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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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riß Erregende bemerkt. Ich traf den gedachten Herrn in der Hausflur im Be¬
griff auszugehen, meldete mich und sagte ihm meinen Auftrag. Er erwiderte:
"Gestern war die Schlacht von Laon, wir haben gesiegt, der Weg zur Armee
ist frei, sagen Sie Ihrem Commandeur, er Sonne recht gut jetzt umkehren."
Der Commandant war ein Lieutenant von der Landwehr, aber viel älter als
ich, seinen Namen weiß ich nicht. Als ich dem Hauptmann die Meldung machte,
die so günstig lautete, wurde beschlossen, noch den andern Tag abzuwarten und
dann erst den Rückmarsch zur Armee anzutreten. Die Fouriere wurden an
diesem andern Tage abgeschickt, um Quartier zu machen. Wir rückten etwa
den 11. März nach Se. Dizicr ab, kamen dort gegen die Mittagsstunde an,
und die Leute wurden einquartiert. Als ich mit dem Einquartieren der Com¬
pagnie fertig war, ging ich erst nach dem Stall, wo mein Pferd stand, um zu
sehen, wie es untergebracht war. Es stand noch ein anderes von einem
Kameraden darin, die Burschen sollten nach Fourage gehen, weshalb ich die
Stallscblüssel mitnahm. Mein Quartier war in einem Eckhaus am Markte,
bei einem Apotheker. In das mir angewiesene Zimmer getreten, welches die
Aussicht auf den Markt hatte, legte ich meinen Säbel ab, meinen Geldbeutel auf
den Tisch, machte mirs bequem und bestellte mir, als das Mädchen vom Wirth
eintrat und nach meinen Befehlen fragte, etwas Wein mit Wasser. Dann
trat ich ans Fenster, fuhr aber wie von einer Tarantel gestochen zurück. Wir
waren überfallen! Feindliche Chasseurs tummelten sich ^>uf dem Markte und
jagten sich mit einzelnen von unsern Leuten herum. Der Gedanke, ungesehen
den Stall zu erreichen, der in einem Nebengäßchen war, kam mir ausführbar
vor, jedenfalls wollte ich es versuchen; denn mein Pferd war noch nicht ab¬
gesattelt, und hatte ich dieses, so konnte ich mich retten. Ich nehme nur
meine Pfeife, lasse Säbel und Börse liegen, laufe hinunter und will eben in
das Gäßchen einbiegen, als ein Chasseur mich gewahr wird und Jagd auf
mich macht. In meiner Verlegenheit erblicke ich meinem Quartier gegenüber
ein junges gut gekleidetes Mädchen in einer offenen Hausthür stehen, die mit
großem Interesse dem Treiben auf der Gasse zusieht, und ehe der Chasseur
mich erreicht, bin ich mit drei mächtigen Sätzen die Stufen hinausgesprungen,
die zu der Hausthür führen, habe das Mädchen in das Haus zurückgedrängt
und die Thür zugeschlagen und verriegelt.

Das junge Mädchen war ganz versteinert und zuerst keines Wortes mäch¬
tig. So sehen wir einige Augenblicke einander an. Dann sammle ich mich
und frage, wem das Haus gehört. "Dem Pfarrer," erwidert sie. -- "Kann
ich ihn nicht sprechen?" -- "Er ist unwohl und liegt im Bette." -- "Ist er so
krank, daß er niemand sprechen kann?" -- "O nein, aber" -- "Mademoiselle,
seien Sie nicht bange, ich werde Ihnen nichts thun; ich bin verloren, das
sehe ich wohl; aber ich wollte mich nicht auf der Straße gefangen nehmen und


riß Erregende bemerkt. Ich traf den gedachten Herrn in der Hausflur im Be¬
griff auszugehen, meldete mich und sagte ihm meinen Auftrag. Er erwiderte:
„Gestern war die Schlacht von Laon, wir haben gesiegt, der Weg zur Armee
ist frei, sagen Sie Ihrem Commandeur, er Sonne recht gut jetzt umkehren."
Der Commandant war ein Lieutenant von der Landwehr, aber viel älter als
ich, seinen Namen weiß ich nicht. Als ich dem Hauptmann die Meldung machte,
die so günstig lautete, wurde beschlossen, noch den andern Tag abzuwarten und
dann erst den Rückmarsch zur Armee anzutreten. Die Fouriere wurden an
diesem andern Tage abgeschickt, um Quartier zu machen. Wir rückten etwa
den 11. März nach Se. Dizicr ab, kamen dort gegen die Mittagsstunde an,
und die Leute wurden einquartiert. Als ich mit dem Einquartieren der Com¬
pagnie fertig war, ging ich erst nach dem Stall, wo mein Pferd stand, um zu
sehen, wie es untergebracht war. Es stand noch ein anderes von einem
Kameraden darin, die Burschen sollten nach Fourage gehen, weshalb ich die
Stallscblüssel mitnahm. Mein Quartier war in einem Eckhaus am Markte,
bei einem Apotheker. In das mir angewiesene Zimmer getreten, welches die
Aussicht auf den Markt hatte, legte ich meinen Säbel ab, meinen Geldbeutel auf
den Tisch, machte mirs bequem und bestellte mir, als das Mädchen vom Wirth
eintrat und nach meinen Befehlen fragte, etwas Wein mit Wasser. Dann
trat ich ans Fenster, fuhr aber wie von einer Tarantel gestochen zurück. Wir
waren überfallen! Feindliche Chasseurs tummelten sich ^>uf dem Markte und
jagten sich mit einzelnen von unsern Leuten herum. Der Gedanke, ungesehen
den Stall zu erreichen, der in einem Nebengäßchen war, kam mir ausführbar
vor, jedenfalls wollte ich es versuchen; denn mein Pferd war noch nicht ab¬
gesattelt, und hatte ich dieses, so konnte ich mich retten. Ich nehme nur
meine Pfeife, lasse Säbel und Börse liegen, laufe hinunter und will eben in
das Gäßchen einbiegen, als ein Chasseur mich gewahr wird und Jagd auf
mich macht. In meiner Verlegenheit erblicke ich meinem Quartier gegenüber
ein junges gut gekleidetes Mädchen in einer offenen Hausthür stehen, die mit
großem Interesse dem Treiben auf der Gasse zusieht, und ehe der Chasseur
mich erreicht, bin ich mit drei mächtigen Sätzen die Stufen hinausgesprungen,
die zu der Hausthür führen, habe das Mädchen in das Haus zurückgedrängt
und die Thür zugeschlagen und verriegelt.

