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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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dort ruhig sei, die russische Obrigkeit findet Gehorsam, ihr werden die Steuern
gezahlt und sind immer gezahlt worden. Bisweilen sind Aufständische durch
die Stadt gejagt worden: "freilich gequält haben sie uns genug; sind durch Höfe
gezogen, haben die gehenkt, welche ihnen Pferde, Geld u. s. w. versagten.
Jetzt waren sie wieder da und haben hier Waffen versteckt, für bessere Zei¬
ten -- wir haben es aber gleich dem Russen verrathen und sind neugierig,
was sie uns thun werden". Auch gegen unsre Provinz herrschte einige
Bitterkeit darüber. "Die Provinz Posen wird uns nicht retten, am
wenigsten durch ihre Knaben;" so hat man schon lange gesagt. Jetzt
klagt man auch die Führer an. Seyfrieds, des Demokraten, Verrath an
Uoung ist bekannt; neuerdings hat auch Herrn Edmund v. Taczanowski
die Nemesis ereilt. Nicht nur, daß dieser "unser wackrer Landsmann" we¬
gen Unfähigkeit vom Comite cassirt worden ist, sondern seine Kampfgenossen
erheben auch heftige Anklage gegen ihn. Namentlich hat sich in den letzten
Tagen vorigen Monats der "Oberst" Ganier in Posen eingefunden, um un¬
beirrt durch den stellenweis furchtbar leidenschaftlichen Widerspruch der polnischen
Jugend, die Tapferkeit des Herrn v. Taczanowski, Niegolewski und Dzialynski
ins rechte Licht zu stellen und hat sogar der Redaction des Dziennik Berichti¬
gungen in seinem Sinne abgenöthigt. Niegolewski, der noch immer auf sei¬
nem Gute Morownica bewacht wird, verdankte seine Rettung aus der Gefahr,
verwundet in russische Hände zu fallen, dem Amtmann von Kaniewski aus
Zimnawvda (Kaltwasser) bei Jarvcin, den er von Johanni an in sein Haus
nehmen wird.

Bei alledem leben wir dier wie im tiefsten Frieden; Einzelne und Genos¬
senschaften bauen mit stillem ober lautem Fleiß an ihrem Hause. Die Gesang-
und Turnvereine rüsten zu Provinzialversammlungen. Ein Verein andrer
Tendenz, derjenige der Gustav-Adolph-Stiftung hat sein Jahresfest unter vor¬
zugsweise lebhafter Betheiligung gehalten; wir haben dabei erfahren, daß im
vorigen Jahre in unserer Provinz 1600 Thaler für Vereinszwecke aufkamen
und Liebesspenden von 4000 Thaler derselben von auswärts zugeflossen sind.
Gegenwärtig beschäftigt uns der Wollmarkt; derselbe ist sowohl durch die unge¬
wöhnlich große Zufuhr von etwa 20,600 Centnern, wie durch die guten Preise,
fünf bis sechs Thaler mehr als voriges Jahr, ein besonders günstiger. Die
Handelskammer arbeitet an der Errichtung einer Börse und schafft Material
zur Vorbereitung eines Handelsvertrags mit Rußland herbei; ein solcher wäre
für Posen, mehr noch für unsre kleinen Städte, eine unendliche Wohlthat. --
Das neue Rcalschulgebäude, zu dem unser Abgeordneter Berger S0.000 Tha¬
ler geschenkt hat, erhebt sich als ein Prachtbau und dürfte im Spätsommer
vollendet sein. Unsere Kreuzritter lassen noch immer auf eine gleiche gro߬
müthige Handlung für Provinzial- oder Communal-Zwecke warten. -- Auch die


dort ruhig sei, die russische Obrigkeit findet Gehorsam, ihr werden die Steuern
gezahlt und sind immer gezahlt worden. Bisweilen sind Aufständische durch
die Stadt gejagt worden: „freilich gequält haben sie uns genug; sind durch Höfe
gezogen, haben die gehenkt, welche ihnen Pferde, Geld u. s. w. versagten.
Jetzt waren sie wieder da und haben hier Waffen versteckt, für bessere Zei¬
ten — wir haben es aber gleich dem Russen verrathen und sind neugierig,
was sie uns thun werden". Auch gegen unsre Provinz herrschte einige
Bitterkeit darüber. „Die Provinz Posen wird uns nicht retten, am
wenigsten durch ihre Knaben;" so hat man schon lange gesagt. Jetzt
klagt man auch die Führer an. Seyfrieds, des Demokraten, Verrath an
Uoung ist bekannt; neuerdings hat auch Herrn Edmund v. Taczanowski
die Nemesis ereilt. Nicht nur, daß dieser „unser wackrer Landsmann" we¬
gen Unfähigkeit vom Comite cassirt worden ist, sondern seine Kampfgenossen
erheben auch heftige Anklage gegen ihn. Namentlich hat sich in den letzten
Tagen vorigen Monats der „Oberst" Ganier in Posen eingefunden, um un¬
beirrt durch den stellenweis furchtbar leidenschaftlichen Widerspruch der polnischen
Jugend, die Tapferkeit des Herrn v. Taczanowski, Niegolewski und Dzialynski
ins rechte Licht zu stellen und hat sogar der Redaction des Dziennik Berichti¬
gungen in seinem Sinne abgenöthigt. Niegolewski, der noch immer auf sei¬
nem Gute Morownica bewacht wird, verdankte seine Rettung aus der Gefahr,
verwundet in russische Hände zu fallen, dem Amtmann von Kaniewski aus
Zimnawvda (Kaltwasser) bei Jarvcin, den er von Johanni an in sein Haus
nehmen wird.

Bei alledem leben wir dier wie im tiefsten Frieden; Einzelne und Genos¬
senschaften bauen mit stillem ober lautem Fleiß an ihrem Hause. Die Gesang-
und Turnvereine rüsten zu Provinzialversammlungen. Ein Verein andrer
Tendenz, derjenige der Gustav-Adolph-Stiftung hat sein Jahresfest unter vor¬
zugsweise lebhafter Betheiligung gehalten; wir haben dabei erfahren, daß im
vorigen Jahre in unserer Provinz 1600 Thaler für Vereinszwecke aufkamen
und Liebesspenden von 4000 Thaler derselben von auswärts zugeflossen sind.
Gegenwärtig beschäftigt uns der Wollmarkt; derselbe ist sowohl durch die unge¬
wöhnlich große Zufuhr von etwa 20,600 Centnern, wie durch die guten Preise,
fünf bis sechs Thaler mehr als voriges Jahr, ein besonders günstiger. Die
Handelskammer arbeitet an der Errichtung einer Börse und schafft Material
zur Vorbereitung eines Handelsvertrags mit Rußland herbei; ein solcher wäre
für Posen, mehr noch für unsre kleinen Städte, eine unendliche Wohlthat. —
Das neue Rcalschulgebäude, zu dem unser Abgeordneter Berger S0.000 Tha¬
ler geschenkt hat, erhebt sich als ein Prachtbau und dürfte im Spätsommer
vollendet sein. Unsere Kreuzritter lassen noch immer auf eine gleiche gro߬
müthige Handlung für Provinzial- oder Communal-Zwecke warten. — Auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/475>, abgerufen am 27.09.2024.