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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ständigkeit unsrer Poesie unmittelbar aus den Parteien der vorigen Periode
hervorging, und daß von daher zwei so widersprechende Naturen zur Ausbildung
gelangten, wie Klopstock und Wieland, ist ein Beweis für die Naturmäßigkeit der
Entwickelung unsrer Poesie, Auch im Mittelalter hat die deutsche Poesie denselben
Gegensatz gezeigte in Wolfram von Eschenbach gegenüber Gottfried von Straßbnrg,
ferner in der Gralsage gegenüber der Artussagc, Es ist einer der tiefsten Grund¬
züge des deutschen Volkes, daß es den Kampf des Christenthums, den Durchgang
durch die Sünde, um zur Erlösung und Heiligung zu gelangen, aus allen Ge¬
bieten zur Darstellung bringt." Den Sinn solcher Aussprüche zu ergründen, wird
nicht leicht und am wenigsten der Schule, für die das Werk bestimmt ist, gelingen.
Indeß kommen dergleichen Wunderlichkeiten nur selten vor, und so läßt sich das
Buch Lehrern und Schülern recht wohl empfehlen.


Schiller als Historiker. Von or. Johannes Janssen. Freiburg im
Breisgau. Herdcrschc Verlagshandlung. 1803.

Faßt alles zusammen, was man vom Standpunkte der Herren Hurter, Gfrörer,
Ouro Klopp und Genossen gegen die historischen Schriften Schillers sagen kann. Die
Geschichte des Abfalls der Niederlande kommt dabei noch verhältnißmäßig leidlich weg,
obwohl Schiller auch hier in Quellenstudien und Quellenkritik mit unverantwortlichen
Leichtsinn verfahren ist und in Beurtheilung der betreffenden Charaktere, besonders
Granvellas und Oranicns, sowie in Auffassung der bezüglichen Ereignisse, Zustände
und Institute, vorzüglich der Inquisition, sich schwerer Irrthümer schuldig gemacht
hat. Sein dreißigjähriger Krieg aber ist "trotz seines weltbürgerlichen und philo-
sophischen Standpunkts in Wahrheit eine kleinfürstlich-französische Darstellung -und
nicht frei von dem Charakter einer ernestinischcn Hofhistoriographie. Wie Wieland am
Hofe eines Ernestiners in der Vorrede zum historischen Kalender von 1792 den west-
phälischen Friedensschluß feierte, weil aus ihm eine so vortreffliche Verfassung von
Deutschland hervorgegangen sei, so faßte Schiller als Professor eines Ernestiners nach
den herrschenden territorial-fürstlichen Anschauungen die politischen Verhältnisse des
Krieges auf, in die er ein reiches Lob für die Ernestiner einzuflechten wußte." Zu
diesem Tone, bisweilen mit noch anmuthigern Ausfällen geht es weiter. Man wird
aber nicht verlangen, daß wir mehr davon geben, und auch ein Urtheil über diese
Sorte Kritik ist überflüssig. Das Buch ist, abgesehen von den Einzelnheiten, die an
Schillers Darstellung in der That unrichtig sind, mit deren Aufdeckung der Herr
Professor Janssen aber wenigstens für uns Protestanten zu spät kommt, da nie¬
mand von uns die Irrthümer Schillers läugnet, einerseits eine Lobrede auf die
östreichisch-ultramontane Politik, andrerseits ein ziemlich widerwärtiges Pasquill, wel¬
ches niemand, auf dessen Meinung etwas ankommt, überzeugen wird, daß Schiller
nicht im Ganzen und Großen die niederländische Revolution wie den dreißig"
jährigen Krieg richtig aufgefaßt und in einer für die Nation segensreichen Weise
dargestellt hat.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag vou F. L. Herdig. -- Druck von C. E. Mbert in Leipzig.

Ständigkeit unsrer Poesie unmittelbar aus den Parteien der vorigen Periode
hervorging, und daß von daher zwei so widersprechende Naturen zur Ausbildung
gelangten, wie Klopstock und Wieland, ist ein Beweis für die Naturmäßigkeit der
Entwickelung unsrer Poesie, Auch im Mittelalter hat die deutsche Poesie denselben
Gegensatz gezeigte in Wolfram von Eschenbach gegenüber Gottfried von Straßbnrg,
ferner in der Gralsage gegenüber der Artussagc, Es ist einer der tiefsten Grund¬
züge des deutschen Volkes, daß es den Kampf des Christenthums, den Durchgang
durch die Sünde, um zur Erlösung und Heiligung zu gelangen, aus allen Ge¬
bieten zur Darstellung bringt." Den Sinn solcher Aussprüche zu ergründen, wird
nicht leicht und am wenigsten der Schule, für die das Werk bestimmt ist, gelingen.
Indeß kommen dergleichen Wunderlichkeiten nur selten vor, und so läßt sich das
Buch Lehrern und Schülern recht wohl empfehlen.


Schiller als Historiker. Von or. Johannes Janssen. Freiburg im
Breisgau. Herdcrschc Verlagshandlung. 1803.

