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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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weil schon ein Regiment russischer Grenadiere darin stand, mußten wir Andern
weiter marschiren. Wir Füsiliere kamen nach einem Dorfe eine halbe Lieue hinter
der Stadt, welches dicht an der großen Straße lag. Während des ganzen Mar¬
sches von Koblenz aus waren wir mit unsern Kameraden nicht zusammen ge¬
wesen und hatten beschlossen, diese Gelegenheit der Vereinigung zu benutzen
und uns in der Stadt ein Rendezvous in irgend einer Restauration zu geben
und bei einem Glase Wein ein Stündchen zu verplaudern. Ich hatte mir Ur¬
laub ausgebeten, in der Stadt zurückbleiben zu dürfen, und so fanden wir uns
denn bald in dem besten Hotel zusammen. Einer meiner Kameraden, ein
Jugendfreund, v. T., sagte zu mir: "Höre Freund, ich habe ein prächtiges Quar¬
tier, und die Krone von allem darin ist ein bildhübsches Mädchen; schade nur,
daß ich nicht mit ihr sprechen kann. Ich mache dir daher den Vorschlag, bei
mir zu essen. Meine Wirthsleute sind sehr gebildet und gute Royalisten, sie
werden dich gern aufnehmen." Der Antrag war sehr lockend. Ich war einige
Monate über zweiundzwanzig Jahre alt. gern in Damengesellschaft und noch
nie in gebildeten französischen Familien .gewesen, die ich doch auch gern ken¬
nen lernen wollte. So ging ich denn mit und fand wirklich eine ungemein
verbindliche Aufnahme bei dieser liebenswürdigen Familie, die aus dem Haus¬
herrn, der noch gar nicht betagten Hausfrau und einem in der That sehr hüb¬
schen artigen Mädchen von 18--20 Jahren bestand. Das Essen war sehr gut,
Getränk ausgezeichnet, die Gesellschaft charmant. Wir unterhielten uns vor¬
trefflich, namentlich schmeichelte uns, daß sie die Preußen den Russen vorzogen
und zwar wegen ihrer besseren Mannszuchr. Die russischen Truppen hatten sich
in der Stadt die gröbsten Excesse zu Schulden kommen lassen und unter Anderm
ein vierjähriges Kind aus dem dritten Stock auf die Straße geworfen, daher
sie von den Einwohnern mit Zittern und Zagen betrachtet wurden.

Ich amüsirte mich so gut, daß ich gar nicht an die Zeit und ebensowenig
daran dachte, daß ich in Feindes Land war und allein noch in der Nacht eine
Viertelmeile zurückzulegen hatte. Mein Freund erinnerte mich daran, und ich
brach nun auf, nachdem ich mir den einzuschlagenden Weg, um aus der Stadt
auf die Chaussee zu kommen, genau hatte beschreiben lassen. Dennoch wurde
ich unsicher, als ich auf den Marktplatz kam, der im regelmäßigen Viereck ge¬
baut war, und von dem aus von jeder Ecke eine Straße nach den Thoren
führte. Ich blieb also stehen und sah mich nach jemand um, der mir Bescheid
geben könne. Da bemerkte ich in einer Hausthür ein paar Schritte von mir
ein Frauenzimmer, das mir ein Dienstmädchen schien, denn es war so Heller
Mondschein, daß man wie am Tage sehen konnte. Ich fragte sie, mich ihr
nähernd, nach dem Wege und sie hatte eben angefangen, mir Auskunft zu ge¬
ben, als sie plötzlich ausrief: "0 mon älen, (los RuWW!" in das Haus zurück¬
sprang und mir die Thür vor der Nase zuwarf. Ich blieb stehen, hoffend.


weil schon ein Regiment russischer Grenadiere darin stand, mußten wir Andern
weiter marschiren. Wir Füsiliere kamen nach einem Dorfe eine halbe Lieue hinter
der Stadt, welches dicht an der großen Straße lag. Während des ganzen Mar¬
sches von Koblenz aus waren wir mit unsern Kameraden nicht zusammen ge¬
wesen und hatten beschlossen, diese Gelegenheit der Vereinigung zu benutzen
und uns in der Stadt ein Rendezvous in irgend einer Restauration zu geben
und bei einem Glase Wein ein Stündchen zu verplaudern. Ich hatte mir Ur¬
laub ausgebeten, in der Stadt zurückbleiben zu dürfen, und so fanden wir uns
denn bald in dem besten Hotel zusammen. Einer meiner Kameraden, ein
Jugendfreund, v. T., sagte zu mir: „Höre Freund, ich habe ein prächtiges Quar¬
tier, und die Krone von allem darin ist ein bildhübsches Mädchen; schade nur,
daß ich nicht mit ihr sprechen kann. Ich mache dir daher den Vorschlag, bei
mir zu essen. Meine Wirthsleute sind sehr gebildet und gute Royalisten, sie
werden dich gern aufnehmen." Der Antrag war sehr lockend. Ich war einige
Monate über zweiundzwanzig Jahre alt. gern in Damengesellschaft und noch
nie in gebildeten französischen Familien .gewesen, die ich doch auch gern ken¬
nen lernen wollte. So ging ich denn mit und fand wirklich eine ungemein
verbindliche Aufnahme bei dieser liebenswürdigen Familie, die aus dem Haus¬
herrn, der noch gar nicht betagten Hausfrau und einem in der That sehr hüb¬
schen artigen Mädchen von 18—20 Jahren bestand. Das Essen war sehr gut,
Getränk ausgezeichnet, die Gesellschaft charmant. Wir unterhielten uns vor¬
trefflich, namentlich schmeichelte uns, daß sie die Preußen den Russen vorzogen
und zwar wegen ihrer besseren Mannszuchr. Die russischen Truppen hatten sich
in der Stadt die gröbsten Excesse zu Schulden kommen lassen und unter Anderm
ein vierjähriges Kind aus dem dritten Stock auf die Straße geworfen, daher
sie von den Einwohnern mit Zittern und Zagen betrachtet wurden.

Ich amüsirte mich so gut, daß ich gar nicht an die Zeit und ebensowenig
daran dachte, daß ich in Feindes Land war und allein noch in der Nacht eine
Viertelmeile zurückzulegen hatte. Mein Freund erinnerte mich daran, und ich
brach nun auf, nachdem ich mir den einzuschlagenden Weg, um aus der Stadt
auf die Chaussee zu kommen, genau hatte beschreiben lassen. Dennoch wurde
ich unsicher, als ich auf den Marktplatz kam, der im regelmäßigen Viereck ge¬
baut war, und von dem aus von jeder Ecke eine Straße nach den Thoren
führte. Ich blieb also stehen und sah mich nach jemand um, der mir Bescheid
geben könne. Da bemerkte ich in einer Hausthür ein paar Schritte von mir
ein Frauenzimmer, das mir ein Dienstmädchen schien, denn es war so Heller
Mondschein, daß man wie am Tage sehen konnte. Ich fragte sie, mich ihr
nähernd, nach dem Wege und sie hatte eben angefangen, mir Auskunft zu ge¬
ben, als sie plötzlich ausrief: „0 mon älen, (los RuWW!" in das Haus zurück¬
sprang und mir die Thür vor der Nase zuwarf. Ich blieb stehen, hoffend.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/12>, abgerufen am 24.07.2024.