Das junge Mädchen war ganz versteinert und zuerst keines Wortes mäch¬
tig. So sehen wir einige Augenblicke einander an. Dann sammle ich mich
und frage, wem das Haus gehört. „Dem Pfarrer," erwidert sie. — „Kann
ich ihn nicht sprechen?" — „Er ist unwohl und liegt im Bette." — „Ist er so
krank, daß er niemand sprechen kann?" — „O nein, aber" — „Mademoiselle,
seien Sie nicht bange, ich werde Ihnen nichts thun; ich bin verloren, das
sehe ich wohl; aber ich wollte mich nicht auf der Straße gefangen nehmen und


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[0119] riß Erregende bemerkt. Ich traf den gedachten Herrn in der Hausflur im Be¬ griff auszugehen, meldete mich und sagte ihm meinen Auftrag. Er erwiderte: „Gestern war die Schlacht von Laon, wir haben gesiegt, der Weg zur Armee ist frei, sagen Sie Ihrem Commandeur, er Sonne recht gut jetzt umkehren." Der Commandant war ein Lieutenant von der Landwehr, aber viel älter als ich, seinen Namen weiß ich nicht. Als ich dem Hauptmann die Meldung machte, die so günstig lautete, wurde beschlossen, noch den andern Tag abzuwarten und dann erst den Rückmarsch zur Armee anzutreten. Die Fouriere wurden an diesem andern Tage abgeschickt, um Quartier zu machen. Wir rückten etwa den 11. März nach Se. Dizicr ab, kamen dort gegen die Mittagsstunde an, und die Leute wurden einquartiert. Als ich mit dem Einquartieren der Com¬ pagnie fertig war, ging ich erst nach dem Stall, wo mein Pferd stand, um zu sehen, wie es untergebracht war. Es stand noch ein anderes von einem Kameraden darin, die Burschen sollten nach Fourage gehen, weshalb ich die Stallscblüssel mitnahm. Mein Quartier war in einem Eckhaus am Markte, bei einem Apotheker. In das mir angewiesene Zimmer getreten, welches die Aussicht auf den Markt hatte, legte ich meinen Säbel ab, meinen Geldbeutel auf den Tisch, machte mirs bequem und bestellte mir, als das Mädchen vom Wirth eintrat und nach meinen Befehlen fragte, etwas Wein mit Wasser. Dann trat ich ans Fenster, fuhr aber wie von einer Tarantel gestochen zurück. Wir waren überfallen! Feindliche Chasseurs tummelten sich ^>uf dem Markte und jagten sich mit einzelnen von unsern Leuten herum. Der Gedanke, ungesehen den Stall zu erreichen, der in einem Nebengäßchen war, kam mir ausführbar vor, jedenfalls wollte ich es versuchen; denn mein Pferd war noch nicht ab¬ gesattelt, und hatte ich dieses, so konnte ich mich retten. Ich nehme nur meine Pfeife, lasse Säbel und Börse liegen, laufe hinunter und will eben in das Gäßchen einbiegen, als ein Chasseur mich gewahr wird und Jagd auf mich macht. In meiner Verlegenheit erblicke ich meinem Quartier gegenüber ein junges gut gekleidetes Mädchen in einer offenen Hausthür stehen, die mit großem Interesse dem Treiben auf der Gasse zusieht, und ehe der Chasseur mich erreicht, bin ich mit drei mächtigen Sätzen die Stufen hinausgesprungen, die zu der Hausthür führen, habe das Mädchen in das Haus zurückgedrängt und die Thür zugeschlagen und verriegelt. Das junge Mädchen war ganz versteinert und zuerst keines Wortes mäch¬ tig. So sehen wir einige Augenblicke einander an. Dann sammle ich mich und frage, wem das Haus gehört. „Dem Pfarrer," erwidert sie. — „Kann ich ihn nicht sprechen?" — „Er ist unwohl und liegt im Bette." — „Ist er so krank, daß er niemand sprechen kann?" — „O nein, aber" — „Mademoiselle, seien Sie nicht bange, ich werde Ihnen nichts thun; ich bin verloren, das sehe ich wohl; aber ich wollte mich nicht auf der Straße gefangen nehmen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/119>, abgerufen am 24.07.2024.