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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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alle Kameraden des Bataillons gefangen. Der Commandeur, Hauptmann
du R ., hatte dasselbe Schicksal gehabt. Seinem Mangel an Vorsicht hatten wir
den Ueberfall zu danken; denn dieser war lediglich von Cavallerie ausgeführt wor¬
den, und wenn er die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, Patrouillen
vor Betretung der Stadt ausgeschickt und Wachen aufgestellt hätte, so wären wir
nicht überrascht worden. Wir wurden alle in ein großes Local eingesperrt, wo
keinerlei Vorbereitung zu einer Lagerung, und wäre es nur Stroh gewesen,
getroffen war. Meinen Kameraden ging es noch viel schlechter als mir, ich
hatte wenigstens gegessen, während diese theilweise ausgeplündert und gemi߬
handelt worden waren. Sie klagten über gräßlichen Hunger. Mit vier von
ihnen hatte ich schon in der kurzen Zeit meines Eintritts in das Bataillon
intime Bekanntschaft gemacht, die Jugend schließt sich so leicht an; sie waren:
der Lieutenant und Adjutant N . . pi, später Kreissecretär in Breslau, seit vie¬
len Jahren todt, ein Lieutenant C., der es später bis zum Major und
Bataillonscommandeur gebracht hat, (wahrscheinlich auch schon gestorben), ein
freiwilliger^Jäger D.....g, der heute noch in Brandenburg lebt. Wir be¬
schlossen, während der Dauer unserer Gefangenschaft eng zusammen zu halten,
alles mit einander zu theilen, gemeinschaftliche Kasse zu haben und einen zum
Zahlmeister und Oekonomen zu bestellen, zu welchem Amte D ..... g gewählt
wurde, weil er durch sein ruhiges biederes Wesen am besten dazu zu passen
schien. Dem augenblicklichen Hunger dieser Leidensgefährten konnte ich ab¬
helfen. Mir fiel mein freundlicher Wirth aus der vitryer Vorstadt ein, der
mich eingeladen hatte, so oft ich die Stadt passirte, bei ihm ohne Billet ein¬
zukehren , was ich aus Bescheidenheit unterlassen hatte. Ich fand einen gut¬
müthigen Bürger, der es übernahm, einen mündlichen Auftrag an ihn auszu¬
richten. Ich ließ ihm sagen, der preußische Offizier, welcher vor etwa drei bis
vier Tagen bei ihm einquartiert gewesen und dem er die Offerte gemacht, jeder¬
zeit bei ihm zu logiren, ohne erst auf der Municipallts Quartier gefordert zu
haben, sei hier von Neuem gefangen und ließe ihn bitten, ihn aufzusuchen.
Es dauerte keine halbe Stunde, so kam er und sagte mir mich umarmend:
"O, mein Freund, welche Thorheit haben Sie begangen, daß Sie meiner Ein¬
ladung, stets bei mir einzukehren, nicht gefolgt sind. Sie wären dann nicht ge¬
fangen worden; denn ich hätte Sie durch einen zuverlässigen Mann aus Fu߬
steigen auf die Straße nach Nancy bringen lassen, das Sie ganz gewiß un¬
gefährdet erreicht haben würden, denn mein Garten hinter dem Hause ist den
Bergen nahe, wohin keiner der Unsern gekommen wäre." Ich bat ihn nun,
für meine Kameraden etwas Eßbares zu besorgen; er ging und brachte nach
kurzer Zeit zwei Brode, einige Flaschen Wein und einen halben Käse, wovon
alle gesättigt wurden. Dann nahm er Abschied mit der Herzlichkeit eines nahen
Verwandten.


alle Kameraden des Bataillons gefangen. Der Commandeur, Hauptmann
du R ., hatte dasselbe Schicksal gehabt. Seinem Mangel an Vorsicht hatten wir
den Ueberfall zu danken; denn dieser war lediglich von Cavallerie ausgeführt wor¬
den, und wenn er die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, Patrouillen
vor Betretung der Stadt ausgeschickt und Wachen aufgestellt hätte, so wären wir
nicht überrascht worden. Wir wurden alle in ein großes Local eingesperrt, wo
keinerlei Vorbereitung zu einer Lagerung, und wäre es nur Stroh gewesen,
getroffen war. Meinen Kameraden ging es noch viel schlechter als mir, ich
hatte wenigstens gegessen, während diese theilweise ausgeplündert und gemi߬
handelt worden waren. Sie klagten über gräßlichen Hunger. Mit vier von
ihnen hatte ich schon in der kurzen Zeit meines Eintritts in das Bataillon
intime Bekanntschaft gemacht, die Jugend schließt sich so leicht an; sie waren:
der Lieutenant und Adjutant N . . pi, später Kreissecretär in Breslau, seit vie¬
len Jahren todt, ein Lieutenant C., der es später bis zum Major und
Bataillonscommandeur gebracht hat, (wahrscheinlich auch schon gestorben), ein
freiwilliger^Jäger D.....g, der heute noch in Brandenburg lebt. Wir be¬
schlossen, während der Dauer unserer Gefangenschaft eng zusammen zu halten,
alles mit einander zu theilen, gemeinschaftliche Kasse zu haben und einen zum
Zahlmeister und Oekonomen zu bestellen, zu welchem Amte D ..... g gewählt
wurde, weil er durch sein ruhiges biederes Wesen am besten dazu zu passen
schien. Dem augenblicklichen Hunger dieser Leidensgefährten konnte ich ab¬
helfen. Mir fiel mein freundlicher Wirth aus der vitryer Vorstadt ein, der
mich eingeladen hatte, so oft ich die Stadt passirte, bei ihm ohne Billet ein¬
zukehren , was ich aus Bescheidenheit unterlassen hatte. Ich fand einen gut¬
müthigen Bürger, der es übernahm, einen mündlichen Auftrag an ihn auszu¬
richten. Ich ließ ihm sagen, der preußische Offizier, welcher vor etwa drei bis
vier Tagen bei ihm einquartiert gewesen und dem er die Offerte gemacht, jeder¬
zeit bei ihm zu logiren, ohne erst auf der Municipallts Quartier gefordert zu
haben, sei hier von Neuem gefangen und ließe ihn bitten, ihn aufzusuchen.
