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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Unsere Gefangenschaft erklärt sich dadurch, daß Napoleon nach der verlore¬
nen Schlacht bei Laon den Versuch machte, durch eine Diversion in unsern
Rücken Blücher von seinem Marsche auf Paris abzubringen, und da war denn
seine Avantgarde auf uns gestoßen. Bei dieser Gelegenheit hatte er befohlen,
aus den Lazarethen alle Reconvalescenten. die irgend fortkonnten. mitzunehmen,
um eine möglichst große Anzahl'Gefangene für einen Triumph in Paris zusa¬
hen. Am folgenden Morgen wurden wir nach Bar sur Aube transportirt.
Ich staunte, als wir auf dem Marsche mit den übrigen Gefangenen zusammen¬
kamen, es waren über zweitausend Russen, Preußen, Bayern, Würtenberger
und Badenser, was sich aus Vorstehendem erklärt. Ich machte mich an die
Spitze der Colonne, weil ich aus Erfahrung wußte, daß es sich da am besten
marschirt, und hier knüpfte ich mit einem jungen hübschen französischen Offizier
unserer Bedeckung ein Gespräch an, in welchem er äußerte, er sei auch in Deutsch¬
land gewesen und sehr die Liebenswürdigkeit der jungen deutschen Damen ge¬
gen die Franzosen zu rühmen anfing. Das ärgerte mich, da mir mehr als eine
Geschichte aus dem Jahre 1807/8 einfiel, wo die Feinde unsers Vaterlands
nur zu liebenswürdig befunden worden waren. Ich erzählte ihm daher, daß
die französischen Damen nicht minder liebenswürdig wären auch gegen uns
Feinde, besonders wenn wir uns angelegen sein ließen, durch unser Benehmen
die Gräuel des Krieges zu mildern. Ich könne ihm davon einen Beweis geben,
wenn wir nach Bar sur Aube kämen, wo ich eine Familie kennen gelernt, die
meiner Schilderung entspräche. Wenn er dort die Güte haben wollte, mich
aus dem Locale, wo wir eingesperrt würden, abzuholen, so wende ich ihm die
Bekanntschaft einer bildschönen Landsmännin verschaffen. Er versprach mir,
daß ich unter seiner Obhut meine Bekannten wiedersehen sollte, worauf ich in¬
deß nicht viel vertraute.

Endlich kamen wir in Bar sur Aube an, unsere Bedeckung ließ die Trom¬
mel rühren, um die Einwohner zusammen zu rufen, damit sie den Triumph
ihrer Waffen bewundern und sich überzeugen sollten, daß es mit dem Kaiser
noch gar nicht übel stünde. Ich fühlte mich so unglücklich, einer höhnenden
Menge zum Schauspiel dienen zu müssen, daß ich beschloß, diesem zu trotzen
Zu dem Zweck blieb ich zurück, marschirte an der rechten äußern Seite der Ge¬
fangenen , faßte Tritt und schritt, meine mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife
im Mund, mit stolzer Verachtung auf die Gaffer blickend die Straße hinab.
Da kam ein Bürger ganz dicht heran, fixirte mich und sagte: "O eotzuin
mkreds si eier ovinus un roi." -- "voquiu vous-rneirie!" rief ich aus, gab
ihm eine kräftige Ohrfeige, daß er taumelte, und sprang milde" in die Colonne,
weil ich da nicht so leicht gefunden werden konnte. Hier hörte i i,, wie andere
auf der Straße stehende Einwohner in die Hände klatschten, indem sie sagten:
"Das ist ein tapferer Mensch! Recht so, warum sich über diese Unglücklichen


Unsere Gefangenschaft erklärt sich dadurch, daß Napoleon nach der verlore¬
nen Schlacht bei Laon den Versuch machte, durch eine Diversion in unsern
Rücken Blücher von seinem Marsche auf Paris abzubringen, und da war denn
seine Avantgarde auf uns gestoßen. Bei dieser Gelegenheit hatte er befohlen,
aus den Lazarethen alle Reconvalescenten. die irgend fortkonnten. mitzunehmen,
um eine möglichst große Anzahl'Gefangene für einen Triumph in Paris zusa¬
hen. Am folgenden Morgen wurden wir nach Bar sur Aube transportirt.
Ich staunte, als wir auf dem Marsche mit den übrigen Gefangenen zusammen¬
kamen, es waren über zweitausend Russen, Preußen, Bayern, Würtenberger
und Badenser, was sich aus Vorstehendem erklärt. Ich machte mich an die
Spitze der Colonne, weil ich aus Erfahrung wußte, daß es sich da am besten
marschirt, und hier knüpfte ich mit einem jungen hübschen französischen Offizier
unserer Bedeckung ein Gespräch an, in welchem er äußerte, er sei auch in Deutsch¬
land gewesen und sehr die Liebenswürdigkeit der jungen deutschen Damen ge¬
gen die Franzosen zu rühmen anfing. Das ärgerte mich, da mir mehr als eine
Geschichte aus dem Jahre 1807/8 einfiel, wo die Feinde unsers Vaterlands
nur zu liebenswürdig befunden worden waren. Ich erzählte ihm daher, daß
die französischen Damen nicht minder liebenswürdig wären auch gegen uns
Feinde, besonders wenn wir uns angelegen sein ließen, durch unser Benehmen
die Gräuel des Krieges zu mildern. Ich könne ihm davon einen Beweis geben,
wenn wir nach Bar sur Aube kämen, wo ich eine Familie kennen gelernt, die
meiner Schilderung entspräche. Wenn er dort die Güte haben wollte, mich
aus dem Locale, wo wir eingesperrt würden, abzuholen, so wende ich ihm die
Bekanntschaft einer bildschönen Landsmännin verschaffen. Er versprach mir,
daß ich unter seiner Obhut meine Bekannten wiedersehen sollte, worauf ich in¬
deß nicht viel vertraute.

