Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

englischen Verfassung auf eine unerhörte Weise durch Ausnahmegesetze be¬
schränkte. -- Uns scheint dieser Tadel weit über das Maß hinauszugehen und
sich durch den entgegengesetzten Vorwurf, den ihm derselbe Historiker macht, fast
zuwiderlegen, nämlich den, daß, wenn Pitt den Krieg mit Frankreich überhaupt
habe aufnehmen wollen, er ihn dann auch im Sinne Burkes als einen Prin¬
cipienkrieg hätte führen müssen. Was dies Letztere anbetrifft, so hätte ein Krieg
in diesem Sinne aufgefaßt noch weit erbitterter und blutiger nach außen
wirken und nach innen in noch viel höherem Grade alle freiheitlichen Re¬
gungen unterdrücken, alle Reformen verhindern müssen. So wie wir jetzt
auf den Schultern der Ereignisse stehend urtheilen, wäre es für England wie
für das Ausland gewiß die richtige Politik gewesen, den revolutionären Krater
in sich ausbrennen zu lassen, es hätte nur mit der tiefsten Zerrüttung und
Erschöpfung der Kräfte Frankreichs enden können. Sollte aber der Krieg ge¬
führt werden, und es läßt sich nicht läugnen, daß nur ein ganz ungewöhnlicher
Grad von staatsmännischcr Einsicht den französischen Herausforderungen wider¬
stehen konnte, so mußte er in dem Geiste geführt werden, in dem Pitt es that,
indem man den hochfliegenden Theorien der revolutionären Fanatiker das Ge¬
wicht der politisch-militärischen praktischen Interessen entgegensetzte. Das
Ziel erkannte Pitt richtig, aber der Vorwurf trifft ihn allerdings, daß er die
Mittel zum Zweck nicht zu wählen wußte. Wir wollen ihn nicht deshalb tadeln,
daß er die Details der Ausrüstung einer Armee nicht verstand, wir wollen ihm
so wenig die einzelnen Niederlagen zum Vorwurf machen als die großen See¬
siege zum Verdienst anrechnen; aber unbestreitbar ist, daß er nicht wie sein
großer Vater das Genie für die höchste Leitung eines Krieges hatte. Minister
brauchen nicht die Verwaltung des Kriegsdepartcments in seinen Einzelheiten
inne zu haben, aber wohl die große Kunst, geeignete Generale für ihre poli¬
tischen Zwecke zu wählen. So verdankte Chatham die Eroberung Canadas der
einsichtigen Kühnheit, mit der er eine Armee dem Oberst Wolfe anvertraute, und
so verdankte sein Sohn die Niederlagen in Holland dem Mangel an Urtheil
oder der unzeitigen Gefälligkeit gegen den König, die ihn zweimal den Herzog
v. Aork an die Spitze einer Armee stellen ließ. Die großen Secsiegc Nelsons
und seiner Admiräle wurden ebenso trotz der traurigen Verwaltung der Admi¬
ralität, an deren Spitze Pitt seinen unfähigen Bruder Lord Chatham ließ, er¬
fochten, wie Eugen trotz des wiener Hofkriegsraths siegte, und man kann sagen,
daß in dem ganzen Kriege nur ein Plan von Pitt selbst wohl vorbereitet und
gut geleitet ward, die Expedition gegen Aegypten von 1801. Aber noch ein
andrer Tadel trifft den Minister. Er hatte 1786 als Hauptgrund sür den
Frieden mit Amerika angeführt, daß die englische Flotte nicht mehr gegen die
von Frankreich, Holland und Spanien Stand halten könne; die Aufgabe wäre
also für den Minister gewesen, den Frieden zur Herstellung der Land- und See-


englischen Verfassung auf eine unerhörte Weise durch Ausnahmegesetze be¬
schränkte. — Uns scheint dieser Tadel weit über das Maß hinauszugehen und
sich durch den entgegengesetzten Vorwurf, den ihm derselbe Historiker macht, fast
zuwiderlegen, nämlich den, daß, wenn Pitt den Krieg mit Frankreich überhaupt
habe aufnehmen wollen, er ihn dann auch im Sinne Burkes als einen Prin¬
cipienkrieg hätte führen müssen. Was dies Letztere anbetrifft, so hätte ein Krieg
in diesem Sinne aufgefaßt noch weit erbitterter und blutiger nach außen
wirken und nach innen in noch viel höherem Grade alle freiheitlichen Re¬
gungen unterdrücken, alle Reformen verhindern müssen. So wie wir jetzt
auf den Schultern der Ereignisse stehend urtheilen, wäre es für England wie
für das Ausland gewiß die richtige Politik gewesen, den revolutionären Krater
in sich ausbrennen zu lassen, es hätte nur mit der tiefsten Zerrüttung und
Erschöpfung der Kräfte Frankreichs enden können. Sollte aber der Krieg ge¬
führt werden, und es läßt sich nicht läugnen, daß nur ein ganz ungewöhnlicher
Grad von staatsmännischcr Einsicht den französischen Herausforderungen wider¬
