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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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zum Kriege, und England kaperte gleich anfangs drei Silberschisfe. Gleichzeitig
kamen aus Indien die Nachrichten von den großen Thaten Arthur Wcllesleys,
des spätern Herzogs von Wellington. Eifrig bemühte Pitt sich dann, eine neue
Coalition auf dem Kontinent zu Stande zu bringen. Rußland lieh ihm dies
Mal ein geneigtes Ohr, und am 11. April 180S kam in Petersburg ein Allianz¬
vertrag zu Stande, der bezweckte, eine Liga mit 800,000 Mann gegen Napoleon
ins Feld zu bringen. Räumung von Norddeutschland wie von ganz Italien,
Unabhängigkeit von Holland und der Schweiz, Wiederherstellung und Vergröße¬
rung Sardiniens und eine gemeinsame Ordnung der europäischen Angelegen¬
heiten, welche künftige Usurpationen verhindern sollte, wurden als die Zwecke
des Bundes angegeben, von dem kein Glied ohne Zustimmung aller Frieden
mit Frankreich schließen sollte. -- Dieser Vertrag war sicher auf der breitesten
Grundlage entworfen, und man darf in ihm die erste Idee des wiener Con-
gresses finden, aber er war zu weitgreifend, um positiv zu sein, war doch die
Tinte der Unterzeichnung kaum trocken, als die russische Negierung ein geheimes
Arrangement mit Frankreich versuchte. Dies ward freilich durch Napoleons neue
Uebergriffe, namentlich die Einverleibung Genuas vereitelt, und Oestreich wie
Schweden wurden sogar bewogen, dem Vertrage beizutreten, aber das Band
war nur locker. Nachdem Admiral Villeneuves Zögerung zum zweiten Mal
die Landung in England vereitelt, warf Napoleon sich nach Deutschland, und
am 19. October erfolgte General Manls Capitulation vor Ulm. Vergeblich suchte
Pitt das Zögern des berliner Hofes zu überwinden, um die Coalition durch
Preußen zu verstärken, die Schlacht von Austerliiz ward geschlagen, die Coali¬
tion war vernichtet. Der Eindruck, den diese Unglücksbotschaftcn auf Pitt
machten, war vernichtend und konnte durch die glorreiche Nachricht von Tra-
falgar nicht aufgewogen werden; seine Gesundheit, die schon lange hinfällig
war, erhielt durch die Aufregung, welche die Gicht nach innen warf, einen ent¬
scheidenden Stoß; er ging zur Erholung nach Bath, aber kam schlimmer zu¬
rück; als er in das Haus eintrat, siel sein Auge auf eine Karte von Europa:
"Rolle sie zusammen," sagte er zu seiner Nichte, "sie wird die nächsten zehn
Jahre nicht gebraucht werden." Lady Hehler war erschrocken über den hohlen
Ton seiner Stimme, die all ihr Metall verloren zu haben schien; bis zur Un¬
kenntlichkeit abgemagert sank er auf das Krankenlager und hauchte einige Tage
darauf seine große Seele mit dem Rufe aus: "Oil mz? corner^, llow 1 love
evuntr^l" --

. Und wie seine ganze Seele an England hing, so betrauerte auch ganz
England seinen großen Sohn, das Parlament, der lebendige Zeuge seiner
staatsmännischen Leistungen, ehrte ihn. indem es an den König eine Adresse
sandte:

"Se. Majestät möge geruhen, daß die sterblichen Neste des sehr ehren-


zum Kriege, und England kaperte gleich anfangs drei Silberschisfe. Gleichzeitig
kamen aus Indien die Nachrichten von den großen Thaten Arthur Wcllesleys,
des spätern Herzogs von Wellington. Eifrig bemühte Pitt sich dann, eine neue
Coalition auf dem Kontinent zu Stande zu bringen. Rußland lieh ihm dies
Mal ein geneigtes Ohr, und am 11. April 180S kam in Petersburg ein Allianz¬
vertrag zu Stande, der bezweckte, eine Liga mit 800,000 Mann gegen Napoleon
ins Feld zu bringen. Räumung von Norddeutschland wie von ganz Italien,
Unabhängigkeit von Holland und der Schweiz, Wiederherstellung und Vergröße¬
rung Sardiniens und eine gemeinsame Ordnung der europäischen Angelegen¬
heiten, welche künftige Usurpationen verhindern sollte, wurden als die Zwecke
des Bundes angegeben, von dem kein Glied ohne Zustimmung aller Frieden
mit Frankreich schließen sollte. — Dieser Vertrag war sicher auf der breitesten
Grundlage entworfen, und man darf in ihm die erste Idee des wiener Con-
gresses finden, aber er war zu weitgreifend, um positiv zu sein, war doch die
Tinte der Unterzeichnung kaum trocken, als die russische Negierung ein geheimes
Arrangement mit Frankreich versuchte. Dies ward freilich durch Napoleons neue
Uebergriffe, namentlich die Einverleibung Genuas vereitelt, und Oestreich wie
Schweden wurden sogar bewogen, dem Vertrage beizutreten, aber das Band
war nur locker. Nachdem Admiral Villeneuves Zögerung zum zweiten Mal
die Landung in England vereitelt, warf Napoleon sich nach Deutschland, und
am 19. October erfolgte General Manls Capitulation vor Ulm. Vergeblich suchte
Pitt das Zögern des berliner Hofes zu überwinden, um die Coalition durch
Preußen zu verstärken, die Schlacht von Austerliiz ward geschlagen, die Coali¬
tion war vernichtet. Der Eindruck, den diese Unglücksbotschaftcn auf Pitt
machten, war vernichtend und konnte durch die glorreiche Nachricht von Tra-
falgar nicht aufgewogen werden; seine Gesundheit, die schon lange hinfällig
war, erhielt durch die Aufregung, welche die Gicht nach innen warf, einen ent¬
scheidenden Stoß; er ging zur Erholung nach Bath, aber kam schlimmer zu¬
rück; als er in das Haus eintrat, siel sein Auge auf eine Karte von Europa:
»Rolle sie zusammen," sagte er zu seiner Nichte, „sie wird die nächsten zehn
Jahre nicht gebraucht werden." Lady Hehler war erschrocken über den hohlen
Ton seiner Stimme, die all ihr Metall verloren zu haben schien; bis zur Un¬
kenntlichkeit abgemagert sank er auf das Krankenlager und hauchte einige Tage
darauf seine große Seele mit dem Rufe aus: „Oil mz? corner^, llow 1 love
evuntr^l" —

. Und wie seine ganze Seele an England hing, so betrauerte auch ganz
England seinen großen Sohn, das Parlament, der lebendige Zeuge seiner
staatsmännischen Leistungen, ehrte ihn. indem es an den König eine Adresse
sandte:

„Se. Majestät möge geruhen, daß die sterblichen Neste des sehr ehren-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/67>, abgerufen am 27.09.2024.