Faßt alles zusammen, was man vom Standpunkte der Herren Hurter, Gfrörer,
Ouro Klopp und Genossen gegen die historischen Schriften Schillers sagen kann. Die
Geschichte des Abfalls der Niederlande kommt dabei noch verhältnißmäßig leidlich weg,
obwohl Schiller auch hier in Quellenstudien und Quellenkritik mit unverantwortlichen
Leichtsinn verfahren ist und in Beurtheilung der betreffenden Charaktere, besonders
Granvellas und Oranicns, sowie in Auffassung der bezüglichen Ereignisse, Zustände
und Institute, vorzüglich der Inquisition, sich schwerer Irrthümer schuldig gemacht
hat. Sein dreißigjähriger Krieg aber ist „trotz seines weltbürgerlichen und philo-
sophischen Standpunkts in Wahrheit eine kleinfürstlich-französische Darstellung -und
nicht frei von dem Charakter einer ernestinischcn Hofhistoriographie. Wie Wieland am
Hofe eines Ernestiners in der Vorrede zum historischen Kalender von 1792 den west-
phälischen Friedensschluß feierte, weil aus ihm eine so vortreffliche Verfassung von
Deutschland hervorgegangen sei, so faßte Schiller als Professor eines Ernestiners nach
den herrschenden territorial-fürstlichen Anschauungen die politischen Verhältnisse des
Krieges auf, in die er ein reiches Lob für die Ernestiner einzuflechten wußte." Zu
diesem Tone, bisweilen mit noch anmuthigern Ausfällen geht es weiter. Man wird
aber nicht verlangen, daß wir mehr davon geben, und auch ein Urtheil über diese
Sorte Kritik ist überflüssig. Das Buch ist, abgesehen von den Einzelnheiten, die an
Schillers Darstellung in der That unrichtig sind, mit deren Aufdeckung der Herr
Professor Janssen aber wenigstens für uns Protestanten zu spät kommt, da nie¬
mand von uns die Irrthümer Schillers läugnet, einerseits eine Lobrede auf die
östreichisch-ultramontane Politik, andrerseits ein ziemlich widerwärtiges Pasquill, wel¬
ches niemand, auf dessen Meinung etwas ankommt, überzeugen wird, daß Schiller
nicht im Ganzen und Großen die niederländische Revolution wie den dreißig«
jährigen Krieg richtig aufgefaßt und in einer für die Nation segensreichen Weise
dargestellt hat.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag vou F. L. Herdig. — Druck von C. E. Mbert in Leipzig.
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[0130] Ständigkeit unsrer Poesie unmittelbar aus den Parteien der vorigen Periode hervorging, und daß von daher zwei so widersprechende Naturen zur Ausbildung gelangten, wie Klopstock und Wieland, ist ein Beweis für die Naturmäßigkeit der Entwickelung unsrer Poesie, Auch im Mittelalter hat die deutsche Poesie denselben Gegensatz gezeigte in Wolfram von Eschenbach gegenüber Gottfried von Straßbnrg, ferner in der Gralsage gegenüber der Artussagc, Es ist einer der tiefsten Grund¬ züge des deutschen Volkes, daß es den Kampf des Christenthums, den Durchgang durch die Sünde, um zur Erlösung und Heiligung zu gelangen, aus allen Ge¬ bieten zur Darstellung bringt." Den Sinn solcher Aussprüche zu ergründen, wird nicht leicht und am wenigsten der Schule, für die das Werk bestimmt ist, gelingen. Indeß kommen dergleichen Wunderlichkeiten nur selten vor, und so läßt sich das Buch Lehrern und Schülern recht wohl empfehlen. Schiller als Historiker. Von or. Johannes Janssen. Freiburg im Breisgau. Herdcrschc Verlagshandlung. 1803. Faßt alles zusammen, was man vom Standpunkte der Herren Hurter, Gfrörer, Ouro Klopp und Genossen gegen die historischen Schriften Schillers sagen kann. Die Geschichte des Abfalls der Niederlande kommt dabei noch verhältnißmäßig leidlich weg, obwohl Schiller auch hier in Quellenstudien und Quellenkritik mit unverantwortlichen Leichtsinn verfahren ist und in Beurtheilung der betreffenden Charaktere, besonders Granvellas und Oranicns, sowie in Auffassung der bezüglichen Ereignisse, Zustände und Institute, vorzüglich der Inquisition, sich schwerer Irrthümer schuldig gemacht hat. Sein dreißigjähriger Krieg aber ist „trotz seines weltbürgerlichen und philo- sophischen Standpunkts in Wahrheit eine kleinfürstlich-französische Darstellung -und nicht frei von dem Charakter einer ernestinischcn Hofhistoriographie. Wie Wieland am Hofe eines Ernestiners in der Vorrede zum historischen Kalender von 1792 den west- phälischen Friedensschluß feierte, weil aus ihm eine so vortreffliche Verfassung von Deutschland hervorgegangen sei, so faßte Schiller als Professor eines Ernestiners nach den herrschenden territorial-fürstlichen Anschauungen die politischen Verhältnisse des Krieges auf, in die er ein reiches Lob für die Ernestiner einzuflechten wußte." Zu diesem Tone, bisweilen mit noch anmuthigern Ausfällen geht es weiter. Man wird aber nicht verlangen, daß wir mehr davon geben, und auch ein Urtheil über diese Sorte Kritik ist überflüssig. Das Buch ist, abgesehen von den Einzelnheiten, die an Schillers Darstellung in der That unrichtig sind, mit deren Aufdeckung der Herr Professor Janssen aber wenigstens für uns Protestanten zu spät kommt, da nie¬ mand von uns die Irrthümer Schillers läugnet, einerseits eine Lobrede auf die östreichisch-ultramontane Politik, andrerseits ein ziemlich widerwärtiges Pasquill, wel¬ ches niemand, auf dessen Meinung etwas ankommt, überzeugen wird, daß Schiller nicht im Ganzen und Großen die niederländische Revolution wie den dreißig« jährigen Krieg richtig aufgefaßt und in einer für die Nation segensreichen Weise dargestellt hat. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag vou F. L. Herdig. — Druck von C. E. Mbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/130>, abgerufen am 04.07.2024.