stehen konnte, so mußte er in dem Geiste geführt werden, in dem Pitt es that,
indem man den hochfliegenden Theorien der revolutionären Fanatiker das Ge¬
wicht der politisch-militärischen praktischen Interessen entgegensetzte. Das
Ziel erkannte Pitt richtig, aber der Vorwurf trifft ihn allerdings, daß er die
Mittel zum Zweck nicht zu wählen wußte. Wir wollen ihn nicht deshalb tadeln,
daß er die Details der Ausrüstung einer Armee nicht verstand, wir wollen ihm
so wenig die einzelnen Niederlagen zum Vorwurf machen als die großen See¬
siege zum Verdienst anrechnen; aber unbestreitbar ist, daß er nicht wie sein
großer Vater das Genie für die höchste Leitung eines Krieges hatte. Minister
brauchen nicht die Verwaltung des Kriegsdepartcments in seinen Einzelheiten
inne zu haben, aber wohl die große Kunst, geeignete Generale für ihre poli¬
tischen Zwecke zu wählen. So verdankte Chatham die Eroberung Canadas der
einsichtigen Kühnheit, mit der er eine Armee dem Oberst Wolfe anvertraute, und
so verdankte sein Sohn die Niederlagen in Holland dem Mangel an Urtheil
oder der unzeitigen Gefälligkeit gegen den König, die ihn zweimal den Herzog
v. Aork an die Spitze einer Armee stellen ließ. Die großen Secsiegc Nelsons
und seiner Admiräle wurden ebenso trotz der traurigen Verwaltung der Admi¬
ralität, an deren Spitze Pitt seinen unfähigen Bruder Lord Chatham ließ, er¬
fochten, wie Eugen trotz des wiener Hofkriegsraths siegte, und man kann sagen,
daß in dem ganzen Kriege nur ein Plan von Pitt selbst wohl vorbereitet und
gut geleitet ward, die Expedition gegen Aegypten von 1801. Aber noch ein
andrer Tadel trifft den Minister. Er hatte 1786 als Hauptgrund sür den
Frieden mit Amerika angeführt, daß die englische Flotte nicht mehr gegen die
von Frankreich, Holland und Spanien Stand halten könne; die Aufgabe wäre
also für den Minister gewesen, den Frieden zur Herstellung der Land- und See-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188089"/>
          <p xml:id="ID_148" prev="#ID_147" next="#ID_149"> englischen Verfassung auf eine unerhörte Weise durch Ausnahmegesetze be¬<lb/>
schränkte. &#x2014; Uns scheint dieser Tadel weit über das Maß hinauszugehen und<lb/>
sich durch den entgegengesetzten Vorwurf, den ihm derselbe Historiker macht, fast<lb/>
zuwiderlegen, nämlich den, daß, wenn Pitt den Krieg mit Frankreich überhaupt<lb/>
habe aufnehmen wollen, er ihn dann auch im Sinne Burkes als einen Prin¬<lb/>
cipienkrieg hätte führen müssen. Was dies Letztere anbetrifft, so hätte ein Krieg<lb/>
in diesem Sinne aufgefaßt noch weit erbitterter und blutiger nach außen<lb/>
wirken und nach innen in noch viel höherem Grade alle freiheitlichen Re¬<lb/>
gungen unterdrücken, alle Reformen verhindern müssen.  So wie wir jetzt<lb/>
auf den Schultern der Ereignisse stehend urtheilen, wäre es für England wie<lb/>
für das Ausland gewiß die richtige Politik gewesen, den revolutionären Krater<lb/>
in sich ausbrennen zu lassen, es hätte nur mit der tiefsten Zerrüttung und<lb/>
Erschöpfung der Kräfte Frankreichs enden können.  Sollte aber der Krieg ge¬<lb/>
führt werden, und es läßt sich nicht läugnen, daß nur ein ganz ungewöhnlicher<lb/>
Grad von staatsmännischcr Einsicht den französischen Herausforderungen wider¬<lb/>
stehen konnte, so mußte er in dem Geiste geführt werden, in dem Pitt es that,<lb/>
indem man den hochfliegenden Theorien der revolutionären Fanatiker das Ge¬<lb/>
wicht der politisch-militärischen  praktischen Interessen entgegensetzte. Das<lb/>
Ziel erkannte Pitt richtig, aber der Vorwurf trifft ihn allerdings, daß er die<lb/>
Mittel zum Zweck nicht zu wählen wußte. Wir wollen ihn nicht deshalb tadeln,<lb/>
daß er die Details der Ausrüstung einer Armee nicht verstand, wir wollen ihm<lb/>
so wenig die einzelnen Niederlagen zum Vorwurf machen als die großen See¬<lb/>
siege zum Verdienst anrechnen; aber unbestreitbar ist, daß er nicht wie sein<lb/>
großer Vater das Genie für die höchste Leitung eines Krieges hatte. Minister<lb/>
brauchen nicht die Verwaltung des Kriegsdepartcments in seinen Einzelheiten<lb/>
inne zu haben, aber wohl die große Kunst, geeignete Generale für ihre poli¬<lb/>
tischen Zwecke zu wählen. So verdankte Chatham die Eroberung Canadas der<lb/>
