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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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wissen Grade auf, und diese mittelbare Communication mit den offnen Oceanen
gab Europas Stellung unendliche Vorzüge Vor den unmittelbar offen vom
großen Weltmeer bespülten Gestaden. Jene mehr oder minder engen Meeres-
straßcn gleichen Kanälen, sind gleichsam gewiesene Wege, die das noch unbehilf¬
liche Völkergeschlecht von Ufer zu Ufer, Vorgebirge zu Vorgebirge. Volk zu
Volk führen mußten. Wie würde Griechenland in alter Zeit ohne die Gegen-
gestadc der Aegypter, Phönicier und Kleinasiaten verarmt geblieben sein, und
wie wenig würde sich Italien ohne die Gegengestade Südgriechenlands, Siciliens
und Nordafrikas nach allen Seiten hin haben erheben können! Und dies sind
nur analoge Erscheinungen im Kleinen, wie sie die Weltstellung Europas, des
ganzen Erdtheils in Beziehung auf das ganze Erdenrund darbietet. Man braucht
nur an das Gcgengestade Ostamerikas und dessen Rückwirkung auf Gcsammt-
europa in den letzten Jahrhunderten zu denken. Wie ragen dagegen die Süd¬
enden Amerikas und Afrikas hinaus in die oceanische Einsamkeit, in eine küsten¬
leere, inselarme antarktische Hemisphäre!

Aus jener Stellung Europas zu den Erdtheilen, zu den Oceanen und zu
den Binnenmeeren mit ihren Gcgengestaden folgt nun aber nothwendig auch
dessen eigenthümliche Stellung zu? dritten Hauptform, welche den Erdball
umgibt! zur Atmosphäre, den fliegenden Meeren. Zwei große Lufthalb¬
kugeln umschweben immerfort die Erde, die eine, vorherrschend mit dem feuch¬
ten Elemente schwanger, das oceanische Klima des Planeten bildend, die
andere, von jenem Uebermaß der Feuchte befreit und Werkstätte des conti-
nentalen Klimas, jene mehr über der südwestlichen Wasscrhalbkugel der
Erde, diese mehr, über der nordöstlichen Landhalbkugcl, hängend. Nun liegt
aber Europa in der Mitte der Landhalbl'ugel, und so ist ihm, wenigstens in
seiner breiteren Osthälfte, auch vorherrschend ein continentales Klima mit allen
Vorzügen eines solchen, doch ohne die Nachtheile des Uebermaßes zu Theil
geworden. Es kennt keine Regenstürze wie die Gebiete von Hinterindien und
das Land am Amazonenstrom und keine Dürre wie Afrikas Sahara und Central-
asiens Steppen und Hochländer; denn es ist an die Westgrenze des Continen-
talklimas gerückt, und überdies sorgen seine Binnenmeere, die überall Mas¬
sen oceanischen Himmels in das Innere hineinführen, in Verbindung mit
der vergleichsweise weit kleineren Laubmasse des Erdtheils, daß kein absoluter
Mangel an Feuchtigkeit eintritt. So kommt es, daß, wie wir sahen, der
Norden weniger kalt, als jeder der andern Erdtheile unter gleicher Breitenlage
und daß der Süden, die drei Culturhalbinseln, obwohl dem tropischen Afrika
zugewandt, minder heiß ist, als er nach der astronomischen Lage allein sein
würde. Der Osten Europas hat noch Antheil am trocknen Continentalklima
der Steppen Asiens, der Westen ragt noch in das feuchte oceanische Klima
hinein. Die germanische Mitte ist auch in klimatischer Hinsicht das Land der


wissen Grade auf, und diese mittelbare Communication mit den offnen Oceanen
gab Europas Stellung unendliche Vorzüge Vor den unmittelbar offen vom
großen Weltmeer bespülten Gestaden. Jene mehr oder minder engen Meeres-
straßcn gleichen Kanälen, sind gleichsam gewiesene Wege, die das noch unbehilf¬
liche Völkergeschlecht von Ufer zu Ufer, Vorgebirge zu Vorgebirge. Volk zu
Volk führen mußten. Wie würde Griechenland in alter Zeit ohne die Gegen-
gestadc der Aegypter, Phönicier und Kleinasiaten verarmt geblieben sein, und
wie wenig würde sich Italien ohne die Gegengestade Südgriechenlands, Siciliens
und Nordafrikas nach allen Seiten hin haben erheben können! Und dies sind
nur analoge Erscheinungen im Kleinen, wie sie die Weltstellung Europas, des
ganzen Erdtheils in Beziehung auf das ganze Erdenrund darbietet. Man braucht
nur an das Gcgengestade Ostamerikas und dessen Rückwirkung auf Gcsammt-
europa in den letzten Jahrhunderten zu denken. Wie ragen dagegen die Süd¬
enden Amerikas und Afrikas hinaus in die oceanische Einsamkeit, in eine küsten¬
leere, inselarme antarktische Hemisphäre!

