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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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weit lebendigeres und deutlicheres Bild von der Verwilderung und Verödung jener
Zeit als Schillers allgemeine Declamationen. Auch die Behandlung der eigentlich
politischen und kriegerischen Begebenheiten ist nicht gleichmäßig. Manches wird nur
in allgemeinen Umrissen mitgetheilt, und die Schilderung der letzten Jahre des gro¬
ßen Kampfes ist nur eine Reihe von Skizzen. Dagegen stellt sich der verwickelte
Stoff mit ungemeiner Leichtigkeit dar, Erzählung und Gruppirung sind voll licht¬
voller Klarheit, einzelne Scenen, wie die lützencr Schlacht, meisterhaft geschildert.
Daneben ein Heller Blick für die großen Veränderungen in dem europäischen Staaten-
system und für die complicirten Verhältnisse, an denen zum ersten Male fast alle
civilisirten Nationen betheiligt waren, eine gute Schätzung der Kräfte, ein sicheres
und unparteiisches Urtheil über Personen, Motive und Mittel. Am bedeutendsten
in dem Inhalte des Werkes, sowohl nach feiner Eigenthümlichkeit im Vergleich mit
früheren Erscheinungen, als nach durchgreifender Wirkung ist die unbefangene histo¬
rische Auffassung der religiösen Streitigkeiten in ihren politische" Verwickelungen und
Folgen. Er sah im Protestantismus den Fortschritt der Bildung, Humanität und
Geistesfreiheit; aber gegenüber dem elenden Benehmen der meisten protestantischen
Fürsten in der Zeit des Krieges würdigte er vollkommen die überlegene Tüchtigkeit
und Energie Ferdinands des Zweiten und Maximilians von Bayern, und sehr ver¬
schieden von der frühern Geschichtschreibung-der Protestanten, welche die Ihrigen als
reine Glaubenshelden, die Gegner als blutige Wüthriche zu betrachten Pflegte, er¬
kannte er an, daß der Kaiser gerecht und achtungswerth war, und daß seine
Lage und Grundsätze, nicht grausame Neigungen den Krieg entzündeten und wei¬
ter trugen. Nicht weniger -endlich hebt er bei Gustav Adolf seinen Ehrgeiz und
die Gefahren hervor, welche seine Entwürfe bargen, ja bei aller Vorliebe für
den glänzenden Helden geht er so weit, zu erklären, es sei vielleicht das größte Ver¬
dienst gewesen, das er sich noch um Deutschland erwerben gekonnt, zu sterben.
Die publicistische Wirkung des Werkes ist eine sehr nachhaltige gewesen. Schillers
Urtheile sind einem großen Theil des deutschen Volkes in Fleisch und Blut überge¬
gangen, sie bilden ein unvcrtilgbares Element in seinem sittlich-politischen Bewußt¬
sein. Schiller sprach mit ihnen nicht sowohl ein Eigenes, als die Stimmung der
neuen Zeit aus; er war nicht der Einzige, der dies sagte, aber er fand den Aus¬
druck, der schlagend und unvertilgbar in Phantasie und Gedächtniß des Volkes hin-
cintras.






Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Her dig. -- Druck von C. E. Elbert jn Leipzig.

weit lebendigeres und deutlicheres Bild von der Verwilderung und Verödung jener
Zeit als Schillers allgemeine Declamationen. Auch die Behandlung der eigentlich
politischen und kriegerischen Begebenheiten ist nicht gleichmäßig. Manches wird nur
in allgemeinen Umrissen mitgetheilt, und die Schilderung der letzten Jahre des gro¬
ßen Kampfes ist nur eine Reihe von Skizzen. Dagegen stellt sich der verwickelte
Stoff mit ungemeiner Leichtigkeit dar, Erzählung und Gruppirung sind voll licht¬
voller Klarheit, einzelne Scenen, wie die lützencr Schlacht, meisterhaft geschildert.
Daneben ein Heller Blick für die großen Veränderungen in dem europäischen Staaten-
system und für die complicirten Verhältnisse, an denen zum ersten Male fast alle
civilisirten Nationen betheiligt waren, eine gute Schätzung der Kräfte, ein sicheres
und unparteiisches Urtheil über Personen, Motive und Mittel. Am bedeutendsten
in dem Inhalte des Werkes, sowohl nach feiner Eigenthümlichkeit im Vergleich mit
früheren Erscheinungen, als nach durchgreifender Wirkung ist die unbefangene histo¬
rische Auffassung der religiösen Streitigkeiten in ihren politische» Verwickelungen und
Folgen. Er sah im Protestantismus den Fortschritt der Bildung, Humanität und
Geistesfreiheit; aber gegenüber dem elenden Benehmen der meisten protestantischen
Fürsten in der Zeit des Krieges würdigte er vollkommen die überlegene Tüchtigkeit
und Energie Ferdinands des Zweiten und Maximilians von Bayern, und sehr ver¬
schieden von der frühern Geschichtschreibung-der Protestanten, welche die Ihrigen als
reine Glaubenshelden, die Gegner als blutige Wüthriche zu betrachten Pflegte, er¬
kannte er an, daß der Kaiser gerecht und achtungswerth war, und daß seine
Lage und Grundsätze, nicht grausame Neigungen den Krieg entzündeten und wei¬
ter trugen. Nicht weniger -endlich hebt er bei Gustav Adolf seinen Ehrgeiz und
die Gefahren hervor, welche seine Entwürfe bargen, ja bei aller Vorliebe für
den glänzenden Helden geht er so weit, zu erklären, es sei vielleicht das größte Ver¬
dienst gewesen, das er sich noch um Deutschland erwerben gekonnt, zu sterben.
Die publicistische Wirkung des Werkes ist eine sehr nachhaltige gewesen. Schillers
Urtheile sind einem großen Theil des deutschen Volkes in Fleisch und Blut überge¬
gangen, sie bilden ein unvcrtilgbares Element in seinem sittlich-politischen Bewußt¬
sein. Schiller sprach mit ihnen nicht sowohl ein Eigenes, als die Stimmung der
neuen Zeit aus; er war nicht der Einzige, der dies sagte, aber er fand den Aus¬
druck, der schlagend und unvertilgbar in Phantasie und Gedächtniß des Volkes hin-
cintras.






Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E. Elbert jn Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/484>, abgerufen am 27.09.2024.