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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Fragen; in Wahrheit waren es blos formelle Fragen, deren Voranstellung von
Anfang an den Gang der Bewegung in ein schiefes Bett brachte. Ihre theo¬
retische Natur steigerte nur die Hitze der Debatten, und als dann später die
Hauptentscheidungm erfolgten und allerdings eine sachliche Trennung herbei¬
führten, war das Parteiwesen bereits so zerfressen, daß sich die zusammen¬
gehörigen Elemente nicht mehr zusammenzufinden wußten. Der leidenschaftliche
Gang, 'den die Verhandlungen genommen hatten, machte nur noch prccäre
Kompromisse möglich, von gegenseitigem Mißtrauen dictirt. Mit Mühe tam
das Versassungswerk zu Stande, als die Autorität der Versammlung selbst
längst dahin war.

Schon in diesen Tagen der Auflösung und Zersetzung wurde lebhaft
gefühlt, wie verfehlt und unheilvoll die Parteibildung gewesen war. Bald
wurden versöhnliche Stimmen laut, welche es aussprachen, wie in der Linken
sowohl als in der Rechten Elemente zu einer nationalen Partei liegen, die
über dem gescheiterten Werk sich die Hände reichen mußten, um zu retten, was
zu retten war und den Glauben der Nation an sich selbst aufrecht zu halten.
Allein solche Mahnungen, wie gut gemeint sie waren, mußten damals ungehört
verhallen. Die Leidenschaften waren noch zu mächtig, persönliche Kränkungen
zu tief. Und die anarchischen Bewegungen, welche aus der einen Seite aus¬
brachen, während auf der andern die Vertrauenden von den Regierungen von
einer Täuschung zur anderen geführt wurden, fügten zu dem alten neuen Stoff
der Verbitterung. So gründlich waren die Verheerungen, welche in die liberale
Partei eingerissen waren, daß ihre Wirkungen sich über die ganze Reactions¬
zeit erstreckten.

Das öffentliche Leben hatte sich in die Einzellandtage zurückgezogen, wo
der siegreichen Reaction überall nur, eine kleine Opposition gegenüberstand,
die noch schwächer war durch den Zwiespalt im eigenen Lager. Die Demo¬
kratie war theils zersprengt, theils hielt sie sich schmollend zurück; wo sie sich
am öffentlichen Leben betheiligte, war sie machtlos. Aber auch die altliberalen
Elemente hatten an Kraft und Zahl schwere Einbuße erlitten. Nicht alle be¬
wiesen den Muth, den damals der Führer der frankfurter Rechten zeigte, als
er in Berlin Jahre lang einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Reaction
unerschüttert fortsetzte. Die deutsche Frage ruhte. Es war die erste Wendung
zum Besseren, als in den Kammern der kleinen Staaten Beschlüsse für das
Recht Kurhesseus und Schleswig-Holsteins, dann auch in der deutschen Frage
"zu Gunsten einer Centralgewalt und eines Parlaments" sich hervorwagten.
Aber eine Ueberwindung jener Partcigegcnsätze und somit ein gedeihliches Wirken
für die nationale Sache war erst möglich, wenn infolge allgemein zündender Ereig¬
nisse das durch die Reactionsjahre erschlaffte Volk sich wieder in selbstthätiger Kraft
regen lernte, und es fragte sich, ob dann die Leitung der Bewegung mit Er-


Fragen; in Wahrheit waren es blos formelle Fragen, deren Voranstellung von
Anfang an den Gang der Bewegung in ein schiefes Bett brachte. Ihre theo¬
retische Natur steigerte nur die Hitze der Debatten, und als dann später die
Hauptentscheidungm erfolgten und allerdings eine sachliche Trennung herbei¬
führten, war das Parteiwesen bereits so zerfressen, daß sich die zusammen¬
gehörigen Elemente nicht mehr zusammenzufinden wußten. Der leidenschaftliche
Gang, 'den die Verhandlungen genommen hatten, machte nur noch prccäre
Kompromisse möglich, von gegenseitigem Mißtrauen dictirt. Mit Mühe tam
das Versassungswerk zu Stande, als die Autorität der Versammlung selbst
längst dahin war.

Schon in diesen Tagen der Auflösung und Zersetzung wurde lebhaft
gefühlt, wie verfehlt und unheilvoll die Parteibildung gewesen war. Bald
wurden versöhnliche Stimmen laut, welche es aussprachen, wie in der Linken
sowohl als in der Rechten Elemente zu einer nationalen Partei liegen, die
über dem gescheiterten Werk sich die Hände reichen mußten, um zu retten, was
zu retten war und den Glauben der Nation an sich selbst aufrecht zu halten.
Allein solche Mahnungen, wie gut gemeint sie waren, mußten damals ungehört
verhallen. Die Leidenschaften waren noch zu mächtig, persönliche Kränkungen
zu tief. Und die anarchischen Bewegungen, welche aus der einen Seite aus¬
brachen, während auf der andern die Vertrauenden von den Regierungen von
einer Täuschung zur anderen geführt wurden, fügten zu dem alten neuen Stoff
der Verbitterung. So gründlich waren die Verheerungen, welche in die liberale
Partei eingerissen waren, daß ihre Wirkungen sich über die ganze Reactions¬
zeit erstreckten.

Das öffentliche Leben hatte sich in die Einzellandtage zurückgezogen, wo
der siegreichen Reaction überall nur, eine kleine Opposition gegenüberstand,
die noch schwächer war durch den Zwiespalt im eigenen Lager. Die Demo¬
kratie war theils zersprengt, theils hielt sie sich schmollend zurück; wo sie sich
am öffentlichen Leben betheiligte, war sie machtlos. Aber auch die altliberalen
Elemente hatten an Kraft und Zahl schwere Einbuße erlitten. Nicht alle be¬
wiesen den Muth, den damals der Führer der frankfurter Rechten zeigte, als
er in Berlin Jahre lang einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Reaction
unerschüttert fortsetzte. Die deutsche Frage ruhte. Es war die erste Wendung
zum Besseren, als in den Kammern der kleinen Staaten Beschlüsse für das
Recht Kurhesseus und Schleswig-Holsteins, dann auch in der deutschen Frage
„zu Gunsten einer Centralgewalt und eines Parlaments" sich hervorwagten.
Aber eine Ueberwindung jener Partcigegcnsätze und somit ein gedeihliches Wirken
für die nationale Sache war erst möglich, wenn infolge allgemein zündender Ereig¬
nisse das durch die Reactionsjahre erschlaffte Volk sich wieder in selbstthätiger Kraft
regen lernte, und es fragte sich, ob dann die Leitung der Bewegung mit Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/6>, abgerufen am 20.10.2024.