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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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lüfte wieder auf die Schiffe zurückgejagt. Noch klarer beweist das frühere Vor¬
handensein römischer Kriegsschiffe die 284 von den Tarentinern verübte Bru¬
talität, zehn verdeckte römische Schiffe, die unter Valerius auf der Fahrt ins
adriatische Meer sich der tarentinischen Rhede näherten, nach Seeräuberart zu
überfallen. Seneca. Varro und Polybius tragen die Schuld von jener falschen
Meinung über die römische Kriegsmarine. Seneca nämlich schreibt in der
Schrift über die Kürze des Lebens: "Wer hat die Römer zuerst bewogen, zu
Schiffe zu steigen? Claudius ist es gewesen, der darum den Namen Caudex
erhielt, weil die Zusammenfügung mehrer Planken bei den Alten eauäöx ge¬
nannt wurde." Auch Polybius sagt freilich über den großartigen Flottenbau.
wodurch sich Rom in einem Jahr aus einer Kontinentalmacht in eine See¬
macht verwandelte: "Denn nicht einmal ohne die gehörigen, sondern ohne die
geringsten Mittel und ohne jemals an das Meer gedacht zu haben, faßten sie
den Plan dazu und führten ihn mit großer Kühnheit aus, so daß sie ohne
vorhergängigcn Versuch sich unterfingen, mit den Karthagern zur See zu fech¬
ten , denen seit langer Zeit Niemand die Oberherrschaft auf dem Meere streitig
gemacht hatte." Allein, wenn er auch hierbei den Mund etwas voll nimmt,
so theilt er doch keineswegs die kindische Ansicht, daß Appius Claudius auf
Fahrzeugen, die eher Flößen als Schiffen glichen, in Gegenwart einer starken
karthagischen Flotte den Uebergang über die Meerenge gewagt, an den später
Spartakus unter günstigeren Umständen auf solche Weise nicht gedacht hat,
sondern sagt kurz darauf: "Was aber zum Zeugniß für die außerordentliche
Kühnheit der Römer bei großen Unternehmungen dient, ist, daß, als sie sich
entschlossen, ihre Truppen nach Messina überzuführen, sie weder verdeckte noch
Transportschiffe, sondern nur Funfzigruderer und Dreidecker besaßen, die sie
von den Tarentinern. Lokrern, Eleaten und Neapolitanern geliehen hatten, auf
welchen sie sich verwegenerweise unterstanden, ihre Armee überzusetzen."

Jedenfalls ist also die Sage aus dem rein zufälligen Beinamen des römischen
Feldherrn entstanden und gehört zu den vielen äthiopischen Erfindungen des
gelehrten Varro. Wohl aber ergibt sich aus dieser Erzählung, sowie aus dem
während des Kriegs mit Pynhus entstandenen letzten karthagischen Vertrage,
nach welchem sich Rom durch 26 punische Kriegsschiffe unterstützen ließ, daß
die römische Seemacht damals sehr unbedeutend war, und daß vielleicht die
karthagischen Diplomaten nicht zu arg übertrieben, als sie die Römer vor
einem Kriege warnten, weil ja doch ohne ihren Willen kein Römer seine Hände
im Meere waschen dürfte! Doch war es damals leichter als jetzt, Flotten zu
bauen, und das Recht, unter den Seemachten einen Rang einzunehmen, war
noch nicht, wie heute, beinahe ein erbliches Privilegium einzelner Nationen,
wenn auch großartige Kühnheit und Energie dazu gehörte, mit der ersten See¬
macht des Mittelmeers in die Schranken zu treten, und wenn es auch den Ro-


lüfte wieder auf die Schiffe zurückgejagt. Noch klarer beweist das frühere Vor¬
handensein römischer Kriegsschiffe die 284 von den Tarentinern verübte Bru¬
talität, zehn verdeckte römische Schiffe, die unter Valerius auf der Fahrt ins
adriatische Meer sich der tarentinischen Rhede näherten, nach Seeräuberart zu
überfallen. Seneca. Varro und Polybius tragen die Schuld von jener falschen
Meinung über die römische Kriegsmarine. Seneca nämlich schreibt in der
Schrift über die Kürze des Lebens: „Wer hat die Römer zuerst bewogen, zu
Schiffe zu steigen? Claudius ist es gewesen, der darum den Namen Caudex
erhielt, weil die Zusammenfügung mehrer Planken bei den Alten eauäöx ge¬
nannt wurde." Auch Polybius sagt freilich über den großartigen Flottenbau.
wodurch sich Rom in einem Jahr aus einer Kontinentalmacht in eine See¬
macht verwandelte: „Denn nicht einmal ohne die gehörigen, sondern ohne die
geringsten Mittel und ohne jemals an das Meer gedacht zu haben, faßten sie
den Plan dazu und führten ihn mit großer Kühnheit aus, so daß sie ohne
vorhergängigcn Versuch sich unterfingen, mit den Karthagern zur See zu fech¬
ten , denen seit langer Zeit Niemand die Oberherrschaft auf dem Meere streitig
gemacht hatte." Allein, wenn er auch hierbei den Mund etwas voll nimmt,
so theilt er doch keineswegs die kindische Ansicht, daß Appius Claudius auf
Fahrzeugen, die eher Flößen als Schiffen glichen, in Gegenwart einer starken
karthagischen Flotte den Uebergang über die Meerenge gewagt, an den später
Spartakus unter günstigeren Umständen auf solche Weise nicht gedacht hat,
sondern sagt kurz darauf: „Was aber zum Zeugniß für die außerordentliche
Kühnheit der Römer bei großen Unternehmungen dient, ist, daß, als sie sich
entschlossen, ihre Truppen nach Messina überzuführen, sie weder verdeckte noch
Transportschiffe, sondern nur Funfzigruderer und Dreidecker besaßen, die sie
von den Tarentinern. Lokrern, Eleaten und Neapolitanern geliehen hatten, auf
welchen sie sich verwegenerweise unterstanden, ihre Armee überzusetzen."

Jedenfalls ist also die Sage aus dem rein zufälligen Beinamen des römischen
Feldherrn entstanden und gehört zu den vielen äthiopischen Erfindungen des
gelehrten Varro. Wohl aber ergibt sich aus dieser Erzählung, sowie aus dem
während des Kriegs mit Pynhus entstandenen letzten karthagischen Vertrage,
nach welchem sich Rom durch 26 punische Kriegsschiffe unterstützen ließ, daß
die römische Seemacht damals sehr unbedeutend war, und daß vielleicht die
karthagischen Diplomaten nicht zu arg übertrieben, als sie die Römer vor
einem Kriege warnten, weil ja doch ohne ihren Willen kein Römer seine Hände
im Meere waschen dürfte! Doch war es damals leichter als jetzt, Flotten zu
bauen, und das Recht, unter den Seemachten einen Rang einzunehmen, war
noch nicht, wie heute, beinahe ein erbliches Privilegium einzelner Nationen,
wenn auch großartige Kühnheit und Energie dazu gehörte, mit der ersten See¬
macht des Mittelmeers in die Schranken zu treten, und wenn es auch den Ro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/78>, abgerufen am 27.09.2024.