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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Es begreift sich leicht, daß unter diesen Umständen in den östreichischen
Kanzleien fleißig gearbeitet und geschrieben, aber wenig geleistet wurde*). Nur
die äußerste Energie des Regenten hätte hier Abhilfe schaffen können, nicht
etwa durch den vergeblichen Versuch, vermittelst der bestehenden Einrichtungen
die erlahmende Thätigkeit des Staatskörpers zu steigern, sondern durch völlige
Umgestaltung des Organismus. Indessen dieser Energie ermangelte der Kaiser
Franz. Sein sehr anerkennenswerther gewissenhafter Thätigkeitsbetrieb war
der Art. daß er in der kleinlichsten Detailarbeit volle Befriedigung fand; auch
sein überaus stark ausgeprägtes autokratisches Bewußtsein, mit welchem er ein
merkwürdiges Mißtrauen gegen sich selbst, wie gegen andere, z. B. gegen die
begabteren unter seinen Brüdern verband, gefiel sich ganz besonders darin, in
die unbedeutendsten, oft persönlichen Angelegenheiten selbständig einzugreifen.
Im Großen beschränkte sich seine Thätigkeit darauf, keine Verminderung seiner
Machtvollkommenheit zu dulden. Gegen jede organische Veränderung, deren
Durchführung die selbständige Thätigkeit hervorragender Männer erfordert
hätte, hatte er eine unüberwindliche Abneigung. In seinen Handbillets, in denen
die Anträge der Hofstellen beantwortet wurden, pflegte er seine Entscheidungen
nur für den einzelnen Fall zu geben, ohne Gründe anzuführen und ohne be¬
stimmte Grundsätze durchblicken zu lassen, ein Verfahren, durch welches mehr
und mehr die Selbständigkeit und das Gefühl der Verantwortlichkeit in den
Behörden erstickt wurde.

Nur aus einem Gebiete waren eingreifende Maßregeln von Zeit zu Zeit
nöthig, wenn der Staat nicht zu Grunde gehen sollte: auf dem Gebiete des
Finanzwesens. Aber auch hier erreichte man keine dauernd befriedigende Er¬
gebnisse. Man arbeitete darauf hin, die Symptome des Uebels zu beseitigen,
statt auf eine gründliche Heilung desselben auszugehen. Der Ursprung der
Finanznoth ist älter, als die im vorliegenden Werke geschilderte Periode der
östreichischen Geschichte, und vorzugsweise darin zu suchen, daß der unter Kai¬
ser Franz in Folge der beständigen Kriege eingetretenen außerordentlichen Stei¬
gerung der Staatsbcdürfnisse keine verhältnißmäßige Erhöhung der regelmäßigen
Einnahmen entsprach. Das Maß der regelmäßigen Einnahmen ist aber in der
Leistungsfähigkeit gegeben. Um diese zu steigern, hätte man einerseits In¬
dustrie und Handel von den ihre Bewegung hemmenden Fesseln befreien, ander¬
seits sich entschließen müssen, zu gewissen Reformplänen Kaiser Josephs zurückzu¬
kehren. Die wirksamste Maßregel für die Besserung der Finanzverhältnisse wäre
die Reform der Grundsteuern und die Befreiung des Bauernstandes von dem



") Ergötzliche Schilderungen des Treibens in den östreichischen Kanzleien finden sich in
den Traditionen zur Charakteristik Oestreichs unter Franz dem Ersten.

Es begreift sich leicht, daß unter diesen Umständen in den östreichischen
Kanzleien fleißig gearbeitet und geschrieben, aber wenig geleistet wurde*). Nur
die äußerste Energie des Regenten hätte hier Abhilfe schaffen können, nicht
etwa durch den vergeblichen Versuch, vermittelst der bestehenden Einrichtungen
die erlahmende Thätigkeit des Staatskörpers zu steigern, sondern durch völlige
Umgestaltung des Organismus. Indessen dieser Energie ermangelte der Kaiser
Franz. Sein sehr anerkennenswerther gewissenhafter Thätigkeitsbetrieb war
der Art. daß er in der kleinlichsten Detailarbeit volle Befriedigung fand; auch
sein überaus stark ausgeprägtes autokratisches Bewußtsein, mit welchem er ein
merkwürdiges Mißtrauen gegen sich selbst, wie gegen andere, z. B. gegen die
begabteren unter seinen Brüdern verband, gefiel sich ganz besonders darin, in
die unbedeutendsten, oft persönlichen Angelegenheiten selbständig einzugreifen.
Im Großen beschränkte sich seine Thätigkeit darauf, keine Verminderung seiner
Machtvollkommenheit zu dulden. Gegen jede organische Veränderung, deren
Durchführung die selbständige Thätigkeit hervorragender Männer erfordert
hätte, hatte er eine unüberwindliche Abneigung. In seinen Handbillets, in denen
die Anträge der Hofstellen beantwortet wurden, pflegte er seine Entscheidungen
nur für den einzelnen Fall zu geben, ohne Gründe anzuführen und ohne be¬
stimmte Grundsätze durchblicken zu lassen, ein Verfahren, durch welches mehr
und mehr die Selbständigkeit und das Gefühl der Verantwortlichkeit in den
Behörden erstickt wurde.

