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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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der Auslösung ging das Programm der bayerischen Fortschrittspartei in die
Welt. Noch eine weitere Woche, und dem Programm der Partei folgte der
von ihren Begründern unterzeichnete Wahlaufruf. Damit ist aller vorhandenen
Nachtheile unerachtet die Agitation von dieser Seite doch noch früher in Gang
gesetzt worden als von der Gegenpartei.

Es war in Bayern keine so leichte Aufgabe wie etwa in Nassau, die An¬
hänger der Freiheit und Einheit in eine einzige geschlossen auftretende Partei
z" sammeln. Man hatte es zum Theil mit sehr spröden Bestandtheilen zu thun,
deren gegenseitige Nachgiebigkeit durch die Ungunst der allgemeinen Lage kaum
gesteigert werden konnte. Altbayern war von vornherein aufzugeben. Wenn
hier der deutsche Gedanke Wurzel schlagen soll, so bedarf es einer Gunst der
Umstände, wie wir sie gegenwärtig kaum mehr recht zu hoffen wagen. Es
givt zwar Tirailleure, Eclaireurs der nationalen Armee nicht nur in München,
sondern auch z. B. in der ehemaligen Universitätsstadt Landshut-
, aber diese
haben vorerst nur die Wahl, ihre wahre Farbe thunlichst zu verdecken, oder
die Zielscheibe von tausend Geschossen des Hohnes und der Wuth zu sein.
In beiden Fällen sind sie von keinem directen praktischen Nutzen. Aehnlich,
wie in Ober- und Niederbayern, steht es in der Oberpfalz mit der Hauptstadt
Regensburg. Bleiben Franken. Schwaben und die Pfalz. In Franken hat
der Fortschritt vorzugsweise den Widerstand der Ultramontanen zu überwinden.
Aber der Particularismus ist hier nicht halb so mächtig wie in Altbayern; denn
das Stammes- und Heimathsgefühl des Franken ist durch den natürlichen
Gegensatz zur Staatsangehörigkeit einer wahrhaft nationalen Gesinnung eher
günstig als zuwider. Indessen hat die politische Entwickelung es mit sich ge¬
bracht, zumal in der fränkischen Hauptstadt Nürnberg, daß der Gegensatz zwi¬
schen den aristokratisch-gemäßigten und den demokratisch-radicalen Liberalen noch
nicht völlig ausgeglichen ist. Wo die Letztern vorangehen, folgen die Ersteren
nur zögernd und widerwillig. Dies macht den Ausgang der vor Allem wich¬
tigen nürnberger Wahl einigermaßen unsicher. Nürnbergs bisherige Abgeord¬
nete waren die beiden Führer der Fortschrittspartei Brater und Cramer, und
em dritter Angehöriger derselben Namens Längenfelder. Die veränderte Eintei¬
lung der Wahlbezirke hat dem Wahlort Nürnberg einen Abgeordneten genommen.
Die Wiederwahl von Brater und Cramer war daher für die Fonschnttspartei
von selbst gegeben. Diese machte überhaupt, wie wir gesehen haben, bei Mün¬
chens einstweiliger gänzlicher Unzugänglichkeit die auf ihren alten Ruhm und
auf ihre fortdauernde Blüthe hinreichend stolze "zweite Stadt des Landes" zu
ihrem Hauptquartier und weckte so in Nürnberg zuerst unter den Städten
des Landes auch die gegnerische Wahlagitation, der es dort weder an Geschick
noch an relativen Erfolgen zu mangeln scheint. Ihre Leitung übernahm der
Ausschuß des deutschen Sängersestes von 1861. der sich als solcher populär


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der Auslösung ging das Programm der bayerischen Fortschrittspartei in die
Welt. Noch eine weitere Woche, und dem Programm der Partei folgte der
von ihren Begründern unterzeichnete Wahlaufruf. Damit ist aller vorhandenen
Nachtheile unerachtet die Agitation von dieser Seite doch noch früher in Gang
gesetzt worden als von der Gegenpartei.

Es war in Bayern keine so leichte Aufgabe wie etwa in Nassau, die An¬
hänger der Freiheit und Einheit in eine einzige geschlossen auftretende Partei
z» sammeln. Man hatte es zum Theil mit sehr spröden Bestandtheilen zu thun,
deren gegenseitige Nachgiebigkeit durch die Ungunst der allgemeinen Lage kaum
gesteigert werden konnte. Altbayern war von vornherein aufzugeben. Wenn
hier der deutsche Gedanke Wurzel schlagen soll, so bedarf es einer Gunst der
Umstände, wie wir sie gegenwärtig kaum mehr recht zu hoffen wagen. Es
givt zwar Tirailleure, Eclaireurs der nationalen Armee nicht nur in München,
sondern auch z. B. in der ehemaligen Universitätsstadt Landshut-
, aber diese
haben vorerst nur die Wahl, ihre wahre Farbe thunlichst zu verdecken, oder
die Zielscheibe von tausend Geschossen des Hohnes und der Wuth zu sein.
In beiden Fällen sind sie von keinem directen praktischen Nutzen. Aehnlich,
wie in Ober- und Niederbayern, steht es in der Oberpfalz mit der Hauptstadt
Regensburg. Bleiben Franken. Schwaben und die Pfalz. In Franken hat
der Fortschritt vorzugsweise den Widerstand der Ultramontanen zu überwinden.
Aber der Particularismus ist hier nicht halb so mächtig wie in Altbayern; denn
das Stammes- und Heimathsgefühl des Franken ist durch den natürlichen
Gegensatz zur Staatsangehörigkeit einer wahrhaft nationalen Gesinnung eher
günstig als zuwider. Indessen hat die politische Entwickelung es mit sich ge¬
bracht, zumal in der fränkischen Hauptstadt Nürnberg, daß der Gegensatz zwi¬
schen den aristokratisch-gemäßigten und den demokratisch-radicalen Liberalen noch
nicht völlig ausgeglichen ist. Wo die Letztern vorangehen, folgen die Ersteren
nur zögernd und widerwillig. Dies macht den Ausgang der vor Allem wich¬
tigen nürnberger Wahl einigermaßen unsicher. Nürnbergs bisherige Abgeord¬
nete waren die beiden Führer der Fortschrittspartei Brater und Cramer, und
em dritter Angehöriger derselben Namens Längenfelder. Die veränderte Eintei¬
lung der Wahlbezirke hat dem Wahlort Nürnberg einen Abgeordneten genommen.
Die Wiederwahl von Brater und Cramer war daher für die Fonschnttspartei
von selbst gegeben. Diese machte überhaupt, wie wir gesehen haben, bei Mün¬
chens einstweiliger gänzlicher Unzugänglichkeit die auf ihren alten Ruhm und
auf ihre fortdauernde Blüthe hinreichend stolze „zweite Stadt des Landes" zu
ihrem Hauptquartier und weckte so in Nürnberg zuerst unter den Städten
des Landes auch die gegnerische Wahlagitation, der es dort weder an Geschick
noch an relativen Erfolgen zu mangeln scheint. Ihre Leitung übernahm der
Ausschuß des deutschen Sängersestes von 1861. der sich als solcher populär


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/47>, abgerufen am 27.09.2024.