Endlich kamen wir in Bar sur Aube an, unsere Bedeckung ließ die Trom¬
mel rühren, um die Einwohner zusammen zu rufen, damit sie den Triumph
ihrer Waffen bewundern und sich überzeugen sollten, daß es mit dem Kaiser
noch gar nicht übel stünde. Ich fühlte mich so unglücklich, einer höhnenden
Menge zum Schauspiel dienen zu müssen, daß ich beschloß, diesem zu trotzen
Zu dem Zweck blieb ich zurück, marschirte an der rechten äußern Seite der Ge¬
fangenen , faßte Tritt und schritt, meine mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife
im Mund, mit stolzer Verachtung auf die Gaffer blickend die Straße hinab.
Da kam ein Bürger ganz dicht heran, fixirte mich und sagte: „O eotzuin
mkreds si eier ovinus un roi.« — „voquiu vous-rneirie!" rief ich aus, gab
ihm eine kräftige Ohrfeige, daß er taumelte, und sprang milde» in die Colonne,
weil ich da nicht so leicht gefunden werden konnte. Hier hörte i i,, wie andere
auf der Straße stehende Einwohner in die Hände klatschten, indem sie sagten:
„Das ist ein tapferer Mensch! Recht so, warum sich über diese Unglücklichen


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[0144] Unsere Gefangenschaft erklärt sich dadurch, daß Napoleon nach der verlore¬ nen Schlacht bei Laon den Versuch machte, durch eine Diversion in unsern Rücken Blücher von seinem Marsche auf Paris abzubringen, und da war denn seine Avantgarde auf uns gestoßen. Bei dieser Gelegenheit hatte er befohlen, aus den Lazarethen alle Reconvalescenten. die irgend fortkonnten. mitzunehmen, um eine möglichst große Anzahl'Gefangene für einen Triumph in Paris zusa¬ hen. Am folgenden Morgen wurden wir nach Bar sur Aube transportirt. Ich staunte, als wir auf dem Marsche mit den übrigen Gefangenen zusammen¬ kamen, es waren über zweitausend Russen, Preußen, Bayern, Würtenberger und Badenser, was sich aus Vorstehendem erklärt. Ich machte mich an die Spitze der Colonne, weil ich aus Erfahrung wußte, daß es sich da am besten marschirt, und hier knüpfte ich mit einem jungen hübschen französischen Offizier unserer Bedeckung ein Gespräch an, in welchem er äußerte, er sei auch in Deutsch¬ land gewesen und sehr die Liebenswürdigkeit der jungen deutschen Damen ge¬ gen die Franzosen zu rühmen anfing. Das ärgerte mich, da mir mehr als eine Geschichte aus dem Jahre 1807/8 einfiel, wo die Feinde unsers Vaterlands nur zu liebenswürdig befunden worden waren. Ich erzählte ihm daher, daß die französischen Damen nicht minder liebenswürdig wären auch gegen uns Feinde, besonders wenn wir uns angelegen sein ließen, durch unser Benehmen die Gräuel des Krieges zu mildern. Ich könne ihm davon einen Beweis geben, wenn wir nach Bar sur Aube kämen, wo ich eine Familie kennen gelernt, die meiner Schilderung entspräche. Wenn er dort die Güte haben wollte, mich aus dem Locale, wo wir eingesperrt würden, abzuholen, so wende ich ihm die Bekanntschaft einer bildschönen Landsmännin verschaffen. Er versprach mir, daß ich unter seiner Obhut meine Bekannten wiedersehen sollte, worauf ich in¬ deß nicht viel vertraute. Endlich kamen wir in Bar sur Aube an, unsere Bedeckung ließ die Trom¬ mel rühren, um die Einwohner zusammen zu rufen, damit sie den Triumph ihrer Waffen bewundern und sich überzeugen sollten, daß es mit dem Kaiser noch gar nicht übel stünde. Ich fühlte mich so unglücklich, einer höhnenden Menge zum Schauspiel dienen zu müssen, daß ich beschloß, diesem zu trotzen Zu dem Zweck blieb ich zurück, marschirte an der rechten äußern Seite der Ge¬ fangenen , faßte Tritt und schritt, meine mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife im Mund, mit stolzer Verachtung auf die Gaffer blickend die Straße hinab. Da kam ein Bürger ganz dicht heran, fixirte mich und sagte: „O eotzuin mkreds si eier ovinus un roi.« — „voquiu vous-rneirie!" rief ich aus, gab ihm eine kräftige Ohrfeige, daß er taumelte, und sprang milde» in die Colonne, weil ich da nicht so leicht gefunden werden konnte. Hier hörte i i,, wie andere auf der Straße stehende Einwohner in die Hände klatschten, indem sie sagten: „Das ist ein tapferer Mensch! Recht so, warum sich über diese Unglücklichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/144>, abgerufen am 24.07.2024.