einsichtigen Kühnheit, mit der er eine Armee dem Oberst Wolfe anvertraute, und<lb/>
so verdankte sein Sohn die Niederlagen in Holland dem Mangel an Urtheil<lb/>
oder der unzeitigen Gefälligkeit gegen den König, die ihn zweimal den Herzog<lb/>
v. Aork an die Spitze einer Armee stellen ließ.  Die großen Secsiegc Nelsons<lb/>
und seiner Admiräle wurden ebenso trotz der traurigen Verwaltung der Admi¬<lb/>
ralität, an deren Spitze Pitt seinen unfähigen Bruder Lord Chatham ließ, er¬<lb/>
fochten, wie Eugen trotz des wiener Hofkriegsraths siegte, und man kann sagen,<lb/>
daß in dem ganzen Kriege nur ein Plan von Pitt selbst wohl vorbereitet und<lb/>
gut geleitet ward, die Expedition gegen Aegypten von 1801.  Aber noch ein<lb/>
andrer Tadel trifft den Minister.  Er hatte 1786 als Hauptgrund sür den<lb/>
Frieden mit Amerika angeführt, daß die englische Flotte nicht mehr gegen die<lb/>
von Frankreich, Holland und Spanien Stand halten könne; die Aufgabe wäre<lb/>
also für den Minister gewesen, den Frieden zur Herstellung der Land- und See-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] englischen Verfassung auf eine unerhörte Weise durch Ausnahmegesetze be¬ schränkte. — Uns scheint dieser Tadel weit über das Maß hinauszugehen und sich durch den entgegengesetzten Vorwurf, den ihm derselbe Historiker macht, fast zuwiderlegen, nämlich den, daß, wenn Pitt den Krieg mit Frankreich überhaupt habe aufnehmen wollen, er ihn dann auch im Sinne Burkes als einen Prin¬ cipienkrieg hätte führen müssen. Was dies Letztere anbetrifft, so hätte ein Krieg in diesem Sinne aufgefaßt noch weit erbitterter und blutiger nach außen wirken und nach innen in noch viel höherem Grade alle freiheitlichen Re¬ gungen unterdrücken, alle Reformen verhindern müssen. So wie wir jetzt auf den Schultern der Ereignisse stehend urtheilen, wäre es für England wie für das Ausland gewiß die richtige Politik gewesen, den revolutionären Krater in sich ausbrennen zu lassen, es hätte nur mit der tiefsten Zerrüttung und Erschöpfung der Kräfte Frankreichs enden können. Sollte aber der Krieg ge¬ führt werden, und es läßt sich nicht läugnen, daß nur ein ganz ungewöhnlicher Grad von staatsmännischcr Einsicht den französischen Herausforderungen wider¬ stehen konnte, so mußte er in dem Geiste geführt werden, in dem Pitt es that, indem man den hochfliegenden Theorien der revolutionären Fanatiker das Ge¬ wicht der politisch-militärischen praktischen Interessen entgegensetzte. Das Ziel erkannte Pitt richtig, aber der Vorwurf trifft ihn allerdings, daß er die Mittel zum Zweck nicht zu wählen wußte. Wir wollen ihn nicht deshalb tadeln, daß er die Details der Ausrüstung einer Armee nicht verstand, wir wollen ihm so wenig die einzelnen Niederlagen zum Vorwurf machen als die großen See¬ siege zum Verdienst anrechnen; aber unbestreitbar ist, daß er nicht wie sein großer Vater das Genie für die höchste Leitung eines Krieges hatte. Minister brauchen nicht die Verwaltung des Kriegsdepartcments in seinen Einzelheiten inne zu haben, aber wohl die große Kunst, geeignete Generale für ihre poli¬ tischen Zwecke zu wählen. So verdankte Chatham die Eroberung Canadas der einsichtigen Kühnheit, mit der er eine Armee dem Oberst Wolfe anvertraute, und so verdankte sein Sohn die Niederlagen in Holland dem Mangel an Urtheil oder der unzeitigen Gefälligkeit gegen den König, die ihn zweimal den Herzog v. Aork an die Spitze einer Armee stellen ließ. Die großen Secsiegc Nelsons und seiner Admiräle wurden ebenso trotz der traurigen Verwaltung der Admi¬ ralität, an deren Spitze Pitt seinen unfähigen Bruder Lord Chatham ließ, er¬ fochten, wie Eugen trotz des wiener Hofkriegsraths siegte, und man kann sagen, daß in dem ganzen Kriege nur ein Plan von Pitt selbst wohl vorbereitet und gut geleitet ward, die Expedition gegen Aegypten von 1801. Aber noch ein andrer Tadel trifft den Minister. Er hatte 1786 als Hauptgrund sür den Frieden mit Amerika angeführt, daß die englische Flotte nicht mehr gegen die von Frankreich, Holland und Spanien Stand halten könne; die Aufgabe wäre also für den Minister gewesen, den Frieden zur Herstellung der Land- und See-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/62>, abgerufen am 28.09.2024.