Es dauerte keine halbe Stunde, so kam er und sagte mir mich umarmend:
„O, mein Freund, welche Thorheit haben Sie begangen, daß Sie meiner Ein¬
ladung, stets bei mir einzukehren, nicht gefolgt sind. Sie wären dann nicht ge¬
fangen worden; denn ich hätte Sie durch einen zuverlässigen Mann aus Fu߬
steigen auf die Straße nach Nancy bringen lassen, das Sie ganz gewiß un¬
gefährdet erreicht haben würden, denn mein Garten hinter dem Hause ist den
Bergen nahe, wohin keiner der Unsern gekommen wäre." Ich bat ihn nun,
für meine Kameraden etwas Eßbares zu besorgen; er ging und brachte nach
kurzer Zeit zwei Brode, einige Flaschen Wein und einen halben Käse, wovon
alle gesättigt wurden. Dann nahm er Abschied mit der Herzlichkeit eines nahen
Verwandten.


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[0143] alle Kameraden des Bataillons gefangen. Der Commandeur, Hauptmann du R ., hatte dasselbe Schicksal gehabt. Seinem Mangel an Vorsicht hatten wir den Ueberfall zu danken; denn dieser war lediglich von Cavallerie ausgeführt wor¬ den, und wenn er die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, Patrouillen vor Betretung der Stadt ausgeschickt und Wachen aufgestellt hätte, so wären wir nicht überrascht worden. Wir wurden alle in ein großes Local eingesperrt, wo keinerlei Vorbereitung zu einer Lagerung, und wäre es nur Stroh gewesen, getroffen war. Meinen Kameraden ging es noch viel schlechter als mir, ich hatte wenigstens gegessen, während diese theilweise ausgeplündert und gemi߬ handelt worden waren. Sie klagten über gräßlichen Hunger. Mit vier von ihnen hatte ich schon in der kurzen Zeit meines Eintritts in das Bataillon intime Bekanntschaft gemacht, die Jugend schließt sich so leicht an; sie waren: der Lieutenant und Adjutant N . . pi, später Kreissecretär in Breslau, seit vie¬ len Jahren todt, ein Lieutenant C., der es später bis zum Major und Bataillonscommandeur gebracht hat, (wahrscheinlich auch schon gestorben), ein freiwilliger^Jäger D.....g, der heute noch in Brandenburg lebt. Wir be¬ schlossen, während der Dauer unserer Gefangenschaft eng zusammen zu halten, alles mit einander zu theilen, gemeinschaftliche Kasse zu haben und einen zum Zahlmeister und Oekonomen zu bestellen, zu welchem Amte D ..... g gewählt wurde, weil er durch sein ruhiges biederes Wesen am besten dazu zu passen schien. Dem augenblicklichen Hunger dieser Leidensgefährten konnte ich ab¬ helfen. Mir fiel mein freundlicher Wirth aus der vitryer Vorstadt ein, der mich eingeladen hatte, so oft ich die Stadt passirte, bei ihm ohne Billet ein¬ zukehren , was ich aus Bescheidenheit unterlassen hatte. Ich fand einen gut¬ müthigen Bürger, der es übernahm, einen mündlichen Auftrag an ihn auszu¬ richten. Ich ließ ihm sagen, der preußische Offizier, welcher vor etwa drei bis vier Tagen bei ihm einquartiert gewesen und dem er die Offerte gemacht, jeder¬ zeit bei ihm zu logiren, ohne erst auf der Municipallts Quartier gefordert zu haben, sei hier von Neuem gefangen und ließe ihn bitten, ihn aufzusuchen. Es dauerte keine halbe Stunde, so kam er und sagte mir mich umarmend: „O, mein Freund, welche Thorheit haben Sie begangen, daß Sie meiner Ein¬ ladung, stets bei mir einzukehren, nicht gefolgt sind. Sie wären dann nicht ge¬ fangen worden; denn ich hätte Sie durch einen zuverlässigen Mann aus Fu߬ steigen auf die Straße nach Nancy bringen lassen, das Sie ganz gewiß un¬ gefährdet erreicht haben würden, denn mein Garten hinter dem Hause ist den Bergen nahe, wohin keiner der Unsern gekommen wäre." Ich bat ihn nun, für meine Kameraden etwas Eßbares zu besorgen; er ging und brachte nach kurzer Zeit zwei Brode, einige Flaschen Wein und einen halben Käse, wovon alle gesättigt wurden. Dann nahm er Abschied mit der Herzlichkeit eines nahen Verwandten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/143>, abgerufen am 24.07.2024.