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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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wo schon 178K an die Stelle des Deficits ein Ueberschuß von einer Million
Pfd. Se. trat, begannen seine Niederlagen in wichtigen innern Fragen. Es ist
in der That ein tragisches Schicksal, daß Pitt, der seine Zeitgenossen und
unmittelbaren Nachfolger so weit übersah, daß alle Reformen, die in den letzten
dreißig Jahren verwirklicht sind, von ihm schon beabsichtigt oder gar versucht
worden, seine Maßregeln, mit Ausnahme der Jndiabill entweder nicht durch¬
führen oder aber nicht aufrecht erhalten konnte. So war es mit der Parla-
mentsreform, der Aufhebung der Testacte, dem Verbot des Sklavenhandels, so
mit dem Freihandelssystem und dem Tilgungsfond für die öffentliche Schuld.
Daran war theils der Widerstand des Königs und der Tones, theils die aus¬
wärtige Politik Schuld.

Bereits Chatham hatte eine Parlamentsreform durch Vermehrung der
Grafschafts- und Städtemitglieder für nöthig gehalten, und sein Sohn nahm
diese Ansicht praktisch auf. Er brachte 1783 eine Bill ein, wonach sechsund¬
dreißig Burgflecken ihr Wahlrecht an London und die großen Grafschaften ab¬
treten und auch die Pächter stimmberechtigt werden sollten. Wie bei einem
Hause vorauszusehen, in dem die rotten oorou^is so stark vertreten waren,
ward der Vorschlag mit 248 gegen 174 Stimmen verworfen. Pitt glaubte
nach dieser Probe, daß es nur durch einen starken Druck der öffentlichen Mei¬
nung möglich sein würde eine derartige Maßregel durchzusetzen, und er hatte
darin, wie die Ereignisse von 1831 gezeigt, Recht; wenn er später (1800) sich
gegen jede Reform erklärte, so fügte er dabei ausdrücklich hinzu, daß alle An¬
sichten unvermeidlich der Zeit und Umständen unterworfen seien. Die neuesten
Theorien von Verfassungen, die so furchtbare Folgen 'auf dem Continente ge¬
habt und doch Bewundrer in England gefunden hätten, ließen ihn es für einen
verwegenen Versuch halten, irgend etwas an der englischen Verfassung zu än¬
dern, welche in den Stürmen allein rein und unerschüttert erhalten sei.

Eine zweite Niederlage erlitt Pitt in seinen Bemühungen, den gedrückten
Zustand Irlands zu erleichtern. Das Land sollte seiner Meinung nach keinen
Grund mehr haben, seine Interessen als von denen Englands getrennt ZU
betrachten, aber bereits seine ersten Maßregeln scheiterten an dem beschränkten
Widerstände des irländischen Parlaments, nachdem er sie mit Mühe in London
durchgesetzt. Es rächte sich schwer/daß die Krankheit nicht geheilt war; denn
sie brach später in offenen Aufstand aus und machte Irland bei dem Kriege
mit Frankreich zum wundesten Punkte des britischen Reiches. Unsäglich war
das Elend, welches in Aufständen, Landungen und Niederwerfung des Wider¬
standes über die unglückliche Insel kam. Die Vollziehung der Union erleich¬
terte seine Lage etwas, aber einmal gelang sie doch nur durch sehr unlautere
Mittel, namentlich durch einen förmlichen Stellen- und Titelhandel, sowie Ent¬
schädigungen oder Bestechungen im Belaufe von 1'/" Millionen Pfd. Se. als


wo schon 178K an die Stelle des Deficits ein Ueberschuß von einer Million
Pfd. Se. trat, begannen seine Niederlagen in wichtigen innern Fragen. Es ist
in der That ein tragisches Schicksal, daß Pitt, der seine Zeitgenossen und
unmittelbaren Nachfolger so weit übersah, daß alle Reformen, die in den letzten
dreißig Jahren verwirklicht sind, von ihm schon beabsichtigt oder gar versucht
worden, seine Maßregeln, mit Ausnahme der Jndiabill entweder nicht durch¬
führen oder aber nicht aufrecht erhalten konnte. So war es mit der Parla-
mentsreform, der Aufhebung der Testacte, dem Verbot des Sklavenhandels, so
mit dem Freihandelssystem und dem Tilgungsfond für die öffentliche Schuld.
Daran war theils der Widerstand des Königs und der Tones, theils die aus¬
wärtige Politik Schuld.

Bereits Chatham hatte eine Parlamentsreform durch Vermehrung der
Grafschafts- und Städtemitglieder für nöthig gehalten, und sein Sohn nahm
diese Ansicht praktisch auf. Er brachte 1783 eine Bill ein, wonach sechsund¬
dreißig Burgflecken ihr Wahlrecht an London und die großen Grafschaften ab¬
treten und auch die Pächter stimmberechtigt werden sollten. Wie bei einem
Hause vorauszusehen, in dem die rotten oorou^is so stark vertreten waren,
ward der Vorschlag mit 248 gegen 174 Stimmen verworfen. Pitt glaubte
nach dieser Probe, daß es nur durch einen starken Druck der öffentlichen Mei¬
nung möglich sein würde eine derartige Maßregel durchzusetzen, und er hatte
darin, wie die Ereignisse von 1831 gezeigt, Recht; wenn er später (1800) sich
gegen jede Reform erklärte, so fügte er dabei ausdrücklich hinzu, daß alle An¬
sichten unvermeidlich der Zeit und Umständen unterworfen seien. Die neuesten
Theorien von Verfassungen, die so furchtbare Folgen 'auf dem Continente ge¬
habt und doch Bewundrer in England gefunden hätten, ließen ihn es für einen
verwegenen Versuch halten, irgend etwas an der englischen Verfassung zu än¬
dern, welche in den Stürmen allein rein und unerschüttert erhalten sei.

Eine zweite Niederlage erlitt Pitt in seinen Bemühungen, den gedrückten
Zustand Irlands zu erleichtern. Das Land sollte seiner Meinung nach keinen
Grund mehr haben, seine Interessen als von denen Englands getrennt ZU
betrachten, aber bereits seine ersten Maßregeln scheiterten an dem beschränkten
Widerstände des irländischen Parlaments, nachdem er sie mit Mühe in London
durchgesetzt. Es rächte sich schwer/daß die Krankheit nicht geheilt war; denn
sie brach später in offenen Aufstand aus und machte Irland bei dem Kriege
mit Frankreich zum wundesten Punkte des britischen Reiches. Unsäglich war
das Elend, welches in Aufständen, Landungen und Niederwerfung des Wider¬
standes über die unglückliche Insel kam. Die Vollziehung der Union erleich¬
terte seine Lage etwas, aber einmal gelang sie doch nur durch sehr unlautere
Mittel, namentlich durch einen förmlichen Stellen- und Titelhandel, sowie Ent¬
schädigungen oder Bestechungen im Belaufe von 1'/« Millionen Pfd. Se. als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/58>, abgerufen am 28.09.2024.