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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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auf Parole entlassen zu werden, weil sie glauben, daß Stoneman oder ein
Andrer sie noch befreien kann. "John Sedgwick," höre ich sie sagen, "ist
nicht der Mann, der sich aufhalten läßt." -- "Noch seid Ihr mit Joe Hooker
nicht fertig." -- "Wartet nur, bis wir was von Stoneman hören." Zwei
Drittel von ihnen, wo nicht vier Fünftel sind Jrländer oder Deutsche.

Ein paar hundert A"rds von Guineys Station liegt ein hübsches Farm¬
haus, welches einem Herrn Chartier gehört. In ihm liegt der verwundete
Stonewall Jackson. Mit klopfendem Herzen ritt ich hin, um mich nach ihm zu
erkundigen; denn es hieß, daß es nicht gut mit ihm stehe. Dr. Macguire,
sein Stabsarzt, kam mir vor dem Hause entgegen. Er meinte, daß bis zwei
Uhr diesen Morgen nichts günstiger hätte sein können, als die Fortschritte seines
Patienten nach der Genesung hin, und daß er den General heute habe nach
Richmond schaffen wollen. Aber um zwei Uhr sei der General mit einem hef¬
tigen Schmerz in der Seite erwacht, und obwohl der Doctor hoffte, dies werde
von Neuralgie kommen, hatte er doch auch die Befürchtung, daß es Lungen¬
entzündungsein könne. Als ich mit Macguire sprach, schlief der General. Bald
nachher erwachte er, und es ergab sich jetzt, daß er wirklich an Lungenentzün¬
dung litt. Der Doctor setzte ihm Blutegel und ließ ihm zur Ader, und von
diesem Augenblick an gab ich alle Hoffnung aus, daß Jackson wiederaufkommen
werde; denn seine Körperconstitution war weit davon entfernt, robust zu sein.
Ich zog mich einige hundert Schritte von dem Hause zurück. Der Zug von
Richmond kam an und brachte seine Frau und sein einziges Kind mit -- eine
Tochter von sechs Monaten. Es war unmöglich, ohne Thränen an die Scene
zu denken, die jetzt in jenem Hause stattfand, an das Wiedersehen zwischen ihm
und dieser Frau, die er vor zwei Jahren verlassen, um seinem Vaterlande zu
dienen, und wie zu dienen! Zwei Tage darauf verschied er. Von dem heftigen
Aderlaß erholte er sich nicht wieder. Sein Puls war von diesem Augenblick
an kaum noch zu spüren. Gegen die Vorstellungen der Aerzte ließ er sich die
erhitzte Brust fortwährend mit Tüchern belegen, die in Eiswasser getaucht waren.
Von Anfang an hatte er die Ahnung, daß er seiner Auflösung entgegengehe,
und zu einer Zeit, wo Jedermann fest an sein Wiederaufkommen glaubte, sagte
er mit seltsamer Betonung: "Wenn ich am Leben bleibe, so wird es gut sein,
und wenn ich sterbe, wird es auch gut sein, Gott weiß, und führt alles zum
Besten." Er war überzeugt, ein Werkzeug Gottes zu sein. An feurigem Eifer,
an Selbstlosigkeit und Reinheit des Wollens, an Unermüdlichkeit und an Opfer¬
freudigkeit bei Anstrengungen und Entbehrungen aller Art wurde er von Nie¬
mand übertreffen. Er war kein großer Strateg, kein Künstler in der Taktik,
aber er war der gewaltige Schmiedehammer dieses Kriegs, der alles zusammen¬
schlug, was ihm in den Weg kam, und der mit einer Leichtigkeit und Schnellig¬
keit arbeitete, wie keiner Seinesgleichen. Und in einer Secleneigenschaft erhob


auf Parole entlassen zu werden, weil sie glauben, daß Stoneman oder ein
Andrer sie noch befreien kann. „John Sedgwick," höre ich sie sagen, „ist
nicht der Mann, der sich aufhalten läßt." — „Noch seid Ihr mit Joe Hooker
nicht fertig." — „Wartet nur, bis wir was von Stoneman hören." Zwei
Drittel von ihnen, wo nicht vier Fünftel sind Jrländer oder Deutsche.

Ein paar hundert A"rds von Guineys Station liegt ein hübsches Farm¬
haus, welches einem Herrn Chartier gehört. In ihm liegt der verwundete
Stonewall Jackson. Mit klopfendem Herzen ritt ich hin, um mich nach ihm zu
erkundigen; denn es hieß, daß es nicht gut mit ihm stehe. Dr. Macguire,
sein Stabsarzt, kam mir vor dem Hause entgegen. Er meinte, daß bis zwei
Uhr diesen Morgen nichts günstiger hätte sein können, als die Fortschritte seines
Patienten nach der Genesung hin, und daß er den General heute habe nach
Richmond schaffen wollen. Aber um zwei Uhr sei der General mit einem hef¬
tigen Schmerz in der Seite erwacht, und obwohl der Doctor hoffte, dies werde
von Neuralgie kommen, hatte er doch auch die Befürchtung, daß es Lungen¬
entzündungsein könne. Als ich mit Macguire sprach, schlief der General. Bald
nachher erwachte er, und es ergab sich jetzt, daß er wirklich an Lungenentzün¬
dung litt. Der Doctor setzte ihm Blutegel und ließ ihm zur Ader, und von
diesem Augenblick an gab ich alle Hoffnung aus, daß Jackson wiederaufkommen
werde; denn seine Körperconstitution war weit davon entfernt, robust zu sein.
Ich zog mich einige hundert Schritte von dem Hause zurück. Der Zug von
Richmond kam an und brachte seine Frau und sein einziges Kind mit — eine
Tochter von sechs Monaten. Es war unmöglich, ohne Thränen an die Scene
zu denken, die jetzt in jenem Hause stattfand, an das Wiedersehen zwischen ihm
und dieser Frau, die er vor zwei Jahren verlassen, um seinem Vaterlande zu
dienen, und wie zu dienen! Zwei Tage darauf verschied er. Von dem heftigen
Aderlaß erholte er sich nicht wieder. Sein Puls war von diesem Augenblick
an kaum noch zu spüren. Gegen die Vorstellungen der Aerzte ließ er sich die
erhitzte Brust fortwährend mit Tüchern belegen, die in Eiswasser getaucht waren.
Von Anfang an hatte er die Ahnung, daß er seiner Auflösung entgegengehe,
und zu einer Zeit, wo Jedermann fest an sein Wiederaufkommen glaubte, sagte
er mit seltsamer Betonung: „Wenn ich am Leben bleibe, so wird es gut sein,
und wenn ich sterbe, wird es auch gut sein, Gott weiß, und führt alles zum
Besten." Er war überzeugt, ein Werkzeug Gottes zu sein. An feurigem Eifer,
an Selbstlosigkeit und Reinheit des Wollens, an Unermüdlichkeit und an Opfer¬
freudigkeit bei Anstrengungen und Entbehrungen aller Art wurde er von Nie¬
mand übertreffen. Er war kein großer Strateg, kein Künstler in der Taktik,
aber er war der gewaltige Schmiedehammer dieses Kriegs, der alles zusammen¬
schlug, was ihm in den Weg kam, und der mit einer Leichtigkeit und Schnellig¬
keit arbeitete, wie keiner Seinesgleichen. Und in einer Secleneigenschaft erhob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/510>, abgerufen am 20.10.2024.