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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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fast unmittelbar nach Downingstreet zu kommen. Hätte Pitt seine umfassenden
classischen Studien nach der Universität erweitert, hätte er seine Menschen¬
kenntniß durch Reisen und seinen Geschmack durch Lectüre gebildet, so wäre sein
Blick freier gewesen. Aber er las fast nichts, .was sich nicht auf Politik bezog,
bildende Künste gab es nicht für ihn, und seine ganze Kenntniß des Auslandes
war auf einen flüchtigen Besuch in Paris beschränkt, ja er. der allmächtige
Minister Großbritanniens, hat niemals den Boden Schottlands und Irlands be¬
treten. Ihm fehlte daher auch die Kenntniß der auswärtigen Verhältnisse, er
war unfähig, auf eine fremde Vvlksindividualität einzugehen, und verkannte da¬
her die Tragweite der Ereignisse in Frankreich bis zum letzten Augenblick, er
theilte darin freilich nur den Irrthum vieler Zeitgenossen, aber von einem Pitt
verlangt man andres Urtheil als von Klopstock oder Förster. Später sah er
in Napoleon nur gemeine Eigenschaften, während ihn der erste Konsul in seiner
Art bewunderte.

Seine einseitig politische Bildung machte ihn auch in religiöser Beziehung
indifferent; denn obwohl er stets die englische Kirche vertheidigte und auch die
Bibel genau kannte, so antwortete er doch auf seinem Todbette dem Bischof,
der mit ihm beten wollte, "ich habe während meines Lebens das Gebet zu
fehr vernachlässigt, um jetzt Erhörung hoffen zu können;" er halte die Doctrin,
aber nicht den Glauben.

Wie der Mann, so war auch seine Rede. "Er spricht wie ein geborner Mi¬
nister", sagte Lord North; seine Beredtsamkeit war durch und durch sachlich;
zwar standen seinem reichen Geiste alle Schätze des oratorischen Schmuckes zu Ge¬
bote, aber der Schwung seiner Rede war nur ein wohlberechnetes Mittel zum
Zweck, und wenn er sein wundervolles Organ zur höchsten Entfaltung an¬
spannte, wenn das Haus athemlos an seinen Lippen hing, bis der Beifall
unwiderstehlich losbrach, so dachte er nur an den Einfluß seiner Rede auf die
Abstimmung. Daher die vollkommene Beherrschung des Stoffes, er stand stets
über der Sache, welche er vertrat. Er hatte nicht die philosophische Tiefe,
welche die Reden Burkes auszeichnete, nicht die sympathische Wärme der De-
clamation, welche Fox zum Liebling des Parlaments machte, niemals ließ er
sich hinreißen, er ward unwiderstehlich durch die Macht des Verstandes, durch
die Dialektik, welche seine Argumente wie die festgefügten Glieder einer Kette
in einander greifen ließ, die verwickeltsten finanziellen Verhältnisse erschienen
klar und leichtbegrciflich in seiner lichtvollen Gruppirung. Von früh auf war er
zur Debatte erzogen, wenn sein Barbier in Cambridge des Morgens zu ihm kam,
so hörte er ihn schon auf dem Korridor declamiren, als er dann ins Parlament
kam, kostete es ihm bald so wenig Mühe seinen Gedanken den entsprechenden Aus¬
druck zu geben, daß er sich kaum vorbereitete. Wir haben Zettel, auf denen die
Disposition zu mehren seiner größten Reden niedergeschrieben steht, es sind so


fast unmittelbar nach Downingstreet zu kommen. Hätte Pitt seine umfassenden
classischen Studien nach der Universität erweitert, hätte er seine Menschen¬
kenntniß durch Reisen und seinen Geschmack durch Lectüre gebildet, so wäre sein
Blick freier gewesen. Aber er las fast nichts, .was sich nicht auf Politik bezog,
bildende Künste gab es nicht für ihn, und seine ganze Kenntniß des Auslandes
war auf einen flüchtigen Besuch in Paris beschränkt, ja er. der allmächtige
Minister Großbritanniens, hat niemals den Boden Schottlands und Irlands be¬
treten. Ihm fehlte daher auch die Kenntniß der auswärtigen Verhältnisse, er
war unfähig, auf eine fremde Vvlksindividualität einzugehen, und verkannte da¬
her die Tragweite der Ereignisse in Frankreich bis zum letzten Augenblick, er
theilte darin freilich nur den Irrthum vieler Zeitgenossen, aber von einem Pitt
verlangt man andres Urtheil als von Klopstock oder Förster. Später sah er
in Napoleon nur gemeine Eigenschaften, während ihn der erste Konsul in seiner
Art bewunderte.

Seine einseitig politische Bildung machte ihn auch in religiöser Beziehung
indifferent; denn obwohl er stets die englische Kirche vertheidigte und auch die
Bibel genau kannte, so antwortete er doch auf seinem Todbette dem Bischof,
der mit ihm beten wollte, „ich habe während meines Lebens das Gebet zu
fehr vernachlässigt, um jetzt Erhörung hoffen zu können;" er halte die Doctrin,
aber nicht den Glauben.

Wie der Mann, so war auch seine Rede. „Er spricht wie ein geborner Mi¬
nister", sagte Lord North; seine Beredtsamkeit war durch und durch sachlich;
zwar standen seinem reichen Geiste alle Schätze des oratorischen Schmuckes zu Ge¬
bote, aber der Schwung seiner Rede war nur ein wohlberechnetes Mittel zum
Zweck, und wenn er sein wundervolles Organ zur höchsten Entfaltung an¬
spannte, wenn das Haus athemlos an seinen Lippen hing, bis der Beifall
unwiderstehlich losbrach, so dachte er nur an den Einfluß seiner Rede auf die
Abstimmung. Daher die vollkommene Beherrschung des Stoffes, er stand stets
über der Sache, welche er vertrat. Er hatte nicht die philosophische Tiefe,
welche die Reden Burkes auszeichnete, nicht die sympathische Wärme der De-
clamation, welche Fox zum Liebling des Parlaments machte, niemals ließ er
sich hinreißen, er ward unwiderstehlich durch die Macht des Verstandes, durch
die Dialektik, welche seine Argumente wie die festgefügten Glieder einer Kette
in einander greifen ließ, die verwickeltsten finanziellen Verhältnisse erschienen
klar und leichtbegrciflich in seiner lichtvollen Gruppirung. Von früh auf war er
zur Debatte erzogen, wenn sein Barbier in Cambridge des Morgens zu ihm kam,
so hörte er ihn schon auf dem Korridor declamiren, als er dann ins Parlament
kam, kostete es ihm bald so wenig Mühe seinen Gedanken den entsprechenden Aus¬
druck zu geben, daß er sich kaum vorbereitete. Wir haben Zettel, auf denen die
Disposition zu mehren seiner größten Reden niedergeschrieben steht, es sind so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/70>, abgerufen am 27.09.2024.