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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Witz minder galant. Er hat den Theil Aergerniß, der keiner Erdenlust fehlen
darf, in den Freudenbecher der Prälaten geträufelt, indem er seiner Diöcese
den Antheil an den Festen versagt, ja er hat dieselben für eine nicht zeit¬
gemäße, politische, speciell antipreußische Demonstration erklärt. Zu meinem
Schmerz hat Herr v. Przyluski, von dem doch Niemand glaubt, daß er jemals
für polnische Zwecke sich werde brauchen lassen, dies einzige Mal den Schein
gegen sich. Sonst nämlich werden solche Feste in der Art veranstaltet, daß
man Jahrestage an einem bestimmten Tage feiert. Da sammelt sich eine Ge¬
meinde in ihrer Kirche um ihren Geistlichen. Hier aber ist für die Jubelei
eine viermonatliche Frist gesetzt: vom 29. Juni bis 1. November. Dadurch
werden Wallfahrten möglich, Ablässe, Zusammenströmen von Massen aus meh¬
ren Parochien, Vereinigung vieler Pröbste, Reden der Gewaltigsten, Produc-
tionen der "Märtyrer", Sammlungen. Wer in diesem Frühjahr die Zehntausende
an der Wallfahrtsstation Pakosc zusammen sah, der kennt auch den echt christ¬
lichen Charakter solcher Andachten.

Inzwischen erdulden die armen Opfer der unaufhörlichen Wühlereien,
welche meist inviter NineiVcr, nur dem furchtbaren moralischen Druck nachgebend,
sich haben zu politischen Vergehen fortreißen lassen, noch immer die peinliche
Untersuchungshaft in Posen. Die Angabe des Czas, daß sie auf dein Fort
Winiarv eine sehr schlechte Behandlung erführen, deren Details der Correspon-
dent nur verschweigt, "um das Loos der Gefangenen nicht noch zu verschlim¬
mern", ist erlogen. Die ihnen zugewiesenen Localitäten sind besser als die der
Untersuchungscommission selbst übergebenen, welche noch in diesem Monate ge¬
heizt werden mußten. Sie haben, soweit sie dies wünschen, ihre eignen Bet¬
ten, die Erlaubniß sich durch die Restauration, welche seit Langem auf dem
Kronwerk eingerichtet ist, selbst zu beköstige"; aber sie sind eben Gefangne, in
Untersuchung, vom Hause und, seit sie in Posen sind, auch vom Verkehr mit
den Ihrigen abgeschnitten. Ueber den Grad ihrer Verschuldung brachte neulich
die Posener Zeitung eine Mittheilung, die officiös erscheint, und aus der ich
folgende Sätze mittheile: "Nach Allem, was verlautet, dürfen wir voraussetzen,
daß zur Zeit für die Unterstellung, ein unmittelbar, auf Losreißung preußischer
Landestheile hinzielender Aufstand sei im Werke gewesen, thatsächliche Anhalts¬
punkte nirgends hervorgetreten sind." -- "Dagegen darf man allerdings daran
kaum zweifeln, daß Versuche gemacht worden sind, unter dem ostensibeln Vor¬
geben, die Unterstützung des Ausstauds gegen Rußland zu organisiren, die Pro¬
vinz Posen in eine Art von Botmäßigkeit unter die revolutionäre National¬
regierung in Warschau zu bringen. Indem man, wie es scheint, diese Unter¬
stützung nicht mehr den individuellen Sympathien und dem guten Willen des
Einzelnen anheimgab, sondern sich vermaß, sie zu einer nationalen Pflicht der
Provinz als solcher zu stempeln, indem man hierfür eine geordnete Besteuerung


Witz minder galant. Er hat den Theil Aergerniß, der keiner Erdenlust fehlen
darf, in den Freudenbecher der Prälaten geträufelt, indem er seiner Diöcese
den Antheil an den Festen versagt, ja er hat dieselben für eine nicht zeit¬
gemäße, politische, speciell antipreußische Demonstration erklärt. Zu meinem
Schmerz hat Herr v. Przyluski, von dem doch Niemand glaubt, daß er jemals
für polnische Zwecke sich werde brauchen lassen, dies einzige Mal den Schein
gegen sich. Sonst nämlich werden solche Feste in der Art veranstaltet, daß
man Jahrestage an einem bestimmten Tage feiert. Da sammelt sich eine Ge¬
meinde in ihrer Kirche um ihren Geistlichen. Hier aber ist für die Jubelei
eine viermonatliche Frist gesetzt: vom 29. Juni bis 1. November. Dadurch
werden Wallfahrten möglich, Ablässe, Zusammenströmen von Massen aus meh¬
ren Parochien, Vereinigung vieler Pröbste, Reden der Gewaltigsten, Produc-
tionen der „Märtyrer", Sammlungen. Wer in diesem Frühjahr die Zehntausende
an der Wallfahrtsstation Pakosc zusammen sah, der kennt auch den echt christ¬
lichen Charakter solcher Andachten.

Inzwischen erdulden die armen Opfer der unaufhörlichen Wühlereien,
welche meist inviter NineiVcr, nur dem furchtbaren moralischen Druck nachgebend,
sich haben zu politischen Vergehen fortreißen lassen, noch immer die peinliche
Untersuchungshaft in Posen. Die Angabe des Czas, daß sie auf dein Fort
Winiarv eine sehr schlechte Behandlung erführen, deren Details der Correspon-
dent nur verschweigt, „um das Loos der Gefangenen nicht noch zu verschlim¬
mern", ist erlogen. Die ihnen zugewiesenen Localitäten sind besser als die der
Untersuchungscommission selbst übergebenen, welche noch in diesem Monate ge¬
heizt werden mußten. Sie haben, soweit sie dies wünschen, ihre eignen Bet¬
ten, die Erlaubniß sich durch die Restauration, welche seit Langem auf dem
Kronwerk eingerichtet ist, selbst zu beköstige»; aber sie sind eben Gefangne, in
Untersuchung, vom Hause und, seit sie in Posen sind, auch vom Verkehr mit
den Ihrigen abgeschnitten. Ueber den Grad ihrer Verschuldung brachte neulich
die Posener Zeitung eine Mittheilung, die officiös erscheint, und aus der ich
folgende Sätze mittheile: „Nach Allem, was verlautet, dürfen wir voraussetzen,
daß zur Zeit für die Unterstellung, ein unmittelbar, auf Losreißung preußischer
Landestheile hinzielender Aufstand sei im Werke gewesen, thatsächliche Anhalts¬
punkte nirgends hervorgetreten sind." — „Dagegen darf man allerdings daran
kaum zweifeln, daß Versuche gemacht worden sind, unter dem ostensibeln Vor¬
geben, die Unterstützung des Ausstauds gegen Rußland zu organisiren, die Pro¬
vinz Posen in eine Art von Botmäßigkeit unter die revolutionäre National¬
regierung in Warschau zu bringen. Indem man, wie es scheint, diese Unter¬
stützung nicht mehr den individuellen Sympathien und dem guten Willen des
Einzelnen anheimgab, sondern sich vermaß, sie zu einer nationalen Pflicht der
Provinz als solcher zu stempeln, indem man hierfür eine geordnete Besteuerung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/473>, abgerufen am 27.09.2024.