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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Ausgleichung, der Boden der Vermittelung für den Norden und Süden, den
Osten und Westen des Erdtheils.

Sehr wichtig für das rechte Verständniß der Weltstellung Europas und
deren Grundlagen ist endlich seine Gliederung. Die wiederholte immer fort¬
schreitende Annäherung entgegengesetzter Meeresgestade am Stamme des Erd¬
theils von Osten gegen Westen hin durch sein ganzes Binnenland ist einzig in
ihrer Art. Zwischen Taganrvg und Archangel liegen 2S0 Meilen, zwischen
Asow und Petersburg 210, zwischen Odessa und Königsberg ISO, zwischen
Trieft und Stettin 130, zwischen dem Golf von Lion und dem Meerbusen von
Bin>capa nur SO Meilen Land. Durch Buchten und Meeresarme ist Europas
Küste vielfach gegliedert. Der Erdtheil spaltet sich mehr und mehr, je weiter
er sich von seinem Zusammenhang mit Asien entfernt, wie ein Blatt von der
breiten Wurzel zur Spitze hin. Gegen Norden schließen die Glieder des Erdtheils
fast gänzlich zwei eigenthümliche mittelländische Meere, die Nord- und Ostsee ein.
Gegen Süden theilen diese Glieder das große mittelländische Meer in fünf Haupt¬
quartiere: die sardinische, die sicilische See, die Adria, der Archipelagus und
das schwarze mit dem asowschen Meer. Neun Halbinseln von größerer oder
geringerer Ausdehnung bilden die Hauptglieder von Europa. Die Summe die¬
ser halbgetrennten Glieder hat ein Areal von 42,000, die der ganz getrennten,
d. h. der Inseln, ein solches von 8000 Quadratmeilen. Nehmen wir für Europas
Gesammtarcal die runde Summe von 1S0.000 Quadratmeilen an, so verhält
sich der Stamm zu den halb oder ganz getrennten Gliedern wie zu V" oder
wie 1 zu 2, während dies in Asien noch nicht wie 1 zu 4, in Amerika nicht
wie 1 zu 10, in Afril'a und Australien nicht wie l. zu 100 ist.

Eine nothwendige Folge dieser eigenthümlichen Gliederung Europas war, daß
die Küstenumsäumung Europas sich zu einer Länge ausdehnen mußte, welche für
den zugehörigen Länderraum verhälinißmäßig die längste ist, die wir unter allen Erd-
theilen vorfinden. Die Küstenentwickelung Europas ist also die ausgebildetste
der Erde, weil nirgends gleichviele Ländertheile eines Contingents von gleich-
viclcn Meerestheilen bespült werden. So konnte sich hier das Maximum der Be¬
rührung, Durchdringung und Wechselwirkung der Landwelt und der Seewelt in al¬
len Naturproducten und Entwickelungen kundthun. Das verkürztest"! Gestade würde
das Areal Europas erhalten haben, wenn es im Kreise oder im Quadrat eine com-
pacte Masse gebildet hätte. Die Peripherie eines Kreises von derselben Ländcrgröße
würde nur 1373, das Vierheit nahe an 14S0 Meilen Gestade zeigen. Das aus-
gestrccktcstc Gestade würde dasselbe Areal bei völliger Zerspaltung in Inseln er¬
halten haben. Dachte man sich Europa in Is zugerundete Inseln von je 10.000
Quadratmeilen zerlegt, die dann etwa die Größe Spaniens haben würden, so
würde für diese Inselwelt eine Küstenkrümmung von etwa 0000 Meilen heraus¬
kommen. Auf die erste Art ist das ungegliederte Afrika durch Verkürzung der


Ausgleichung, der Boden der Vermittelung für den Norden und Süden, den
Osten und Westen des Erdtheils.

Sehr wichtig für das rechte Verständniß der Weltstellung Europas und
deren Grundlagen ist endlich seine Gliederung. Die wiederholte immer fort¬
schreitende Annäherung entgegengesetzter Meeresgestade am Stamme des Erd¬
theils von Osten gegen Westen hin durch sein ganzes Binnenland ist einzig in
ihrer Art. Zwischen Taganrvg und Archangel liegen 2S0 Meilen, zwischen
Asow und Petersburg 210, zwischen Odessa und Königsberg ISO, zwischen
Trieft und Stettin 130, zwischen dem Golf von Lion und dem Meerbusen von
Bin>capa nur SO Meilen Land. Durch Buchten und Meeresarme ist Europas
Küste vielfach gegliedert. Der Erdtheil spaltet sich mehr und mehr, je weiter
er sich von seinem Zusammenhang mit Asien entfernt, wie ein Blatt von der
breiten Wurzel zur Spitze hin. Gegen Norden schließen die Glieder des Erdtheils
fast gänzlich zwei eigenthümliche mittelländische Meere, die Nord- und Ostsee ein.
Gegen Süden theilen diese Glieder das große mittelländische Meer in fünf Haupt¬
quartiere: die sardinische, die sicilische See, die Adria, der Archipelagus und
das schwarze mit dem asowschen Meer. Neun Halbinseln von größerer oder
geringerer Ausdehnung bilden die Hauptglieder von Europa. Die Summe die¬
ser halbgetrennten Glieder hat ein Areal von 42,000, die der ganz getrennten,
d. h. der Inseln, ein solches von 8000 Quadratmeilen. Nehmen wir für Europas
Gesammtarcal die runde Summe von 1S0.000 Quadratmeilen an, so verhält
sich der Stamm zu den halb oder ganz getrennten Gliedern wie zu V» oder
wie 1 zu 2, während dies in Asien noch nicht wie 1 zu 4, in Amerika nicht
wie 1 zu 10, in Afril'a und Australien nicht wie l. zu 100 ist.

Eine nothwendige Folge dieser eigenthümlichen Gliederung Europas war, daß
die Küstenumsäumung Europas sich zu einer Länge ausdehnen mußte, welche für
den zugehörigen Länderraum verhälinißmäßig die längste ist, die wir unter allen Erd-
theilen vorfinden. Die Küstenentwickelung Europas ist also die ausgebildetste
der Erde, weil nirgends gleichviele Ländertheile eines Contingents von gleich-
viclcn Meerestheilen bespült werden. So konnte sich hier das Maximum der Be¬
rührung, Durchdringung und Wechselwirkung der Landwelt und der Seewelt in al¬
len Naturproducten und Entwickelungen kundthun. Das verkürztest«! Gestade würde
das Areal Europas erhalten haben, wenn es im Kreise oder im Quadrat eine com-
pacte Masse gebildet hätte. Die Peripherie eines Kreises von derselben Ländcrgröße
würde nur 1373, das Vierheit nahe an 14S0 Meilen Gestade zeigen. Das aus-
gestrccktcstc Gestade würde dasselbe Areal bei völliger Zerspaltung in Inseln er¬
halten haben. Dachte man sich Europa in Is zugerundete Inseln von je 10.000
Quadratmeilen zerlegt, die dann etwa die Größe Spaniens haben würden, so
würde für diese Inselwelt eine Küstenkrümmung von etwa 0000 Meilen heraus¬
kommen. Auf die erste Art ist das ungegliederte Afrika durch Verkürzung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/516>, abgerufen am 27.09.2024.