschen Garde und sah unserm Spiele zu. Er bemerkte, daß ich einen
sehr schönen Pasch elfenbeinerner Würfel hatte, und bat mich, ihm dieselben zu
verkaufen. Ich lehnte dies erst ab, da ich den Zeitvertreib in unserm Unglück
nicht entbehren wollte, als er mir jedoch für meine Würfel sechs Franken und
einen weniger guten Pasch bot, war ich es zufrieden, der Handel wurde geschlossen,
und indem ich mich mit dem Gelde reich wie ein Krösus fühlte, gab ich gleich
unserm Schatzmeister drei Franken in die Menagekassc, und mit den andern-
dreien versuchte ich mein Glück im Nebenzimmer, wo um Geld gespielt wurde.
Es war mir günstig, und nach einer kleinen halben Stunde hatte ich sechzig
Franken gewonnen. Ich gab sofort weitere zwanzig Franken in die Mcnage-
kasse, damit wir alle in den nächsten Tagen wenigstens vor großer Noth ge¬
sichert wären, "und nun," sagte ich, "wollen wir uns einen guten Tag machen
und ein paar ordentliche Flaschen Wein zu unserm Mittagessen trinken." Er¬
wähnen muß ich hier, daß mein Siegelring und meine mit Silber beschlagene
Meerschaumpfeife schon lange verkauft waren.


Grenzboten I. 1864. 18

standen und aufgepaßt, aber es ist mir nicht gelungen, ihn zu erblicken. Mit
Mühe und Noth hatten wir für Geld etwas Fleisch und Graupen bekommen,
aber es fehlte an Geschirr, es zu kochen; da kam einer auf den Gedanken, den
Deckel des eisernen Ofens in der Stube, der ziemlich groß war, umzukehren
und als Kessel zu benutzen. Er wurde abgenommen, aber wi'e sah er aus!
— der Kohlenruß von Jahren saß fingerdick darin. Wir kratzten ihn mit
Messern los, kamen nach einer Weile auf den Grund, aufs Eisen, kochten ihn
aus und scheuerten ihn zuletzt noch tüchtig mit Sand, und war die dann darin
zubereitete Suppe auch immer' noch sehr schwarz, so war sie doch genießbar, und
so kamen wir denn im kaiserlichen Hauptquartier zu einen» ganz leidlichen Diner.

So ging es denn Tag für Tag weiter und unter immer größeren Leiden
und Entbehrungen. Wir mußten bis in die Nacht marschiren. wurden Abends
in Kirchen eingesperrt, und selten erlaubte man uns während des Marsches zu
trinken, wo dann die Flasche mit Wasser, die ich bei mir trug, unbezahlbar
war. Endlich gelangten wir nach Sens en Bourgogne. Hier wurden wir
Offiziere auf der Mcnrie in einen großen Saal einquartiert, der erwärmt und
in welchem für jeden eine Matratze ausgebreitet war, ja wir sollten sogar des
Mittags warmes Essen bekommen. Dies war am 28. oder 29. März; am
10. oder 11. waren wir gefangen genommen worden, also sechzehn oder sieb¬
zehn Tage hatte die Qual schon gedauert. Ich lag an diesem Ruhetage mit
einem meiner Kameraden, der ein leidenschaftlicher Spieler war, auf der Ma¬
tratze, als mir dieser vorschlug, mit Würfeln zu spielen. Ich ging zum Zeit¬
vertreibe darauf ein, und da er nicht um nichts spielen wollte, so spielten wir um
unser versprochnes Mittagsessen. Indem ich zwischen Furcht und Hoffnung,
dieses zu verlieren, schwebte, kam aus dem Nebenzimmer ein Kamerad von der
badenschen Garde und sah unserm Spiele zu. Er bemerkte, daß ich einen
sehr schönen Pasch elfenbeinerner Würfel hatte, und bat mich, ihm dieselben zu
verkaufen. Ich lehnte dies erst ab, da ich den Zeitvertreib in unserm Unglück
nicht entbehren wollte, als er mir jedoch für meine Würfel sechs Franken und
einen weniger guten Pasch bot, war ich es zufrieden, der Handel wurde geschlossen,
und indem ich mich mit dem Gelde reich wie ein Krösus fühlte, gab ich gleich
unserm Schatzmeister drei Franken in die Menagekassc, und mit den andern-
dreien versuchte ich mein Glück im Nebenzimmer, wo um Geld gespielt wurde.
Es war mir günstig, und nach einer kleinen halben Stunde hatte ich sechzig
Franken gewonnen. Ich gab sofort weitere zwanzig Franken in die Mcnage-
kasse, damit wir alle in den nächsten Tagen wenigstens vor großer Noth ge¬
sichert wären, „und nun," sagte ich, „wollen wir uns einen guten Tag machen
und ein paar ordentliche Flaschen Wein zu unserm Mittagessen trinken." Er¬
wähnen muß ich hier, daß mein Siegelring und meine mit Silber beschlagene
Meerschaumpfeife schon lange verkauft waren.