Aus jener Stellung Europas zu den Erdtheilen, zu den Oceanen und zu
den Binnenmeeren mit ihren Gcgengestaden folgt nun aber nothwendig auch
dessen eigenthümliche Stellung zu? dritten Hauptform, welche den Erdball
umgibt! zur Atmosphäre, den fliegenden Meeren. Zwei große Lufthalb¬
kugeln umschweben immerfort die Erde, die eine, vorherrschend mit dem feuch¬
ten Elemente schwanger, das oceanische Klima des Planeten bildend, die
andere, von jenem Uebermaß der Feuchte befreit und Werkstätte des conti-
nentalen Klimas, jene mehr über der südwestlichen Wasscrhalbkugel der
Erde, diese mehr, über der nordöstlichen Landhalbkugcl, hängend. Nun liegt
aber Europa in der Mitte der Landhalbl'ugel, und so ist ihm, wenigstens in
seiner breiteren Osthälfte, auch vorherrschend ein continentales Klima mit allen
Vorzügen eines solchen, doch ohne die Nachtheile des Uebermaßes zu Theil
geworden. Es kennt keine Regenstürze wie die Gebiete von Hinterindien und
das Land am Amazonenstrom und keine Dürre wie Afrikas Sahara und Central-
asiens Steppen und Hochländer; denn es ist an die Westgrenze des Continen-
talklimas gerückt, und überdies sorgen seine Binnenmeere, die überall Mas¬
sen oceanischen Himmels in das Innere hineinführen, in Verbindung mit
der vergleichsweise weit kleineren Laubmasse des Erdtheils, daß kein absoluter
Mangel an Feuchtigkeit eintritt. So kommt es, daß, wie wir sahen, der
Norden weniger kalt, als jeder der andern Erdtheile unter gleicher Breitenlage
und daß der Süden, die drei Culturhalbinseln, obwohl dem tropischen Afrika
zugewandt, minder heiß ist, als er nach der astronomischen Lage allein sein
würde. Der Osten Europas hat noch Antheil am trocknen Continentalklima
der Steppen Asiens, der Westen ragt noch in das feuchte oceanische Klima
hinein. Die germanische Mitte ist auch in klimatischer Hinsicht das Land der


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[0515] wissen Grade auf, und diese mittelbare Communication mit den offnen Oceanen gab Europas Stellung unendliche Vorzüge Vor den unmittelbar offen vom großen Weltmeer bespülten Gestaden. Jene mehr oder minder engen Meeres- straßcn gleichen Kanälen, sind gleichsam gewiesene Wege, die das noch unbehilf¬ liche Völkergeschlecht von Ufer zu Ufer, Vorgebirge zu Vorgebirge. Volk zu Volk führen mußten. Wie würde Griechenland in alter Zeit ohne die Gegen- gestadc der Aegypter, Phönicier und Kleinasiaten verarmt geblieben sein, und wie wenig würde sich Italien ohne die Gegengestade Südgriechenlands, Siciliens und Nordafrikas nach allen Seiten hin haben erheben können! Und dies sind nur analoge Erscheinungen im Kleinen, wie sie die Weltstellung Europas, des ganzen Erdtheils in Beziehung auf das ganze Erdenrund darbietet. Man braucht nur an das Gcgengestade Ostamerikas und dessen Rückwirkung auf Gcsammt- europa in den letzten Jahrhunderten zu denken. Wie ragen dagegen die Süd¬ enden Amerikas und Afrikas hinaus in die oceanische Einsamkeit, in eine küsten¬ leere, inselarme antarktische Hemisphäre! Aus jener Stellung Europas zu den Erdtheilen, zu den Oceanen und zu den Binnenmeeren mit ihren Gcgengestaden folgt nun aber nothwendig auch dessen eigenthümliche Stellung zu? dritten Hauptform, welche den Erdball umgibt! zur Atmosphäre, den fliegenden Meeren. Zwei große Lufthalb¬ kugeln umschweben immerfort die Erde, die eine, vorherrschend mit dem feuch¬ ten Elemente schwanger, das oceanische Klima des Planeten bildend, die andere, von jenem Uebermaß der Feuchte befreit und Werkstätte des conti- nentalen Klimas, jene mehr über der südwestlichen Wasscrhalbkugel der Erde, diese mehr, über der nordöstlichen Landhalbkugcl, hängend. Nun liegt aber Europa in der Mitte der Landhalbl'ugel, und so ist ihm, wenigstens in seiner breiteren Osthälfte, auch vorherrschend ein continentales Klima mit allen Vorzügen eines solchen, doch ohne die Nachtheile des Uebermaßes zu Theil geworden. Es kennt keine Regenstürze wie die Gebiete von Hinterindien und das Land am Amazonenstrom und keine Dürre wie Afrikas Sahara und Central- asiens Steppen und Hochländer; denn es ist an die Westgrenze des Continen- talklimas gerückt, und überdies sorgen seine Binnenmeere, die überall Mas¬ sen oceanischen Himmels in das Innere hineinführen, in Verbindung mit der vergleichsweise weit kleineren Laubmasse des Erdtheils, daß kein absoluter Mangel an Feuchtigkeit eintritt. So kommt es, daß, wie wir sahen, der Norden weniger kalt, als jeder der andern Erdtheile unter gleicher Breitenlage und daß der Süden, die drei Culturhalbinseln, obwohl dem tropischen Afrika zugewandt, minder heiß ist, als er nach der astronomischen Lage allein sein würde. Der Osten Europas hat noch Antheil am trocknen Continentalklima der Steppen Asiens, der Westen ragt noch in das feuchte oceanische Klima hinein. Die germanische Mitte ist auch in klimatischer Hinsicht das Land der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/515>, abgerufen am 27.09.2024.