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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ob er mir wohl die Gefälligkeit erzeigen wolle, einen offenen Zettel nach der
Stadt zu tragen. Er zeigte sich bereit, ich schrieb mit Bleistift auf ein Stück¬
chen Papier: "Der Offizier, der vor etwa vierzehn Tagen das Glück gehabt,
Ihnen einen kleinen Dienst zu erweisen, als er bei Ihrem Vater einquartirt
war, ist abermals gefangen und liegt hier vor der Stadt ermüdet und hungrig,
wollen Sie sich meiner erinnern?" -- Den Jungen beschwor ich, nicht schlecht
zu sein und sein Versprechen ja zu erfüllen. Er versicherte es auf sein Ehren¬
wort, was wollte man mehr? -- Den Namen des Wirths hatte ich vergessen,
aber die Firma behalten. Mein Junge trollte ab; als er nach einer Stunde
nicht zurückkehrte, gab ich schon alle Hoffnung auf, da kam er voller Freude
an und mit ihm das junge Mädchen selbst, die uns ein reichliches Mittags-
essen mit allem Zubehör brachte, wovon wir alle vier satt wurden. Ihr glück¬
liches Gesicht, auf dem die Freude, dankbar sein zu können, sich so recht ab¬
spiegelte, war ein Desert, wie es selten geboten wird.

Kurz nachdem wir gespeist, mußten wir Offiziere antreten. Man theilte
uns zu Dreien und ließ uns bei einem großen ausgeschlagenen Fasse mit Roth¬
wein vorbeimarschiren, wo jeder von einem Sergeanten ein halbes Brod, etwa
ein Pfund schwer, und ein Glas Wein, das aus der Tonne geschöpft wurde,
erhielt. Das Brod nahm ich. ven Wein aber trank ich nicht, weil er garstig
roch und diese Art der Abfütterung gar zu gemein war. Hauptgrund war aber
wohl, weil ich gesättigt war und soeben bessern Wein aus der Hand meiner
hübschen Wirthstochter getrunken hatte.

Wir marschirten nun noch einige Lieues, dann wurden wir aus einem
Dorfe einquartirt, die Offiziere in einem Bauernhause, die Gemeinen in der
Kirche. Ich war durstig geworden und bat unsern Wirth um ein wenig
Wasser. "Auf dem Hof ist ein Brunnen," erwiderte er mürrisch; ich solle nur
hinausgehen und mir schöpfen, er sei viel zu gut, um einen verfluchten Kosa- .
ken zu bedienen.

Mit Tagesanbruch gings weiter. Von der Bedeckung hatte ich in Erfah¬
rung gebracht, daß wir nach Paris transportirt werden sollten, um dort bei
einem Triumphzug der französischen Waffen zu Paradiren, und da Napoleon
nach der Verlornen Schlacht bei Laon sich beeilte, Blücher, der sich durch keine
Diversion hatte irre machen lassen, zuvorzukommen, so mußten wir einige
Tage mit dem Armeecorps der Garde, bei dem Napoleon selbst war, die for-
cirten Märsche mitmachen, so daß wir oft neben ihnen marschirten. In einem
Dorfe, dessen Namen ich vergessen, waren wir in einem Bauerhause einquar¬
tirt und hatten Ruhetag; es war im Hauptquartier des französischen Kaisers,
dessen Wohnung der unsern gerade gegenüber lag. Ich hätte ihn gern gesehen,
den Mann, welcher so viel Unglück über mein Vaterland gebracht hatte und
jetzt schuld an unsern Leiden war; den ganzen Tag habe ich am Fenster ge-


ob er mir wohl die Gefälligkeit erzeigen wolle, einen offenen Zettel nach der
Stadt zu tragen. Er zeigte sich bereit, ich schrieb mit Bleistift auf ein Stück¬
chen Papier: „Der Offizier, der vor etwa vierzehn Tagen das Glück gehabt,
Ihnen einen kleinen Dienst zu erweisen, als er bei Ihrem Vater einquartirt
war, ist abermals gefangen und liegt hier vor der Stadt ermüdet und hungrig,
wollen Sie sich meiner erinnern?" — Den Jungen beschwor ich, nicht schlecht
zu sein und sein Versprechen ja zu erfüllen. Er versicherte es auf sein Ehren¬
wort, was wollte man mehr? — Den Namen des Wirths hatte ich vergessen,
aber die Firma behalten. Mein Junge trollte ab; als er nach einer Stunde
nicht zurückkehrte, gab ich schon alle Hoffnung auf, da kam er voller Freude
an und mit ihm das junge Mädchen selbst, die uns ein reichliches Mittags-
essen mit allem Zubehör brachte, wovon wir alle vier satt wurden. Ihr glück¬
liches Gesicht, auf dem die Freude, dankbar sein zu können, sich so recht ab¬
spiegelte, war ein Desert, wie es selten geboten wird.

Kurz nachdem wir gespeist, mußten wir Offiziere antreten. Man theilte
uns zu Dreien und ließ uns bei einem großen ausgeschlagenen Fasse mit Roth¬
wein vorbeimarschiren, wo jeder von einem Sergeanten ein halbes Brod, etwa
ein Pfund schwer, und ein Glas Wein, das aus der Tonne geschöpft wurde,
erhielt. Das Brod nahm ich. ven Wein aber trank ich nicht, weil er garstig
roch und diese Art der Abfütterung gar zu gemein war. Hauptgrund war aber
wohl, weil ich gesättigt war und soeben bessern Wein aus der Hand meiner
hübschen Wirthstochter getrunken hatte.

Wir marschirten nun noch einige Lieues, dann wurden wir aus einem
Dorfe einquartirt, die Offiziere in einem Bauernhause, die Gemeinen in der
Kirche. Ich war durstig geworden und bat unsern Wirth um ein wenig
Wasser. „Auf dem Hof ist ein Brunnen," erwiderte er mürrisch; ich solle nur
hinausgehen und mir schöpfen, er sei viel zu gut, um einen verfluchten Kosa- .
ken zu bedienen.

Mit Tagesanbruch gings weiter. Von der Bedeckung hatte ich in Erfah¬
rung gebracht, daß wir nach Paris transportirt werden sollten, um dort bei
einem Triumphzug der französischen Waffen zu Paradiren, und da Napoleon
nach der Verlornen Schlacht bei Laon sich beeilte, Blücher, der sich durch keine
Diversion hatte irre machen lassen, zuvorzukommen, so mußten wir einige
Tage mit dem Armeecorps der Garde, bei dem Napoleon selbst war, die for-
cirten Märsche mitmachen, so daß wir oft neben ihnen marschirten. In einem
Dorfe, dessen Namen ich vergessen, waren wir in einem Bauerhause einquar¬
tirt und hatten Ruhetag; es war im Hauptquartier des französischen Kaisers,
dessen Wohnung der unsern gerade gegenüber lag. Ich hätte ihn gern gesehen,
den Mann, welcher so viel Unglück über mein Vaterland gebracht hatte und
jetzt schuld an unsern Leiden war; den ganzen Tag habe ich am Fenster ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/146>, abgerufen am 24.07.2024.