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[0147] standen und aufgepaßt, aber es ist mir nicht gelungen, ihn zu erblicken. Mit Mühe und Noth hatten wir für Geld etwas Fleisch und Graupen bekommen, aber es fehlte an Geschirr, es zu kochen; da kam einer auf den Gedanken, den Deckel des eisernen Ofens in der Stube, der ziemlich groß war, umzukehren und als Kessel zu benutzen. Er wurde abgenommen, aber wi'e sah er aus! — der Kohlenruß von Jahren saß fingerdick darin. Wir kratzten ihn mit Messern los, kamen nach einer Weile auf den Grund, aufs Eisen, kochten ihn aus und scheuerten ihn zuletzt noch tüchtig mit Sand, und war die dann darin zubereitete Suppe auch immer' noch sehr schwarz, so war sie doch genießbar, und so kamen wir denn im kaiserlichen Hauptquartier zu einen» ganz leidlichen Diner. So ging es denn Tag für Tag weiter und unter immer größeren Leiden und Entbehrungen. Wir mußten bis in die Nacht marschiren. wurden Abends in Kirchen eingesperrt, und selten erlaubte man uns während des Marsches zu trinken, wo dann die Flasche mit Wasser, die ich bei mir trug, unbezahlbar war. Endlich gelangten wir nach Sens en Bourgogne. Hier wurden wir Offiziere auf der Mcnrie in einen großen Saal einquartiert, der erwärmt und in welchem für jeden eine Matratze ausgebreitet war, ja wir sollten sogar des Mittags warmes Essen bekommen. Dies war am 28. oder 29. März; am 10. oder 11. waren wir gefangen genommen worden, also sechzehn oder sieb¬ zehn Tage hatte die Qual schon gedauert. Ich lag an diesem Ruhetage mit einem meiner Kameraden, der ein leidenschaftlicher Spieler war, auf der Ma¬ tratze, als mir dieser vorschlug, mit Würfeln zu spielen. Ich ging zum Zeit¬ vertreibe darauf ein, und da er nicht um nichts spielen wollte, so spielten wir um unser versprochnes Mittagsessen. Indem ich zwischen Furcht und Hoffnung, dieses zu verlieren, schwebte, kam aus dem Nebenzimmer ein Kamerad von der badenschen Garde und sah unserm Spiele zu. Er bemerkte, daß ich einen sehr schönen Pasch elfenbeinerner Würfel hatte, und bat mich, ihm dieselben zu verkaufen. Ich lehnte dies erst ab, da ich den Zeitvertreib in unserm Unglück nicht entbehren wollte, als er mir jedoch für meine Würfel sechs Franken und einen weniger guten Pasch bot, war ich es zufrieden, der Handel wurde geschlossen, und indem ich mich mit dem Gelde reich wie ein Krösus fühlte, gab ich gleich unserm Schatzmeister drei Franken in die Menagekassc, und mit den andern- dreien versuchte ich mein Glück im Nebenzimmer, wo um Geld gespielt wurde. Es war mir günstig, und nach einer kleinen halben Stunde hatte ich sechzig Franken gewonnen. Ich gab sofort weitere zwanzig Franken in die Mcnage- kasse, damit wir alle in den nächsten Tagen wenigstens vor großer Noth ge¬ sichert wären, „und nun," sagte ich, „wollen wir uns einen guten Tag machen und ein paar ordentliche Flaschen Wein zu unserm Mittagessen trinken." Er¬ wähnen muß ich hier, daß mein Siegelring und meine mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife schon lange verkauft waren. Grenzboten I. 1864. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/147>, abgerufen am 24.07.2024.