Nur aus einem Gebiete waren eingreifende Maßregeln von Zeit zu Zeit
nöthig, wenn der Staat nicht zu Grunde gehen sollte: auf dem Gebiete des
Finanzwesens. Aber auch hier erreichte man keine dauernd befriedigende Er¬
gebnisse. Man arbeitete darauf hin, die Symptome des Uebels zu beseitigen,
statt auf eine gründliche Heilung desselben auszugehen. Der Ursprung der
Finanznoth ist älter, als die im vorliegenden Werke geschilderte Periode der
östreichischen Geschichte, und vorzugsweise darin zu suchen, daß der unter Kai¬
ser Franz in Folge der beständigen Kriege eingetretenen außerordentlichen Stei¬
gerung der Staatsbcdürfnisse keine verhältnißmäßige Erhöhung der regelmäßigen
Einnahmen entsprach. Das Maß der regelmäßigen Einnahmen ist aber in der
Leistungsfähigkeit gegeben. Um diese zu steigern, hätte man einerseits In¬
dustrie und Handel von den ihre Bewegung hemmenden Fesseln befreien, ander¬
seits sich entschließen müssen, zu gewissen Reformplänen Kaiser Josephs zurückzu¬
kehren. Die wirksamste Maßregel für die Besserung der Finanzverhältnisse wäre
die Reform der Grundsteuern und die Befreiung des Bauernstandes von dem



") Ergötzliche Schilderungen des Treibens in den östreichischen Kanzleien finden sich in
den Traditionen zur Charakteristik Oestreichs unter Franz dem Ersten.
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[0492] Es begreift sich leicht, daß unter diesen Umständen in den östreichischen Kanzleien fleißig gearbeitet und geschrieben, aber wenig geleistet wurde*). Nur die äußerste Energie des Regenten hätte hier Abhilfe schaffen können, nicht etwa durch den vergeblichen Versuch, vermittelst der bestehenden Einrichtungen die erlahmende Thätigkeit des Staatskörpers zu steigern, sondern durch völlige Umgestaltung des Organismus. Indessen dieser Energie ermangelte der Kaiser Franz. Sein sehr anerkennenswerther gewissenhafter Thätigkeitsbetrieb war der Art. daß er in der kleinlichsten Detailarbeit volle Befriedigung fand; auch sein überaus stark ausgeprägtes autokratisches Bewußtsein, mit welchem er ein merkwürdiges Mißtrauen gegen sich selbst, wie gegen andere, z. B. gegen die begabteren unter seinen Brüdern verband, gefiel sich ganz besonders darin, in die unbedeutendsten, oft persönlichen Angelegenheiten selbständig einzugreifen. Im Großen beschränkte sich seine Thätigkeit darauf, keine Verminderung seiner Machtvollkommenheit zu dulden. Gegen jede organische Veränderung, deren Durchführung die selbständige Thätigkeit hervorragender Männer erfordert hätte, hatte er eine unüberwindliche Abneigung. In seinen Handbillets, in denen die Anträge der Hofstellen beantwortet wurden, pflegte er seine Entscheidungen nur für den einzelnen Fall zu geben, ohne Gründe anzuführen und ohne be¬ stimmte Grundsätze durchblicken zu lassen, ein Verfahren, durch welches mehr und mehr die Selbständigkeit und das Gefühl der Verantwortlichkeit in den Behörden erstickt wurde. Nur aus einem Gebiete waren eingreifende Maßregeln von Zeit zu Zeit nöthig, wenn der Staat nicht zu Grunde gehen sollte: auf dem Gebiete des Finanzwesens. Aber auch hier erreichte man keine dauernd befriedigende Er¬ gebnisse. Man arbeitete darauf hin, die Symptome des Uebels zu beseitigen, statt auf eine gründliche Heilung desselben auszugehen. Der Ursprung der Finanznoth ist älter, als die im vorliegenden Werke geschilderte Periode der östreichischen Geschichte, und vorzugsweise darin zu suchen, daß der unter Kai¬ ser Franz in Folge der beständigen Kriege eingetretenen außerordentlichen Stei¬ gerung der Staatsbcdürfnisse keine verhältnißmäßige Erhöhung der regelmäßigen Einnahmen entsprach. Das Maß der regelmäßigen Einnahmen ist aber in der Leistungsfähigkeit gegeben. Um diese zu steigern, hätte man einerseits In¬ dustrie und Handel von den ihre Bewegung hemmenden Fesseln befreien, ander¬ seits sich entschließen müssen, zu gewissen Reformplänen Kaiser Josephs zurückzu¬ kehren. Die wirksamste Maßregel für die Besserung der Finanzverhältnisse wäre die Reform der Grundsteuern und die Befreiung des Bauernstandes von dem ") Ergötzliche Schilderungen des Treibens in den östreichischen Kanzleien finden sich in den Traditionen zur Charakteristik Oestreichs unter Franz dem Ersten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/492>, abgerufen am 27.09.2024.